Ich suchte nach der Wahrheit und nicht mehr nach der Gerechtigkeit

8. Oktober 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Die Sachsen siegen. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Auch der Wächter Cuno wird ermordet. Endlich wird ein Täter gefunden. Das Gericht des Erzbischofs spricht ein Urteil und es wird jemand abgeurteilt. Ein neues Frühjahr kommt ins Land. Wir schreiben bereits das Jahr 1117. Hazecho ist wieder auf dem Giebichenstein und Rotger erzählt ihm Unerwartetes. Die Geschichte ist zu Ende.

XIX. Rotger, Herbst 1116 / Winter 1117

Ich hätte ich mir nie vorstellen können, welche Wege im Plan des Herrn vorgesehen sind. Denn nichts geschieht ohne seinen Willen und selbst das Allerböseste und Allerschlimmste geschieht, damit etwas Gutes daraus entsteht. Zumindest ist diese Vorstellung für mich tröstlich.

Wicmann schmachtete, wie du weißt, in der kleinen Kammer des Torhauses, dem Loch, aus dem die Schützen Feinde beschießen können, falls es zum Äußersten kommt. Da gerade keine Feinde kamen, schmachtete Wicmann darin. Zum Zwecke der Untersuchung ließ ihn Graf Hermann in die Wachkammer heraufholen. Ich diente dieser Inquisitio als Schreiber. Es waren insgesamt nur 2 Sitzungen, bei denen ihn, es muss betont werden, ohne Gewalt befragten. Ich kam jedes Mal mit wenigen Notizen Protokoll aus. Wicmann war von vornherein klar, dass er des Todes war. „Ja, ja, ja“, schrie er bei der ersten Untersuchung aus, „Ich habe den Herrn verraten. Die Kaiserlichen stellten mich vor die Wahl, entweder als Verräter schmachten oder freigelassen werden, um meinerseits zu verraten. Das gebe ich zu und ich hätte es nicht tun sollen, sondern den verräterischen Kaiser anklagen. Es ist so geschehen. Es lässt sich nicht ändern!“

„Also kam dir Herr Ernst auf die Schliche und du hast ihn deswegen erstochen.“, so sprach Graf Hermann ruhig. „Nein, nein, nein“, leugnete Wicmann. „Und da Cuno dich in die Kapelle gehen sah, Hast du ihn auch vorsorglich aus dem Weg geschafft. Nicht schlecht für einen Mann der Feder! Hätte ich von deinen Qualitäten gewusst, ich hätte besser Verwendung für dich gehabt!“

Aber Wicmann fuhr fort zu leugnen: „Ich bin entehrt, das mag sein, aber heimtückisch getötet habe ich nicht. Glaube mir doch, Herr Graf. Sterben werde ich ohnehin, denn das hast du beschlossen, ich sehe es dir an. Ich kenne dich lange genug.“

„Wimmere nicht so“, unterbrach ihn Vogt Hermann hart, „Sage ordentlich die Wahrheit, erleichtere vor Herrn Rotger und mir dein Gewissen. Gott wird dir gnädig sein.“

Es half nichts. Wicmann gab Verrat an seinem Herrn Adalgot zu, aber er leugnete hartnäckig die Morde. Herr Hermann seufzte und gab mir am Ende zu Protokoll: „Wicmann gibt Verrat an seinem Herrn zu und der bei ihm gefundene Dolch beweist die Morde an Herrn Ernst von Severn und dem Waffenknecht Cuno. Er zeigt keinerlei Reue.“

Auch die zweite Sitzung, bevor du mich fragst, verlief ähnlich: Allerdings war diesmal der Onkel von Herrn Adalgot, der Herr Wiprecht, noch gezeichnet von der langen Kerkerhaft, dabei. Ich las kurz meine Notizen aus der 1. Sitzung vor und schon brauste Herr Wiprecht, ihr kennt ihn auch, auf: „Kaiserlicher Hund! Wir haben dich, wir haben dein Messer! Was hast du gedacht, wer dort in der Kapelle ist? Wolltest du den Herrn Adalgot, den mir lieben Neffen, umbringen, damit die Salierbrut Magdeburg in die schmutzigen Finger bekommt? Sag es! So sag es endlich!“ Und hob schon die Hand. Aber Graf Hermann wies den Wüterich zurecht: „Herr Wiprecht haltet ein, dies ist meine Untersuchung, sie wird christlich und nach sächsischen Recht geführt. Herr Rotger?“

Ich hatte zu assistieren: „So ist es. Der Herr ist unser Zeuge und er ist gnädig mit den Sündern.“

„Wäre der Kaiser und die seinen so gnädig mit mir gewesen“, brummte Wiprecht.

