Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen

21. Mai 2017 | Kultur | 2 Kommentare

Ab heute beginnt, wie bereits angekündigt, unser mittelalterlicher HalleSpektrum-Tatort um Erzbischof Adalgot mit dem ersten Teil (gleichzeitig auch das 1. Kapitel). Wir schreiben das Jahr 1115, die Notizen des Rotgers berichten uns: Der Kaiser Heinrich verlor im Jahr 1115 nicht nur eine Schlacht, er verlor das ganze Sachsenland und mit dem Erzbischof Adalgot auch einen Freund.

Wie das geschehen konnte, wird uns Kaiser Heinrich V. selber erzählen müssen:

Mittelalterliches Schachspiel für die Reise (Rekonstruktion)

I. Kapitel

Kaiser Heinrich, Februar 1115

Das Schachbrett war umgeworfen, der Bannerträger1 gefallen, der König auf der Flucht. So stand es um uns und war Gottes Wille. Alle meine Feinde triumphierten. Nur noch meine treuesten Diener umgaben mich. Den Allertreuesten aber, Heinrich Haupt, hatte ich in Sachsen gelassen. Er war der Springer auf dem Brett, der die Linien der Feinde umgangen hatte. Wie lange konnte sich mein Heinrich noch halten? Ich selbst floh von Burg zu Burg, von denen ich mich allesamt verabschieden mußte, denn bald würden der rachsüchtige Halberstädter und der rebellische Herzog mir alle diese Plätze nehmen. Nein, natürlich war nicht alles verloren! Noch war es ihnen nicht bewusst. Ich hatte noch drei gefangene Grafen, an denen meinen Feinden viel lag. Ich hielt sie nicht in Ketten, es soll nicht schlecht von mir gedacht werden! Es sind Grafen. Grafen! Hundesöhne sollte ich besser sagen! Ich hatte den Thüringer, den Meißener und den Groitzscher. Sie waren gut aufgehoben. Den Schlimmsten aber von meinen Feinden, die ich gefangen hielt, war der Mainzer. Den hielt ich mir wirklich bei Wasser und Brot, soll er fasten, hatte als Erzbischof doch bislang gut genug gelebt!

Ich floh vom Brett, doch war der König nicht schachmatt gesetzt. Dieses Spiel war dennoch verloren. Dabei waren meine Züge so gut und so wohlüberlegt gesetzt gewesen! Ich war so vermessen gewesen, nicht zu erkennen, welche Konsequenzen ein einziger misslungener Zug im Spiel haben würde! Ich war mir sicher gewesen, Hoier, mein Bannerträger und wackerer Mansfelder, würde die Sachsen ein weiteres Mal schlagen und diesmal sollte ich nicht nur Weimar, sondern alle ihre Ländereien zu meinem Eigengut erklären, wie es einst zu Zeiten der sächsischen Kaiser üblich gewesen war. Den Herzogtitel von Sachsen hätte mich zu all meinen anderen Titeln schmücken sollen und alle ihre Burgen und Orte könnte ich meinen Dienern geben und sie auf Dauer besetzen.

