Verdammt sollen sie alle sein!

13. August 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Aber auf dem Gelände für das geplante Kloster wohnen Menschen, die nicht weichen wollen.

X. Adalgot, Der Abend des 11. Februar 1115

Aus den Notizen des Rotger: Verdammt sollen sie alle sein!, so berichtete mir mein Herr, hätte der Bischof von Halberstädt ausgerufen, ihre Knochen sollen auf dem Schlachtfeld liegen bleiben, die Seelen von allen, die dem Kaiser folgen, in der Hölle schmoren.

Die Dämmerung brach über das Welfesholz herein. Das Licht wurde schwächer. Die Dunkelheit würde sich wie ein Leichentuch über diesen schrecklichen Tag legen. Die Männer, die nicht zum Herrn eingegangen waren, durften sich nun ausruhen, um sich vom mörderischen Tagwerk zu erholen. Als einige der wenigen waren Hazecho, der Salzherr, Herr Ernst von Severn und ich, euer Erzbischof, zu Pferd auf dem Schlachtfeld unterwegs. Ich hatte darauf bestanden. Alle drei waren wir noch in Rüstung, obwohl nur einer von uns wirklich etwas vom Handwerk des Krieges verstand. Selbst ich musste heute das Schwert an meiner Seite das erste Mal ziehen. Für Hazecho war es die erste große Schlacht gewesen, nur der Herr Ernst hatte das Welfesholz am Ende einer Reihe von vielen blutigen Kämpfen erlebt, die ihn durch sein Leben seit seiner Geburt begleitet hatten.

„Da liegen sie, die Verdammten von Mansfeld“, sagte ich zu meinen zwei Gefährten, meinen Brüdern, „Wie konnte er nur so unbarmherzig sein?“ Er, dessen Name ich nicht nannte, war mein Amtskollege und Lehrmeister, Reinhard, Bischof von Halberstadt. Er hatte dem Heer die Messe gelesen, es aufgemuntert und hatte nach dem Sieg verboten, den Gefallenen der Feinde ein christliches Begräbnis angedeihen zu lassen. Da lagen neben den Edlen, Hoier von Mansfeld, dessen Sohn Siegfried, Konrad von Meringen, der Graf Wichmann von Seeburg, auch viele Vasallen, Miles(15) und Knechte. Die Leiber lagen in ihrem Blut, verrenkt, mitunter einiger Gliedmaßen beraubt, das Augenlicht gebrochen.

„Denn sie stehen im Bann!“ Die ganze schneebedeckte Ebene, zertrampelt von Pferdehufen und vom Kampfe von Hunderten von Kriegern, vom dünnen eisbedeckten Wasserlauf bis hinauf zum gestürmten kaiserlichen Lager erstreckte sich das Totenfeld aus niedergestreckten und grotesk verstümmelten Feinden. Ich ritt weiter, langsam, ich musste diesen Kelch zu Ende leeren. Ich hatte so etwas nicht gewollt! Ich kann es bezeugen, ich war auf den Weg nach Goslar gewesen. Doch es war eine Versöhnung zwischen Heinrich und Lothar nicht mehr möglich gewesen. Selbst wenn Heinrich etwas von dem geboten hätte, was sich Lothar nun ohnehin holen würde oder schon geholt hat. Nach der erneuten Verheerung von Halberstadt trieb Bischof Reinhard den Herzog zum Jagen an. Am unversöhnlichsten, von den Groitzschern einmal abgesehen, war der Halberstädter. Als der Kaiser schon geflohen war, die Schlacht sich nur noch in der Verfolgung der Fliehenden erschöpfte, befahl ich meinen Männern noch einmal loszugehen und die unsrigen zu holen, um sie zu bestatten. Von den noblen Herren waren die Grafen Heinrich, Dietmar neben vielen anderen auf dem Schlachtfeld geblieben. Graf Wilhelm, der Camburger, notdürftig verbunden, wurde von seinen Vasallen und Knechten zurück ins Lager gebracht, um ihn ans Feuer zu betten. Ich gab ihm meinen Segen, hatte aber keine große Hoffnung, das er den nächsten Tag erleben würde. Über viele andere, die wir nur noch tot wegtrugen, sprach ich gleichfalls meinen wichtigen Worte, damit sie das Fegefeuer rasch durcheilen mochten. Da geschah es: Zwei meiner Hallenser Speermänner, die gerade gutmütig einen Kaiserlichen aufluden, wurden von Bischof Reinhard hart angefahren: „Die Bestie lasst liegen, alle von ihren Schlag sollen in der Hölle schmoren, verdammt sollen alle sein. Verdammte Mansfelder und ihresgleichen!“