„Du lebst“, erinnerte ihn Graf Hermann, „Das ist mehr als viele nach den Schlachten und Sterben sagen können. Stellung und Güter wirst du dir zurückholen können. Zudem haben deine Söhne euren Feind Hoier erschlagen!“

„Dennoch bin ich noch immer rachsüchtig und Schlangen wie diese würde ich ganz gerne sofort zertreten!“, brummte der Groitzscher weiter, „Schon für den Verrat verdient er den Tod, das steht mal fest.“

„Aber kam er zurück, um den Herrn zu verraten oder sogar zu ermorden? Und warum erwischte es den Herrn von Severn? Was sah Cuno, das er dafür sterben mußte?“, ich redete leise, wie mit mir selbst. Mein Blick verharrte auf dem Schreibbrett, aber wenn ich darüber hinweg blinzelte, erkannte ich, dass die beiden Grafen beunruhigt waren. In diesem Moment begannen meine Zweifel, Hazecho. Seitdem suchte ich nach der Wahrheit und nicht mehr nach der Gerechtigkeit.

„Es ging niemals um Bischof Adalgot!“, keuchte Wicmann dazwischen.

„Schweig still und mache es nicht schlimmer!“, machte Graf Hermann und trat kurz und heftig zu. „Sehr christlich!“, höhnte Wiprecht.

„Wenn es nicht um unseren Herrn Erzbischof ging“, nahm der Schultheiß seine Arbeit ruhig wieder auf, „Dann wolltest du wohl im Auftrag des Kaisers Herrn von Severn töten und Cuno sah dich dabei.“

„Nein, nein“, begann das Leugnen von vorn, „Führt mich zu dem Toten, ich schwöre bei seinem Leichnam.“

Eine Untersuchung, christlich und nach sächsischem Recht

Wenn ich es nicht schon so oft gehört hätte! Der Mensch trägt immer die Hoffnung in sich, dieses triste Leben weiterführen zu können, bis es zum Ende kommt. Aber oft in solchen Augenblicken kommt es am Ende zur Buße, eben weil alles verloren scheint. Darauf hatte Graf Hermann gehofft. Stattdessen blieb Wicmann starrsinnig. So starrsinnig, als hätte er tatsächlich nichts damit zu tun, außer dem Verrat, den er bereits zugegeben hatte.

Ich protokollierte: „Im Beisein von Wiprecht von Groitzsch als Zeugen gab der Schultheiß Graf Hermann von Sponheim dem Beschuldigten Wicmann erneut die Gelegenheit, seine Mordtaten zu gestehen, sich freizusprechen und somit leichteren Herzens dem Tod entgegen zu gehen. Wicmann leugnete jedoch weiter hartnäckig, obwohl Dolch und Flucht gegen ihn sprachen, und wird verdammt und sündig dem Tod übergeben werden, falls die Schöffen des Gerichtes so entscheiden werden.“

Das diktierte mir der Schultheiß im Angesicht Wicmanns. Doch etwas plagt mich seitdem, Hazecho, er war doch schon des Todes! Verraten hat er den Herrn Adalgot, darum konnte er diesem Schicksal nicht entgehen. Freikaufen würde ihn niemand können, dafür war seine Familie zu arm. Er war ein missbrauchtes Werkzeug des Merseburgers, der dies noch büßen wird, und des Kaisers. Sollte er tatsächlich zusätzlich getötet haben, sei es aus Irrtum oder aus Verrat, warum gestand er es uns nicht. Meine Erklärung dafür ist einfach und du solltest sie in unserer beiderlei Interesse in deinem Herzen fest verschließen: Er hat es nicht getan! Es ist die einzige Erklärung.

Du schüttelst den Kopf und fragst dich, wer könnte es denn stattdessen getan haben und wem nützte dies Bauernopfer? Da du auch Zweifel hattest, werde ich es dir sagen, mein Freund. Denn das bist du du unserem Herrn und wirst es auch mir schuldig sein, da ich dich zum Mitwisser und zum Schwurbruder darüber mache. Denn schwören wirst du mir am Ende. Kein Laut von unserem Gespräch soll nach draußen in die Welt getragen werden!

Weißt du, wie der ganze Ärger mit den salischen Kaisern in die Welt kam? Es war bereits Heinrich, der Vater von unseren jetzigen Kaiser, der es vorzog, sich mit neuen Männern zu umgeben, Emporkömmlingen aus Dienstmannen oder niederen Geschlechtern. Um deren Gesellschaft willen ließ er gerne Vertreter aus Hochadel und hoher Geistlichkeit stundenlang vor seiner Tür waren! Diese Männer sicherten sich auch den Einfluss auf Heinrichs Sohn. Und vielleicht gehört ihnen, dem Dienstadel, auch bald die Zukunft. Herzog Lothar und die seinen werden die Zeit nicht zurückdrehen können. Warum erzähle ich dir alles? Dir, Salzherr, einem Bürger?