Salische Truppen belagern eine sächsische Burg

Der erste Zug des Kaisers

Mein erster Zug war, den hatten Lothar, Reinhard und ihresgleichen nicht erwartet, eine Steuer für den Adel und die Fürsten festzusetzen, damit das Reich und der Kaiser besser finanziert wären. An diesem Zug war nichts auszusetzen. Die vortreffliche Idee kam von den Beratern meiner kleinen Frau Matilde, die Engländer kannten diese Steuer und die Normannen hatten es dort übernommen. Ich schlug es für das Kaiserreich vor: Alle Fürsten sollten die Steuer zahlen, damit ihr König und Kaiser wohl mit Geld und mit Waffen ausgerüstet wäre, die es brauchte, um sie zu beschützen und das Reich gut zu regieren. Aber wer empörte sich dagegen? Ich hatte es fast erwartet. Natürlich waren es Lothar und seine Sachsen! Sie trafen sich auf einer der wenigen Burgen, die ich ihnen noch gelassen, und verschworen sich mit vielen Grafen und Bischöfen. Der junge Groitzscher, den alten hatte ich gut untergebracht, war natürlich mit dabei. Dieser war kein Fürst, kein Graf, noch nicht einmal ein Adliger mehr, sondern ein Wegelagerer, ich nenne ihn mit Fug und Recht einen gemeinen Räuber und Mörder. Sicherlich hatte er sie alle aufgehetzt, Freiheit und Rache für seinen Vater gefordert. Mir wurde berichtet, denn der Kaiser muss sein Ohr überall haben, die Sachsen seien in Aufruhr begriffen. Wenn es weiter nichts wäre, dachte ich. Gut, das ich im Süden an der Saale einen verlässlichen Mann hatte, der hoch hinaus wollte. Bischof Gerhard von Merseburg hatte Vasallen eingeschleust und wusste mir so einiges zu berichten über jene, die keine Treue kannten, sondern nur ihren eigenen Interessen und Privilegien im Blick hatten. Das Reich scherte sie nicht! Ob es auseinander fiel oder weiterbestand, das war ihnen einerlei, hauptsache, sie waren uneingeschränkte Herren über ein paar Dörfer, eine Stadt, einen Flussübergang, all das, was sie in ihrem Hochmut eine Grafschaft nannten. Alle solchen armseligen Adligen verschworen sich also gegen mich. Am gefährlichsten waren aber jene Räuber wie der junge Groitzscher, die gar nichts mehr hatten, denn sie hatten auch nichts mehr zu verlieren von ihrem kümmerlichen Besitz. Oh, doch! Auch Räuber, die in den Wäldern hausten, Vogelfreie gar, fürchteten den Winter. Das war ein schlimmer Feind, wenn er mit Schnee und endlosem Frost erscheint. Da lobte ich mir das milde Königreich Italien. Ich vergaß, auch da lauerten Plagen, die Gott uns zu unserer Demut geschickt hatte! Ich erinnerte mich ungern an die widerlich großen Mücken, die, wenn sie stachen, zu dem Jucken und der Wunde noch obendrein ein schlimmes Fieber verbreiten konnten. Allein zwei der alten sächsischen Kaiser sollen daran gestorben sein. Wir blieben gar nicht gern längere Zeit im fernen Rom. Doch der Besuch dort hatte seinen Zweck erfüllt. Wir sind Kaiser! Wenn es die Sachsen nur einsehen würden. Und zu meinem Bedauern gab es die Figur Kaiser leider nicht auf einem Schachbrett. Auf diesem hier schon gar nicht!

Der Verrat des Magdeburgers

Ich schweife ab. Der Vogelfreie, dem der Winter so arg zusetzte, war der junge Groitzscher, von dem ich bereits sprach. Und weil ihm kalt war und er nichts mehr zu essen hatte, wandte er sich an seinen nächsten Verwandten, einem, der noch in Amt und Würden stand. Das war der Herr Adalgot von Magdeburg, ein Erzbischof. Ich erinnere mich gut an diesen gewandten Geistlichen, als er von Guastalla und jenen endlosen und fruchtlosen Verhandlungen mit der päpstlichen Seite zurückkam. Ernst von Severn, einer meiner Diener, hatte sich mit ihm angefreundet, das hätte mir früher einfallen sollen, wahrlich früher! Ernst war jener Ministeriale, der so viele Sprachen sprach, deswegen zu den Verhandlungen mitritt, und der, wenn ich ihm noch glauben möchte, von einem kleinen Gut im Süden des Frankenreiches stammte. Angeblich kämpfte er in einem spanischen Krieg mit, bevor er nach langen Reisen in meine Dienste trat und ich mich von seiner Weltläufigkeit und seiner Bildung blenden ließ. Doch ging es um Erzbischof Adalgot, der bislang ein treuer Verbündeter gewesen war, aber mein Merseburger Gerhard hatte mir berichtet, Adalgot hatte sich erbarmt, all diesen Vogelfreien um Wiprecht von Groitzsch, den Jüngeren wie gesagt, im Winter warme Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Ganz so, als seien diese Räuber, ihre Kebsen und Brut das Heilige Paar auf der Flucht nach Ägypten! Auf der Lohburg, die dem Erzbischof gehörte, schlüpfte das ganze räuberische Gezücht unter. Das sollte mir Adalgot zu Weihnachten auf dem Hoftag in Goslar erklären! Ich hatte zudem endlich einen Grund, auch gegen ihn vorzugehen! Auch die anderen Aufrührer waren natürlich geladen, sich zu rechtfertigen und die Strafe zu empfangen. Sie sammelten stattdessen ihr Heer. Ich aber sammelte das meine. Die Abfolge hatte ich soweit erwartet. Auch kam wie geplant der Magdeburger geritten, er wollte mir seine Treue beweisen und sich aus der erwarteten Prügelei heraushalten. Ich beschloss den Berichten Gerhards Glauben zu schenken, kein Risiko einzugehen und das mächtige Magdeburger Erzbistum auszuschalten. Dem Herrn Adalgot sollte es wie dem Mainzer ergehen, ich gedachte ihn zu erlesenen Speisen wie Wasser und Trockenbrot einzuladen! Guten Appetit!, dachte ich. Ich hatte nicht erwartet, dass ich dem Koch absagen musste.

