Hängt ihn, hängt ihn in den Baum!

10. September 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Der Herbst zieht ins Land. Auch der Wächter Cuno wird ermordet. Bevor der Erzbischof nach Frankfurt aufbrechen kann, wird ein Täter erwischt.

XV. Hazecho, ein Herbsttag 1116

Aus den Notizen des Rotger: Es gab so viele Männer des Schwertes um uns herum, und es sollte ein Mann der Feder der Manntöter gewesen sein?

Ich traf in Giebichenstein ein, weil Herr Adalgot mich vor seiner Reise nach Frankfurt in Sachen Neuwerk erneut zu sprechen wünschte. Wenn wir dazu nur gekommen wären! Denn bereits am Holztor der Siedlung, eben erst geöffnet, war die Aufregung spürbar. Mir schien, es wäre eine Belagerung oder Schlimmeres zu befürchten. Tatsächlich war der Tod des alten Cuno etwas so Unglaubliches für die Giebichensteiner, dass bereits am Tor davon zu erfahren war. Es ist eine Sache, ob ein Fremder, ein Begleiter des Erzbischofs, und sei er noch so ein hoher Herr, umgebracht wurde oder ob ein Nachbar, Freund und Verwandter gemeuchelt ums Leben kommt. Ich sah, wie in der Siedlung alles durcheinander lief, kaum jemand seine gewohnten Tätigkeiten aufgenommen hatte. Ich stieg vom Pferd ab und hatte eben beschlossen, es auf dem Weg zum Bischofshaus anzubinden, da kam mir Heinrich von Giebichenstein entgegen. Er beachtete mich gar nicht, denn gerade erhob sich hinter mir ein Tumult am Tor. Dorthin rannte er. Ich übergab mein Pferd einem Knaben und folgte ihm, um herauszufinden, was vor sich ging. Und so bekam ich das Ende rechtzeitig mit: Der Mann fiel direkt vor uns in den Dreck. Ob er ihn gestoßen hatte, bemerkte ich nicht, aber es war Imradus, der vor dem Mann stand und zu Heinrich sagte:

„Ich habe ihn am Fluss gefunden, wie er gerade eines der Fischerboote losmachte, um zu fliehen. Ein Fischweib schrie, da bin ich hingestürzt und habe ihm gesagt: „Entweder du legst wieder an oder du stirbst gleich“, Aber erst nach dem ersten Pfeil, der sich direkt neben ihm ins Boot bohrte, war er dazu bereit! Eigentlich schade!“

Die Wachen werden gerufen!

Von der Traube Menschen, die sich um den Gestürzten und uns gebildet hatte, wurden die Worte bejubelt. Ein Knecht ging hin und trat zu, bevor wir einschreiten konnten. „Erst einen Pfeil in den Arm, einen ins Bein und einen in den Leib hättest du ihm jagen sollen, Herr!“, rief er dabei wütend aus.

Cuno war ein alter Mann und wegen seiner Freundlichkeit beliebt gewesen. Es hieß zudem, er wäre der Bastard irgendeines Erzbischofs gewesen, aber das hielt ich für ein dummes Gerücht. Er selbst hatte darüber nur gelächelt, aber nie widersprochen. Nun war der freundliche Wächter tot und vor uns im Dreck lag, ich konnte es kaum glauben, der Schreiber Wicmann. Cuno erstochen und er floh? Für alle hier war der Zusammenhang klar, es galt ihnen wie auf frischer Tat ertappt und nur ich schaute wohl als einziger ungläubig.

„Er hatte sogar das Messer bei sich!“, zeigte Imradus die Waffe vor und rief triumphierend aus: „Damit hat er Herrn Ernst und Cuno erstochen! Wir haben den Mörder! Der Erzbischof, unser Herr, und wir alle können wieder ruhig schlafen.“

Wütende Rufe und Beschimpfungen folgten aus der Runde. Wieder versuchten Männer und sogar Frauen zuzuschlagen oder zuzutreten. Aber nun war Heinrich da, stieß den nächsten zurück und erhob laut die Stimme. Er wies die Menge in die Schranken und ließ den Mann aufheben und hinauf zum Haus des Herrn Adalgot schleifen. Imradus folgte selbstzufrieden hinterdrein. Die Giebichensteiner feierten ihn und er genoss sichtlich die Aufmerksamkeit. Ich schloss mich mit Heinrich an.