Die beiden Kerle hatten den Toten fallengelassen, als sei es ein glühender Scheit aus dem Ofen des Höllenfürsten selbst. Reinhard hatte nicht geruht, bis er alle Leute aus dem Heer Herzog Lothars und dessen Verbündete und Vassalen mit ausreichend irdischen und himmlischen Strafen bedroht hatte, damit die Kaiserlichen liegenblieben. Ehrlich, ich fühlte großes Unbehagen dabei. Den Männern war es auch nicht recht. Sie nahmen mit, was sie brauchen konnten oder begehrten, ließen die Toten liegen. Aber Reinhard genügte das noch nicht. Er sandte sogar Boten aus, um den Bewohnern der umliegenden Dörfer, sofern sie nicht ohnehin geflohen waren, mitzuteilen, das sie sich wohl holen dürfen, was sie vom Schlachtfeld gebrauchen könnten, aber sie würden mit diesen Verdammten zusammen bis in alle Ewigkeit schmoren, sollten sie sich erdreisten, auch nur einen der Männer Kaiser Heinrich zu bestatten.

Hazecho und Ernst folgten mir, ähnlichen Gedanken nachhängend und sicher erschöpft. Die Pferde mussten sich mühsam eine Weg zwischen den Leibern und abgeschlagenen Körperteilen suchen. Was an Waffen und Rüstung noch benutzbar gewesen war, hatten wir Sieger bereits an uns genommen. Wer da noch von den Feinden gelebt hatte, jammerte oder zuckte, war in einem Gnadenakt abgestochen worden. Mit verletzten Feinden wollte sich niemand aus dem Heer belasten. Ich konnte mir vorstellen, dass sich Salzherr Hazecho nach einem guten Bier oder einem gewärmten Schluck Wein sehnte, aber er folgte mir, seinem Erzbischof, über den Totenacker. Die zwei Männer hinter mir redeten leise miteinander, aber sicher war ihnen klar, das auch ich es hören konnte:

„Was sucht er?“, fragte Hazecho

„Seinen Gott!?“, kam die Stimme meines Freundes Ernst zurück.

„Er ist hier?“

„Sicher, er ist überall, wo wir Menschen auch sind.“, lächelte Ernst auf seine südländische Art, „Womöglich!“

„Und Reinhard sucht nicht mit?“

„Nein, der ist mit Herzog Lothar am Saufen. Er kühlt seinen Zorn ab!“

„Was zu verstehen ist“, unterbrach ich sie, „Die Halberstädter, die zu uns gestoßen sind, haben eine klare Sprache gesprochen: Von der Stadt Halberstadt, und sie riefen alle Heiligen zu Zeugen an, sei nicht viel übrig. Ein Domherr ist an die Pforte des Doms mit Pfeilen genagelt worden. Alles was brennen konnte, brannte! Die Kaiserlichen haben auch Braunschweig geplündert, aber in Halberstadt haben sie die Hölle auf Erden errichtet. Wehe denen, die dort ausgeharrt hatten und auf Gnade hofften. Schlimmer als unter den Heiden konnte es ihnen nicht ergehen!“

„Wir haben die Halberstädter gesehen, Herr“, sagte Hazecho, „Sie verließen den Pulk der Reserve und machten sich an die Verfolgung Fliehender, gierig und mordlüstern wie die Raben. Nur hatten sie nicht mit so viel Arbeit gerechnet und bald waren ihre Arme vom Stechen und Erschlagen so lahm, dass sie einhalten mussten und sich ihre Wut allzu rasch erschöpfte. Sonst wären sie noch diese Nacht unterwegs, um auch den Kaiser einzuholen und zu erschlagen.“

In der Mitte des Schlachtfeldes, dort wo sich die Leichen türmten, weil unsere Reiter einen ganzen Trupp Kaiserlicher zusammen gestochen hatten, stieg ich ab und ging auf die Knie.

„Das halte ich für keine gute Idee, Herr“, meinte Ernst. „Dennoch werde ich es tun, mein Freund“, entgegnete ich. Meine Begleiter stiegen auch ab. Wegen der frostkalten Nacht sahen wir die Sterne.