Verdammter Schnee!

Hinterher, sagt der Weise, ist man immer schlauer! Wie beim ersten Aufstand des sächsischen Herzogs Lothar wäre der Magdeburger wohl abwartend, das war seine Art, und neutral geblieben, hätte sich nur bemüht, die Groitzscher Brut zu schützen. Ich hätte all die Aufrührer erneut besiegt und ihnen diesmal alles genommen, Herzogtum, Burgen und Land. Die Sache mit Adalgot muss ich auf meine Kappe nehmen. Das war ein unüberlegter Zug gewesen, obwohl er sich so gut ausgenommen hatte. Ich machte Heinrich Haupt keinen Vorwurf. Niemand konnte wissen, wie eng die Freundschaft zwischen dem Erzbischof und dem Hund aus Severn war. So entliefen sie uns alle beide. Dieser Zug, fehlgegangen, zwang mich am Ende zur Aufgabe der Partie um Sachsen. Ich musste es mir am umgeworfenen Brett und auf der Flucht vor den Wutsachsen selbst eingestehen.

Verdammter Schnee! Hatte ich so gesündigt, das mich der Herr lebendig frosten wollte, meinen Leib und meine Seele im Eis begraben?! Das Weihnachtsfest in Goslar war von milden Temperaturen gekennzeichnet gewesen. Aber kurz danach, als die Würfel gefallen, begann es zu schneien und hörte seitdem nicht wieder auf! Nein, ich werfe mir nichts vor. Der Magdeburger war wichtig. Und zu sehr mit den Groitzschern verwandt, um nicht doch eines Tages herumzuschwenken, falls ein wichtiger Grund dafür vorlag. Bitter nur, das ich ihm selbst diesen Vorwand lieferte, um sich vom Kaiser abzuwenden! Es führte dazu, dass ich hektisch meine Züge setzte, ungeduldig wurde, obwohl ich wohlüberlegt und abwartend hätte agieren sollen. Das Problem musste rasch aus der Welt, dachte ich. Ich ließ erneut Halberstadt zerstören und sammelte gleichzeitig meine Truppen im Süden des Harzes im Schutz der Befestigung von Wallhausen. Es waren noch viel zu wenig: Meine Ministerialen aus Schwaben, vom Rhein, die mit mir verbündeten Mansfelder unter Hoier, einige Merseburger, allerdings ohne ihren Bischof, dazu einige kleine Vasallen aus Sachsen und der Harzgegend. Das war es. Das war alles! Den Verbündeten aus Süden kommend schickte ich einen Boten entgegen. Sie würden mich nicht rechtzeitig erreichen, also bekamen sie eine andere Aufgabe. Auch der treue Heinrich Haupt hatte in Sachsen auf eine Weisung von mir zu tun. Ein anderer Getreuer namens Volker sollte mir noch Soldtruppen zuführen. Wo blieb er? Weitere Verbündete standen an der Elbe, aufgehetzt und gekauft von Heinrich Haupt. Alles ging Schlag auf Schlag und die Schlinge zog sich zu um den Hals von Lothar Sachsenherzog zusammen! So dachte ich, so hoffte ich, so betete ich. Es begann kälter zu werden und zu schneien. Aber das behinderte auch meine Feinde. Ich konnte darauf setzen, dass der Winter ihre Reihen genauso gelichtet hatte wie die meinen. Ende Januar bekam ich Nachricht von einem abgehetzten und durchgefrorenen Boten. Ich ließ ihn zum Feuer geleiten und Würzwein einzuflößen. Die Wenden, Heveller, Liutizen, Sorben, wer auch immer ihrem Heerführer mit unaussprechlichen Namen folgte, hatten die Elbe überschritten. Otto von Ballenstedt hatte sich von Lothars Heer getrennt, um ihnen entgegen zu treten. Das war auch Sinn und Zweck gewesen! Ich hatte im Grunde genommen gehofft, Lothar selbst würde den Wenden wehren wollen. Aber sein Zug ging ins Zentrum. Ich musste mich ihm wohl oder übel stellen!