„Das er dazu fähig ist, hätte ich nicht gedacht und nicht geglaubt, hätte es jemand behauptet, aber der Fall ist klar. Er hat sich selbst verurteilt.“

„Wirst du über ihn gleich zu Gericht sitzen“, fragte ich, denn Heinrich war als Vogt auch der Schultheiß von Giebichenstein. Ich bekam sofort Bescheid: „Das wird Herr Adalgot entscheiden, er ist noch nicht abgereist. Wenn es nur um Cuno ginge, würde ich über Wicmanns Schicksal bestimmen, aber Ernst von Severn betrifft andere Leute und er war auch nicht von hier. Es steht mir nicht zu.“

Wir beeilten uns, dem Gefangenen und seinen Bewachern zu folgen, denn nach einer kurzen Regenpause, fing es wieder an zu schütten. Es regnet sich ein, sagt man bei uns. Wenn Wicmann abgeurteilt war, daran zweifelte ich nicht, würde er seine letzten Schritte zum Baum dem nächsten Hügel in feuchter und durchnässter Kleidung machen müssen. Aber das wäre wohl das Geringste, was ihn dann bekümmern würde. Die Leute, die uns wütend begleiteten, blieben an der Pforte zum Bischofshaus zurück, riefen aber: „Hängt ihn, hängt ihn in den Baum!“

Wir traten ein, gingen den kurzen Hof entlang, an der Kirche vorbei und ins Bischofshaus hinein, bis wir die Treppen in den Saal kamen, im dem Wicmann bereits mit dem Gesicht auf den Bohlen lag, den Schuh von Rudwic im Nacken. Erzbischof Adalgot, Bischof Konrad, Mönch Lambert, all die Herren, die schon reisefertig sein wollten, die aber der Regen hinderte, schauten auf ihn herab. Adalgot fand als Erster Worte des Abscheus: „Ich habe dich wieder aufgenommen, wie ein Vater den verlorenen Sohn aufnimmt, wie hast du es gedankt? Du hast Männer umgebracht, die mir viel wert waren.“ Aber Herr Konrad schien zufrieden, als er die Stimme erhob: „Das muss Auswirkungen auf unsere Verhandlungen haben. Der Kaiser mit seinem Morddienstmann hier zu unseren Füßen hat ein weiteres Mal bewiesen, dass ihm nicht am Frieden gelegen ist. Feige wollte er uns erdolchen lassen. Zuerst sollte die Rache an Herrn Ernst vollzogen werden, danach wären wir an der Reihe gewesen, aber Cuno hatte ihn gesehen und musste deswegen sterben. Der Brei wurde zu heiß für einen einfachen Schreiber, er suchte sein Heil in der Flucht. Die Schuld ist klar! Wir haben den Anstifter und wir haben den Mörder! Halleluja!“

„Der Baum ist nicht weit entfernt“, grinste Imradus, „Aber wir könnten ihn auch von einer Zinne zur Abschreckung für alle Kaiserlichen herunterbaumeln lassen!“

Wicmann aber lag auf dem Fußboden und wimmerte nur. „Du dauerst mich, trotz allem was du tatest“, sprach Herr Adalgot, „Mit all deinem Verrat und deiner schäbigen Mordlust, mit der du personifizierte Freundschaft, Ernst von Severn, und Treue, Cuno, heimtückisch aus unserer Welt geschafft hast! – Schafft ihn weg und sperrt ihn mir gut ein! Ich werde über ihn zu Gericht sitzen, wenn die Zeit gekommen ist. Wir brechen morgen auf, wenn es das Wetter erlaubt. Er wird lange zu schmoren haben, bis er die gerechte Strafe erhält.“

Er zog sich zurück. Die Trauer und der Kummer hielt ihn immer noch gefangen, merkte ich. Ich befürchtete ihn am heutigen Tag, obwohl bestellt, nicht mehr sprechen zu können. Ich sah durch die Luken des Saales: Der immer stärkere Regen würde meine Rückkehr nach Halle allerdings auch zu keiner gemütlichen Angelegenheit machen.

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

Was bisher geschah:

Tatort im HalleSpektrum: Die Verdammten vom Welfesholz
Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen
Der Giebichenstein, der Giebichenstein, wer einmal dorthin geht, kehrt selten heim.
Mord und Totschlag auf der Burg!
Die Falle in Goslar
Auf der Flucht
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Empörer wider Willen
Das Verhör der Magd
Der Mörder war immer der Schreiber!
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Als Mönche aus der Fremde kamen
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Der älteste und der treuste Mann des Herrn

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