Das neue Werk

25. Juni 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben, aber der Kaiser verliert dieses Mal. Was aber geschieht in Halle? Wir sind inzwischen im Spätsommer des Jahres 1116 angekommen. Auf der Burg Giebichenstein finden der Bürger Hazecho und der Vogt Hermann den ermordeten Ernst von Severn. Rückblende ins Jahr 1114: Der Kaiser feiert Weihnachten in Goslar und Erzbischof Adalgot kann mit Hilfe von Ernst vor dem Kaiser fliehen. Zurück ins Jahr 1116: Das Tor von Giebichenstein ist geschlossen, die Burg wird durchsucht und die Anwesenden werden verhört:

Das Verhör

Der Saal, obwohl doch mit einigen Menschen gefüllt, war voller Schweigen. Der Küchenknecht, noch ein Knabe, zitterte. „Du warst es hoffentlich nicht!“, fuhr ich ihn an.

„Welchen Grund sollte er dafür gehabt haben?!“, fragte mich der Koch. „Nicht so frech!“, mischte sich Graf Hermann ein. Und zum Knaben: „Antworte dem Herrn!“

„Nein, Herr“, begann der Küchenjunge zu weinen, „Ich war es nicht. Der Herr Ernst war doch freundlich zu mir. Einmal brachte er mir sogar ein fremdländisches Lied bei.“

„Dieses Lied wirst du mir wohl bald vortragen müssen! Du fürchtest dich zu Unrecht. Ich glaube gar, du bist die Unschuld selbst.“, war der Erzbischof zu vernehmen. Ich war zwar nicht der Meinung, dass der Knabe noch so unschuldig war, aber ein Mörder war er sicher nicht. Wenn er weiterhin den Dienst am Herd versah, würde ihm das Geschäft des Tötens sicher auch erspart bleiben. Warum sollte so ein Knabe den Herrn Ernst mit einem Messer erstechen sollen? Der Knabe war es nicht und von den anderen Anwesenden bekannte sich niemand schuldig. Herr Konrad, der neben unserem Erzbischof stand, wollte gerade wieder eine Litanei über die Heimtücke des Kaisers und seinen langen Arm beginnen, aber Herr Adalgot winkte müde ab: „Falls es so war, werden wir es herausfinden, Herr Konrad.“

„Ich weise nur daraufhin, dass du einen Feind hast, der auch vor feigen Mord nicht zurückschreckt. Es wird Zeit, auch die letzten Kaiserlichen in der Nähe zu vertreiben.“

Was sollten diese Worte bedeuten? Unser Erzbischof sah traurig und nachdenklich aus, am Ende kamen dennoch folgende Worte über seine Lippen: „Das muss wohl warten. Auch ist nicht sicher, ob das eine mit dem anderen etwas zu tun hat. Doch wird sich unser Vogt, der Graf Hermann darum kümmern! Und wehe dem, der das Messer gegen Herrn Ernst zu führen wagte, ihn damit zu Tode brachte, und noch schlimmer, dies im Haus des Herrn wagte. Falls es jemand der hier Versammelten war, hat er zudem die Gelegenheit, sich zu stellen und zu bereuen, vergeben, so wird ihm nicht nur die Rache des Gesetzes, sondern auch die göttliche Strafe und die meine treffen. Fürchterlich will ich euch richten, sprach der Herr, Jetzt ist es soweit, ich führe es aus. Ich sehe nicht tatenlos zu. Ich habe kein Mitleid, es reut mich nicht. Nach deinem Verhalten und deinen Taten will ich dich richten.“

Damit waren alle Anwesenden entlassen. Graf Hermann ging als erster hinaus, um das Tor für Heinrich und seine Männer zu öffnen und die Burg ein weiteres Mal zu durchsuchen, auch wenn ich bei mir dachte, das es wohl sinnlos wäre. Danach würden sie sich die ganze Siedlung Giebichenstein vornehmen, vermutete ich. Ich merkte, wie der Graf vor Zorn schäumte. Oder gab er sich nur den Anschein, um das Gesicht vor dem Erzbischof zu wahren.