Er meint, selbst das Gesetz zu sein.

Siehe, Graf Hermann hat keinen männlichen Nachkommen bekommen, so steht wohl einer der Groitzscher als sein Nachfolger als Magdeburger Burggraf und Vogt des Erzbistums fest. Was wäre aber, wenn jemand erscheint, der dem Erzbischof noch näher stände als seine Verwandten? Das hätte die Stellung der Groitzscher trotz aller verwandtschaftlichen Bande nach den schweren Wunden, die ihnen der Kaiser verpasst hatte, noch weiter erschüttert. Das Misstrauen, das Herzog Lothar gegen Wiprechts Familie hegt, wollen wir hier gar nicht erwähnen.

Ich erzähle dir das auch, weil Männer wie Hermann von Sponheim, jovial und herzlich, solange sie ihre Stellung nicht gefährdet sehen, genauso eine Entwicklung wie im Reich auch im Erzbistum befürchteten. Das was Heinrich Haupt dem Kaiser war und vielleicht noch ist, das befürchteten sie von Ernst von Severn, dem hergelaufenen Südländer, einem Söldner, der kein Geheimnis darum machte, das sein Vater ein Bauer, womöglich sogar ein Unfreier, war. Dieser Mann, gebildet und kriegserfahren, wurde zum Freund des Herrn Adalgot, rettete ihn gar vor Kerker oder Schlimmeren, gab seine Stellung in der Umgebung des Kaisers für ihn auf. Es war ohne Zweifel klar, dass Herr Adalgot darauf bestehen würde, dass er ihn mit einer hohen Stellung im Erzbistum belohnen würde. Die Vogtei des neuen Stiftes würde erst der Anfang sein. Das musste verhindert werden. Seine festen soldatischen oder mönchischen Gewohnheiten, nenne es, wie du willst, wurden Herrn Ernst zum Verhängnis. Es gab jemanden, der mit einem Dolch auf ihn wartete. Doch leider gab es wohl jemand, Cuno, der diesen jemand aus der Kapelle kommen sah und später bei der Befragung genau dies sagte. Das war dann sein Todesurteil. Weitere Schlüsse ziehe selbst. Aber Fragen brauchst du nicht zu stellen, denn es flüsterte mir bereits ein wendischer Fischer in der Beichte, das er einen Reiter zweimal an einem Tag zwischen Giebichenstein und Halle hin- und herreiten sah. Ich spendete ihm die Absolution und hieß ihn schweigen, wenn ihm sein Leben lieb war. Ich selbst habe keine Angst vor dem Tod, Freund Hazecho, aber es würde nichts nützen, den Mann, der keinerlei Schuldbewusstsein in sich trägt, damit zu konfrontieren. Es würde uns ohnehin niemals gelingen, ihn vors Gericht zu bringen. Er meint, selbst das Gesetz zu sein. Auch müssen wir daran denken, den Frieden im Erzbistum zu erhalten. Wir haben genug Feinde, dürfen uns nicht gegenseitig zerfleischen. Für unseren Herrn ist der Mörder gerichtet. Was könnte er tun gegen dessen Wort? Er hat nichts gegen den Herrn unternommen, nur einen Diener erschlagen, höchstens… ich werde dafür sorgen, dass er diese Schuld auf die eine oder andere Weise bezahlt. Und nun, Salzherr und Freund, da du alles erfahren hast, alle meine Zweifel und womöglich Gewissheiten, nun schwöre …!

Ende.

Paula Poppinga

Die bisherigen Folgen:

Tatort im HalleSpektrum: Die Verdammten vom Welfesholz
Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen
Der Giebichenstein, der Giebichenstein, wer einmal dorthin geht, kehrt selten heim.
Mord und Totschlag auf der Burg!
Die Falle in Goslar
Auf der Flucht
Das neue Werk
Der Krieg ist über uns gekommen
Empörer wider Willen
Das Verhör der Magd
Der Mörder war immer der Schreiber!
Wir tun manches aus Freundschaft oder Liebe
Wider allen Rechtes vertreiben sie Arme, Schwache und Kranke
Verdammt sollen sie alle sein!
Als Mönche aus der Fremde kamen
Die Hand, die den Dolch führte, ward nicht gefunden
Der älteste und der treuste Mann des Herrn
Hängt ihn, hängt ihn in den Baum!
Er urteilte und es war gerecht
Ich möchte durch das Blut der Mainzer waten
Wenn wir die Welt so behalten wollen, wie sie ist.

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