Mord und Totschlag auf der Burg!

4. Juni 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Kaiser Heinrich verliert den Kampf in Sachsen und befindet sich auf der Flucht. Was aber geschieht in Halle? Wir sind inzwischen im Spätsommer des Jahres 1116 angekommen. Der Bürger Hazecho ist zusammen mit dem Vogt Hermann auf dem Weg zum Giebichenstein. Halles Altstadt besteht noch aus vielen kleinen Ansiedlungen wie z.B. der alten Frankensiedlung Ringleben. Die Civitas Giebichenstein ist die Residenz des Erzbischofs von Magdeburg. Auf dem heutigen Burgberg befand sich damals nur ein Wachturm:

Die Civitas Giebichenstein

Die Pforte der Civitas

Wir waren nach kurzem Ritt am Giebichenstein angekommen. Zuerst kam der vordere Felsen über den Fluss in Sicht. An dieser Stelle mit dem Wendendorf Krölwitz auf der anderen Seite zwängte sich die Saale eng durch das Gestein. Der vordere Berg konnte keine Burg(8) tragen, geschweige denn eine Siedlung. Aber dort oben stand ein Wachturm aus Holz, der weit über Fluss, Tal und Umgebung schauen konnte. Er war mit darunterliegenden Keller wohl einst im Besitz des Kaisers gewesen, nun stand dort ein Mann des Herrn Adalgot. Er hatte uns bereits erkannt und winkte uns zu.
„Es ist der alte Cuno“, erklärte Vogt Hermann und grüßte zurück, „Er gehört zum Giebichenstein wie das Salz zu Halle und der Regen zum Herbst.“
„Oder der Vogt zum Bistum“, ergänzte ich. Unterhalb des Felsen begann der Marktort, der von Graben, Wall und Palisaden geschützt wurde. Hier begann das Reich von Heinrich von Giebichenstein, dem Vogt der Civitas(9). Das Tor war weit geöffnet, aber auch hier gab es einen Wächter. Kein Wunder, immerhin befanden wir uns im Krieg. Der nächste Verbündete des Kaisers saß gar nicht so weit von uns, nämlich Bischof Gerhard südlich in Merseburg. Das Holztor war der einzige Eingang in die Siedlung. Es gab wohl vom Haus des Bischofs aus noch eine Stiege hinunter zum Fluss, aber ich bin diese noch nie gegangen. Im Grunde genommen war Giebichenstein eine besiedelte Residenz des Erzbischofs geworden. Viele Menschen in der Siedlung hingen direkt oder indirekt von ihm ab. Das Marktrecht und der Handel waren weiter nach Halle gewandert. Genauer gesagt, befand sich der neue Markt direkt vor meiner Haustür. Doch durften auch in Giebichenstein an bestimmten Tagen Bauern oder fahrende Händler auf dem Weg nach Halle ihre Waren feilbieten. Heute war der Platz in der Mitte der Ansiedlung allerdings verlassen. Der Stallknecht nutzte die Gelegenheit und ließ dort die Pferde laufen. Bis auf den Platz war der Ort hinter dem Wall dicht besiedelt.

Häuser in einer Civitas

Das Haus des Bischofs lag zusammen mit der Kirche auf einem zweiten Berg über der Siedlung. Der Stallknecht hatte uns seinen Knaben mitgeschickt, der unsere Pferde die Anhöhe hinaufführte. Wir saßen erst vor dem Tor ab. Das große Torhaus war zweigeschossig, über der Pforte war ein Rundbogenfenster für die Wache. Ein junger Mann nickte uns zu. Es war für uns kein vertrautes Gesicht, aber wir waren ihm anscheinend wohlbekannt. Über der Wachstube erhob sich ein Zinnenkranz. Aber überragt wurde das Tor von der Kemenate, dem Wohnturm des Erzbischofs von Magdeburg. Auch dort gab es einen Zinnen rund um ein Pyramidendach, aber nur eine Lanze mit dem erzbischöflichen Banner hielt dort einsam Wacht. Wir führten unsere Pferde hinein und banden sie hinter dem Tor fest. Der Knabe würde sich um sie kümmern. Die Bischofsburg, die einst dem Kaiser gehörte, war von einer Steinmauer umgeben. Außer einem kleinen Wirtschaftsgebäude aus Holz stand im Innern nur die kleine Margarethenkapelle. Sie war gleichfalls aus Stein ausgeführt, besaß aber noch einen geraden Altarraum, der heute ganz aus der Mode gekommen war. Der Herr Adalgot hatte mir von seinen Plänen erzählt, die Kapelle umzubauen und sie mit einen Halbrund zu versehen, wie es neuerdings überall üblich wurde. Ob das unserem Herr Christ besser gefiel, das musste er selbst beurteilen!