Nur Konrad, der Erzbischof und ich blieben zurück. Selbst Wicmann, der Schreiber, und Rotger wurden entlassen. Ich sah Adalgot kurz fragend an, aber er nickte und erklärte: „Tod und Unheil dürfen uns niemals davon abhalten, unseren Pflichten nachzukommen und das zu tun, was uns der Herr auferlegt hat. Wir haben dies neue Werk zu beginnen, nichts wird uns hindern. Es soll, so scheint es mir, auch unserem Freund Ernst zum Gedächtnis dienen. Verschieben mag ich es nicht mehr, denn bereits in den nächsten Tagen geht es wieder auf Reisen, um in Frankfurt mit den Kaiserlichen zu verhandeln.“

„Das wird umsonst sein.“, prophezeite Bischof Konrad, nahm selbst das Schreibbrett, füllte das Tintenhorn und spitzte die Feder. Herr Rotger kam doch kurz herein, brachte Pergament, das erzbischöfliche Siegel und Siegelwachs, und verschwand sofort wieder schweigend, nachdem ihn Herr Adalgot angewiesen hatte: „Lieber Verwandter, sei so gut und fülle uns zur Erquickung den Krug Wein auf.“

„Es mag vergebens sein, dennoch wollen wir es versuchen“, antwortete der Erzbischof seinem Amtsbruder endlich, „Auch Pfalzgraf Friedrich und Rudolf von Stade wollen mit mir zu den Unterhandlungen reisen. Ich möchte nichts unterlassen, was dem Frieden im Land dienen könnte. – Zurück zum neuen Werk! Das dient auch dem Frieden! Herr Hazecho, wir werden es also gemeinsam aus dem erzbischöflichen und aus eurem Besitz an der Stelle stiften, die neue Siedlung oder Neugimritz genannt wird…“

Das Wendendorf Gimritz

„Es haben sich dort Flüchtlinge aus dem Wendendorf Gimritz (10) angesiedelt. Sie haben ihr Zuhause und Land durch Hochwasser verloren“, erklärte ich.

„Wem gehört Gimritz?“, fragte Herr Adalgot. „Dem Erzbistum“, gab ich Bescheid. Er fuhr fort: „Dann sollen sie noch einmal umgesiedelt werden, falls sie nicht dem Kloster dienen wollen. Aus Neugimritz wird das Kloster, aus der alten Siedlung ein Klostervorwerk, wir geben dem neuen Werk aufgrund der Wasserlage Mühlenrechte, die Neugründung von Gimritz im Klosterbesitz hinter Trotha gibt es obendrauf.

„Die Rechte am Boden und Unfreien im Gebiet der neuen Siedlung, die mir, Hazecho, und meiner Familie gehören, übertrage ich dem neuen Werk …“

„Ich habe das alles in die üblichen Formen und in passendes Latein gebracht“, unterbrach uns Bischof Konrad, „Außerdem eine nette Einleitung dazu verfasst“. Der Mann aus Salzburg wandte sich an mich: „Hazecho, du wohnst doch im alten Haus „Zur Egge? Ist das richtig?“.

„Jedenfalls ist dort so ein Zeichen über dem Tor angebracht, Ich habe das Haus nicht gebaut. Es stammte vom Vorbesitzer, einem Mann aus dem Schwabengau, er starb kinderlos…“

„Und deswegen ist dir eine goldene Egge erschienen, als du einen Platz für das Stift gesucht hast. Als du es gesehen hast, hast du deinen Handschuh genommen und an den Platz geworfen. Schnell hast du dem Bischof davon berichtet. Er kam mit dir und gemeinsam habt ihr die goldene Egge noch gesehen. Der Entschluss stand rasch fest, an dieser Stelle ein Kloster zu bauen.“

Es war ein Wunder!

Ich sah ihn mit Verwunderung an. Herr Adalgot flüsterte mir leise zu: „Ein Wunder, das niemand den Handschuh genommen hat.“ Und laut: „Ein Wunder! Genau so war es, Freund Konrad, so schreibe es auf. Dahinter unsere Vereinbarungen und wir können es sogleich siegeln.“ Das taten wir. Erst dann rief der Erzbischof den Kämmerer, damit dieser die Urkunde verwahre und die Magd rufe. „Damit die Herren hier etwas zu essen und zu trinken bekommen!“

Gerade jetzt aber kamen Heinrich von Giebichenstein und Graf Hermann herein. Sie hatten die Burg durchsucht, ohne auf den Protest des Rotger zu achten, auch die persönlichen Räume der Herrschaft. Wir hatten sie über uns rumpeln hören. „Das war in Ordnung so“, befand Herr Adalgot, „Hoffentlich hat sich nicht mehr als ein Floh in meiner Leibwäsche versteckt!“ Wir alle deuteten die Worte so, dass sich der Erzbischof wieder gefasst hatte.

„Imradus hat sogar in den Kamin geschaut und mit der Lanze bis in den Schornstein herum gestochert.“ erklärte Heinrich. „Und der Abtritt?“, forschte Konrad. Wir alle kannten die Geschichten, dass scheinbar uneinnehmbare Burgen durch freche Kletterer durch den Abtritt eingenommen wurden. Das war zwar ein relativ neuer Trick, nahm aber seit Aufkommen der neuen Höhenburgen zu. Ich hatte zwar noch keinen wirklichen Fall dieser Art auf einer mir bekannten Burg gehört, aber an den Feuern war die Geschichte mit Begeisterung aufgenommen worden und außerordentlich populär, die Geschichte kursierte inzwischen in zahlreichen Variationen im Reich und wohl auch anderswo. Ob jemals so ein Handstreich wirklich gelungen war, vermochte dagegen niemand zu sagen. Ich bezweifelte es.