Die Fürsten von Sachsen wehren sich gegen das Unrecht

Eine weitere Nachricht traf ein: „Die Fürsten von Sachsen befinden sich nicht in einem Aufstand, sondern sie wehren sich im Gegenteil gegen das Unrecht, das der Kaiser und König Heinrich in Halberstadt und anderswo begannen hat. Sollte aber Kaiser Heinrich den Rückzug aus Orlamünde und Wallhausen befehlen, sowie die Forderung nach ungerechten Steuern fallen lassen, werden die Fürsten zum Frieden zurückkehren.“ Den Boten, der mir dies übermittelte, hieß ich ohne Feuer und Wein zu seinen Herren zurückreiten. Dennoch war er mir nützlich mit seiner Kunde: Meine Kämpfer im Süden hatten den Auftrag meines Boten erhalten und setzten Siegfried von Orlamünde heftig zu, der wie Otto von Ballenstedt meinen gerechten Forderungen um Weimar entgegenstand. Aber meine Feinde wussten das bereits vor mir und hatten bemerkt, dass ich vollendete Tatsachen zu schaffen gewillt war. Wenn alles gutging, starb Siegfried in Orlamünde und Otto endete unter dem Schlag einer wendischen Axt. Der Bote zögerte: „Eure Antwort, Herr?“

Er war ein junger Mann mit breiten Gesichtszügen, mir schien, halb deutsch, halb wendisch. Er war mit einem weiteren Pferd gekommen. „Das gehört dem Heinrich Haupt und ich erstatte es im Auftrag unseres Erzbischofs Adalgot zurück“, sagte er dazu. Sicher war er ein Ministeriale meiner Feinde, aber ich täuschte mich.

„Wie ist dein Name, Diener?“, fragte ich laut, „Womöglich verschone ich dich, damit du mir zukünftig das Holz hackst!“

Meine Männer lachten laut, aber dieser Diener blieb schroff und trotzte mir: „Hartfried von Ringleben, Herr Kaiser, und bleibe frei, bin weder euer Diener noch der Diener des Herrn Adalgot, mit dem wir ziehen, dessen Worte und Rückgabe ich überbrachte. Als Reichsfreie seit Kaiser Karl fordern wir Ringlebener euch auf, dem Reich und Sachsen endlich wieder Frieden zu geben, statt ungerechte Kriege zu führen und eure Untertanen ins Elend zu stürzen. Und ihr müsst schon einen Speer aus Ringleben brechen, bevor ihr euren Holzhacker bekommen könnt.“ Damit saß er auf und ritt davon, ohne eine Antwort von mir abzuwarten. Meine Männer wollten ihn empört vom Pferd herunterhauen, aber ich hinderte sie, rief ihm hinterher: „So sei es, Hartfried, und ihr werdet ganz gewiss brechen und betteln um die Dienerschaft bei mir!“

„Ich werde dies den Fürsten übermitteln.“

Und fort war er. Ich hatte die Chance zu einem weiteren Patt vertan. Ich hatte Verhandlungen abgelehnt. Ich hätte sie hinhalten können, auf mehr Truppen und besseres Wetter warten. War ich zu eilig gewesen? War es leichtsinnig vertan? Sicher war: Sie oder ich, wir wollten beide eine Entscheidung. Diese kam rasch herbei, ich verlor und ich war seitdem auf der Flucht! Sie hetzten mich durch Schnee und Eis.

Anmerkung 1: Bannerträger: Im mittelalterlichen Schach die „Dame“, aber eine wesentliche schwächere Figur als die heutige starke Damefigur.

Nächsten Sonntag geht es weiter mit dem Teil 2.

Paula Poppinga

Was bisher geschah:

Vom Entstehen eines historischen Kriminalromans

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