Die Margarethenkapelle

Wir gingen an der Treppe zum erzbischöflichen Haus vorbei, die Pforte befand sich im ersten Stockwerk, obwohl Rotger, der ewig kränkelnde Kämmerer Adalgots, dort bereits auf uns wartete, um uns hineinzuführen. Aber gute Dinge, besonders das, was wir heute besiegeln wollten, müssen gesegnet sein. Hermann kannte meine Angewohnheit, zunächst in die Burgkapelle zu gehen und dort ein kurzes Gebet zu sprechen. Ich wollte mich aber weniger an die Jungfrau und Märtyrerine Margarethe zu wenden, sondern den Herrn daselbst mit einem kurzen Gebet um gutes Gelingen für unser Unternehmen zu bitten. Denn ich rechnete mit Widerständen und am Ende bestimmte der göttliche Herr doch alles und wir waren in seiner hoffentlich gnädigen Hand. Zwischen Holztreppe zum Giebichensteiner Haus und der Kapelle gab es einen offenen, aber überdachten Gang von zwei, drei Schritten, damit der Herr Adalgot auch bei Regen trockenen Fußes zum Gebet gelangte. Hier waren irgendwo unter dem Steinfußboden die Eingeweide des Erzbischofs Walthard beerdigt worden, der in seinen Haus auf dem Giebichenstein verstarb und von hier aus zur Grablege nach Magdeburg verbracht werden musste.

Die Wachen werden gerufen!

Gevatter Knochenbein kam unerwartet

Die schwere Pforte der Kapelle war einen kleinen Spalt geöffnet. Hermann drückte sie ganz auf. Wir betraten das Haus Christi und beugten die Knie in Ehrfurcht vor ihm. An der geraden Wand des Altarraum thronte der Herr und dort brannte stets ein Licht. Wenn möglich war das eine Kerze, aber das nur zu Feiertagen, sonst ein kleines Talglicht. Es waren von der Pforte nur wenige Schritte bis zum Altar, aber weil wir zuerst niederknieten und zudem aus der Sonne kamen, hatten wir es nicht sofort erkannt, aber nun schraken wir hoch und eilten hin: Auf den Stufen vor dem Altar lag jemand. Er sah nicht mehr sehr lebendig aus. Der Blick war gebrochen, wandte sich nicht an uns, sondern in die Ferne. Augenblicklich erkannte ich, um wen es sich handelte: Es war Ernst von Severn, der enge Freund des Erzbischofs. Hermann kniete bei dem Leichnam und fasste ihn an. Er wandte sich mir zu: „Er ist noch warm. Es kann nicht lange her sein. Womöglich ist er gestorben, kurz bevor wir zum Giebichenstein gekommen sind.“

Ich muss ziemlich erschrocken ausgesehen haben. Natürlich hatte ich bereits Tote gesehen und auf dem Welfesholz viel schrecklicher zugerichtete Leichname, aber hier war der Gevatter Knochenbein unerwartet und leise gekommen. Hermann drehte den toten Ernst vorsichtig um. Die Altarstufe war voller Blut. Die Wunde in der Brust war eindeutig.

„Erstochen!“, sagte ich leise. Der Vogt brauchte mir nicht zuzunicken oder mich aufzufordern: Ich rannte los und war schon an der Pforte der Kapelle.
„Alarm! Wache, schließe das Tor! Alarm, Mord und Totschlag auf der Burg!“

Die Waffen des Ernst von Severn sind nutzlos geworden.

Rotger, der grämliche Verwandte unseres Herrn, der am Holzgeländer vor dem Eingang des Turmes immer noch auf uns wartete, schnupfte ungläubig und kam heraus, aber die Wache im Torhaus vertraute den erfahrenen Kriegsleuten, blies ins Horn und schloss die Pforte. Ich wusste, das würde zu ähnlichen Reaktionen in der Unterburg und Civitas führen. Als nächste Reaktion auf den Alarm kam ein mir unbekannter Knecht aus dem Wirtschaftsgebäude an der Mauer angerannt. Das könnte der Koch der Oberburg sein, dachte ich. Hinter Rotger tauchten der Herr Erzbischof, der Bischof Konrad von Salzburg und der Schreiber Wicmann auf der Treppe auf. Sie sahen mich fragend an und ich wies schweigend und ernst auf die Kapellentür. Sie kamen die Treppe herunter und eilten hinein. Rotger blieb draußen. Auch der Knecht verharrte im Hof. Er wusste nicht, was das alles bedeutete. Die Magd, die den Herren wohl etwas gebracht hatte, war im Saal verblieben, schaute aber aus dem großen Saalfenster hinaus. Sie schien nicht sehr neugierig zu sein. Waren das alle Menschen, die hier im Moment auf dem Giebichenstein waren? Wo steckte dieser Mönch mit seinem jungen Gesellen, die ständigen Begleiter des Salzburgers? Während ich mich umblickte, was wegen der engen Bebauung der Oberburg nicht einfach war, kam ein entsetzlicher Schrei aus der Kapelle. Er war erfüllt mit Zorn und Trauer. Es klang nach unserem Herrn Erzbischof. Adalgot hatte sich keine Mühe gegeben, seine Bestürzung zu verbergen. Ich vermochte mit ihm zu fühlen. Herr Ernst hatte auch meine Achtung erworben. Das geschah, als ich hörte, dass er Herrn Adalgot vor der Gefangennahme durch den Kaiser errettet hatte.

Fortsetzung folgt am nächsten Sonntag

Anm.: (8) Weniger als 100 Jahre später waren die Erzbischöfe anderer Meinung. (9) Im Sinne einer frühstädtischen Siedlung. Der Begriff Civitas war für Hauptorte der Slawen und für Ansiedlungen im Elbe-Saale-Raum üblich.

Paula Poppinga

Was bisher geschah:

Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen
Tatort im HalleSpektrum: Die Verdammten vom Welfesholz
Der Giebichenstein, der Giebichenstein, wer einmal dorthin geht, kehrt selten heim.

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