„Bereits als halbes Kind, Herr, in der Schlacht von Montearagón habe ich mich gefragt, warum Gott so etwas zulassen kann. Ja, du da oben, antworte mir!“

„Er ist bei uns, glaube mir“, tröstete ich ihn, „Er hätte es gern verhindert, so auch ich. Wir haben einen freien Willen von ihm erhalten und wir sind sündig. Ich habe für die Toten gebetet. Mehr kann ich nicht tun. Alles andere liegt bei ihm.“

An Hazecho gewandt, sagte ich: „Ich habe mich entschieden. Heute Abend hat Gott zu mir gesprochen. Und er hat mir gesagt, das wir das geplante Kloster nicht in Glinde, sondern bei Halle errichten sollten.“

„Aber das ist ja wunderbar, gelobt sein der Herr!“, entfuhr es Hazecho. Er würde es sich etwas kosten lassen, der Salzherr, aber Halle und Giebichenstein würden mit dieser Entscheidung gewinnen. Ich schlug das Kreuz in alle Richtungen des Schlachtfeldes und sprach leise dazu: „Gedenken wir aller Männer, die auf diesem Feld gefallen sind. Der Herr nehme sie auf.“

„Amen“, sagten meine Begleiter. Es war nur eine schlichte Formel, dem Verdikt des Halberstädters entgegen, in der Hoffnung, dass auch die Verdammung für diese Männer nicht ewig dauern würde. Mehr konnte ich nicht tun. Wir stiegen wieder auf und ritten bis zu der Anhöhe, auf der der Kaiser Position bezogen hatte. Hier hatte er ein letztes Mal das Heer zu sammeln versucht, denn er war kein Feigling, von hier war er am Ende geflohen, als wären 1000 Teufel hinter ihm her. Es waren aber nur die Halberstädter. Aber die gaben doch bald auf. Sie würden in ihre Stadt zurückkehren und diese wieder aufbauen. Aber die Versucher ruhten nie und würden einen Mann wie Heinrich weiterverfolgen. Selbst wenn er bis nach Italien oder an das Ende der Welt floh. Hatten sie mich nicht auch im Griff? Immer war ich um Ausgleich bemüht gewesen, verhandelte zwischen Kaiser und Papst, verhandelte zwischen Adligen und Kaiser. Am Ende zog es mich doch in den Krieg. Und das Schlimme: Ich war gnädig mit den Groitzschern und ihren Familien gewesen und das, nur das hatte fast zu meiner Gefangenschaft und üble Qual geführt.

Da kam ein Trupp Reiter aus dem Dunkeln den Hügeln herab. Wir griffen sofort zu den Waffen, obwohl es nur Verbündete sein konnten. „Heho“, kam es auch sofort, „Lasst die Schwerter ruhig ruhen, genug Blut haben sie heute gesehen. Wir sind die Männer Friedrich von Arnsberg und waren noch auf der Jagd. Wer seid ihr?“

Ernst, der mein Banner hielt, rief ihnen entgegen: „Der Erzbischof von Magdeburg, der Salzherr Hazecho und Ernst von Severn, wir ritten das Schlachtfeld ab.“

Sie hielten vor uns an. Es war Graf Friedrich selbst, der bis zuletzt Kaiserliche verfolgt hatte. Es wurde ihm ein gewisser Bluthunger nachgesagt, den großen Hunden gleich, die nicht aufhören konnten zu beißen und zu reißen, von dem Moment an, an dem sie Blut gerochen hatten. „Das trifft sich gut, Herr Adalgot, ich habe hier etwas für euch. Etwas, das ihr, so scheint es, in Goslar verloren habt. Der Kaiser gibt es euch zurück und wir stellen es unbeschädigt zu. Aber gebt acht. Bei kaiserlichen Geschenken ist immer ein „Habt acht“ dabei.“ Es war Wicmann, mein Schreiber, gefesselt und nur mit einer Wolltunika bekleidet, saß er auf seinem Pferd und sah zum Gotterbarmen aus.

„Tatsächlich, mein Schreiber, der in Goslar gefangen wurde.“, erwiderte ich. „Herr, seid gnädig“, stammelte Wicmann. „Halts Maul!“, fuhr ihn ein Arnsberger Reiter an und gab ihm eine Schelle mit dem Panzerhandschuh, zum Glück nur einen leichten Schlag. „Magst selbst entscheiden, was du mit dem Häufchen Unglück machst. Am Liebsten hätte ich ihn im Schnee gelassen, aber er hatte so gewimmert und gejammert. Und am Ende eines solchen Tages ist mir immer schwer ums Herz.“, so sagte der Graf von Arnsberg. „Dem kann abgeholfen werden“, schlug ich vor, „Meine Diener unterhalten heute Nacht ein gutes Feuer. Für Trank und etwas Speis ist auch gesorgt. Arnsberger, sei unser Gast!“

So ritten wir mit großer Bedeckung und einen Gefangenen in unser Lager zurück. Ein wahrer Unglücksvogel, dieser Wicmann, aber Schreiber sind in unseren Landen selten und so springen sie nicht einfach über die Klinge. Das hatte selbst der Arnsberger gewusst.

(15)Berufskrieger, entweder kleine Vasallen oder Ministeriale, da man noch nicht von einem Ritteradel reden kann.

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

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