Heinrich schüttelte mit dem Kopf: „Wir haben hineingesehen, aber es ist unwahrscheinlich, dass dort jemand hindurch geflohen ist. Ein Kind, eine junge Frau vielleicht, aber der Abtritt führt sofort die Felsen hinunter. Es wäre der sichere Tod! Weder hinauf, noch hinunter kommt hier jemand sicher.“

„Wir sind also nicht weitergekommen“, seufzte Herr Adalgot, „Es beunruhigt mich, es ärgert mich sogar, dass jemand in meiner Burg und dazu in der Kapelle einen Vertrauten von mir niederstechen kann, ohne das wir wissen, wer es war, noch schlimmer, ohne von jemanden gesehen oder gehört worden zu sein! Kann ich selbst noch meines Lebens sicher sein oder der Herr Konrad?! Wem können wir noch vertrauen, sagt es mir, ihr Herren?“

Herr Heinrich schwieg betreten. Hermann von Sponheim schlug vor: „Wir sollten die Wachen auf der Burg und besonders um das erzbischöfliche Haus verstärken.“ „Ja, das solltet ihr“, haute Bischof Konrad in die Kerbe, „Unverzüglich und zwar nur zuverlässige Männer!“ Kaum zu glauben, man hätte denken können, der Salzburger wäre der Herr auf dem Giebichenstein! „Der Kaiser trachtet uns allen nach dem Leben, so scheint es mir. Viele hängen ihm immer noch heimlich an. Schon sagen sich auch die Diener los und gehen zum Kaiser über.“

„Der Kaiser ist geschlagen!“, brummte Herr Adalgot und unterbrach den Salzburger, „Und meine Diener sind zuverlässig!“

„Das will ich meinen, Herr. Am verläßlichsten sind Rudwic und Imradus“, sagte Heinrich, „Ich werde Imradus bitten, am Tag in eurer Nähe zu bleiben.“ Der Wettinerbastard, oder was er auch immer war, blieb ohnehin auffällig eng und oft in der Nähe des Herrn, doch beharrte er offiziell auf den Stand des freien Mannes. „Und in der Nacht wacht Rudwic, der Krölwitzer, vor eurer Tür.“ Das war ein guter Vorschlag. Rudwic, ein Fischersohn, war jung, stark, verantwortungsbewusst und dem Herrn treu ergeben. Allerdings war er am Morgen der Tat auf der Burg gewesen. Doch über mehr Männer zu verfügen, hieß Speermänner auszuheben und die Vasallen nach Giebichenstein zu rufen. Herr Adalgot zögerte noch, diesen Schritt zu machen. Er wollte die Burg nicht in einen Kriegszustand versetzen. Als die Magd nun mit Bierkannen kam, steigerte dies nicht die Stimmung, insbesondere bei den Herren Heinrich und Hermann, denen die Gewalttat gegen die Ehre ging. Einzig Imradus, der dazu geholt worden war, hatte eine heitere Miene, aber ich hatte ihn noch nie anders gesehen. Seine Berufung zum ständigen bewaffneten Begleiter des Erzbischofs gab ihm Anlass zu glauben, dass daraus mehr werden könnte. Er hoffte schon lange, dass seine Treue und sein Einsatz ihn zum Vogt oder Besitzer einer Burg oder Domäne verhelfen würde. Auch wenn ich über den Tod des Herrn Ernst betroffen und traurig war, so riefen mich doch die Geschäfte nach Halle zurück. Das neue Werk war begonnen und konnte seinen Gang gehen, wie wir es uns gedacht hatten. So leerte ich meinen Becher und verabschiedete mich von den Herren. Ich war mir nicht sicher, was ich Gunda von all den Geschehnissen hier auf der Burg erzählen sollte. Das Kind war so wissbegierig und würde mich danach fragen.

(10) Eigentlich Guimiste, ich habe den neuzeitlichen Begriff gewählt. Gimritz ist in der alten Namensform im Hersfelder Zehntverzeichnis erwähnt

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

Was bisher geschah:

Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen
Tatort im HalleSpektrum: Die Verdammten vom Welfesholz
Der Giebichenstein, der Giebichenstein, wer einmal dorthin geht, kehrt selten heim.
Mord und Totschlag auf der Burg!
Die Falle in Goslar
Auf der Flucht

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