Die Hand, die den Dolch führte, ward nicht gefunden

27. August 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Der Herbst zieht ins Land. Bisher ist der Mörder nicht gefaßt. Adalgot findet keinen Schlaf.

Der Erzbischof begibt sich in seinem Turm zur Ruhe, doch Schlaf findet er nicht …

XIII. Adalgot, Eine Spätsommernacht 1116

Aus den Notizen des Rotger: Der Regen rückte näher, die Hand, die den Dolch führte, ward nicht gefunden.

Es wurde Herbst, wir mussten reisen, uns sputen. Der Kaiser hatte sich zu Verhandlungen bereit erklärt, widerwillig, auch wir mussten guten Willen zeigen. Herzog Lothar würde nicht selbst erscheinen, genauso wenig wie Heinrich, der sich in Italien in Sicherheit wähnte, deswegen würden diese Gespräche nur erste Gesprächsversuche für einen Frieden sein. Das Scheitern plante ich mit ein.

Bischof Konrad hatte ich zusammen mit Vogt Hermann nach Magdeburg gesandt. Heinrich von Giebichenstein reichte aus, um mich vor Ort und in Halle zu repräsentieren. Als Schreiber nahm ich den jungen Lambert mit, dazu Imradus, denn Wicmann genoss mein Vertrauen nicht mehr. Ich hielt ihn für einen Verräter.

Die Groitzscher, meine Verwandten, als Mörder meines Freundes, das konnte ich mir wirklich nicht vorstellen.

Ernst fehlte mir, die Gespräche mit ihm und seine Freundschaft waren nicht zu ersetzen. Wirklich, der Mensch ist nicht gerne alleine. Sicherer hätte ich mich auf dem Weg nach Frankfurt auch gefühlt, wenn er dabei gewesen wäre. Aber womöglich wäre er ohnehin nicht lange an meiner Seite geblieben. Eines Tages hätte er Pferd und Packpferd genommen und wäre nach Süden aufgebrochen, um in seiner Heimat zu sterben. Es war ihm nicht vergönnt gewesen. Sein Leben hatte in einer Kapelle über der Saale geendet. Ohne ein einziges Abschiedswort war er von mir gegangen.

Ich hatte die Abendmesse gelesen, ich hatte gebetet und war auf dem Weg, zeitig zu schlafen, begleitet von den guten Wünschen des Wenden Rudwics, der vor dem Turm wachte. Die Gedanken an den jungen Mann lenkten mich ab: Ich hatte zwar bemerkt, dass er der Rada schöne Augen machte, aber darüber hinweg gesehen, solange er sie nicht schwängerte. Und wenn schon, dachte ich leicht, so ist das liebe Vieh! Es wird beider Schande nicht sein. Wussten die anderen, dass sie das Mädchen des Wenden war, würden sie die Finger von der Magd lassen, denn mit Rudwic war nicht gut Kirschen essen.

Mit welchen banalen und ordinären Gedanken lenkte ich mich diesen Abend ab? Ich öffnete die Fensterluke für die Nacht. Zwischen den gedrechselten Pfosten meines Bettes warteten bereits Wolldecke, Kissen und Laken auf mich. Der Turm war still. Konrad, der vor seinem Aufbruch im Gastraum unter mir geschlafen hatte, war ohnehin nie zu hören gewesen. Ich hatte ihn um seinen ruhigen Schlaf beneidet. Ich war vor Reisen stets aufgeregt, wälzte mich auf dem Laken hin und her. Da kommt dem schwachen Menschen so vieles in den Sinn! So wollte mir nicht aus dem Kopf, dass das Messer in der Margarethenkapelle gar nicht Ernst, sondern mir zugedacht sein könnte. So lautete der Verdacht von Hermann von Sponheim. Ich hatte ihn erschrocken angeblickt: „Glaubst du wirklich?“ Seit diesem Gedanken hatte er mir den Leibwächter vor meinem Turm gestellt. Deswegen wird mich Imradus nebst anderen Männern nach Frankfurt begleiten. Aber wer könnte Ernst oder mir nach dem Leben trachten?

„Habt ihr euch nicht einen Haufen Feinde gemacht, weil er dich in Goslar vor der Gefangenschaft bewahrt und du dem Kaiser deswegen verlassen hast?“, so hatte Hermann mir geantwortet, als wären wir dafür verantwortlich, dass er sich nun in so vielen Richtungen nach Verrätern und Mördern hat umschauen müssen. Seine Liste war tatsächlich lang: „Du wirst es ahnen, Herr Adalgot, ganz oben steht der Schreiber Wicmann drauf. Er war in der Hand des Kaisers. Wir vermuten, dass er in Gefangenschaft von Heinrich Haupt war, der ihn im Gegensatz zu vielen anderen, die in die Hände dieses Kerls fielen, gut behandelt hat. Warum? Es würde gut zu Bischofs Konrad Annahme passen, das der Kaiser indirekt dahinter steckt, egal, ob das Messer Ernst oder dir bestimmt war. Unter uns gesprochen, traue ich aber dem eher ängstlichen Schreiber den kaltblütigen Mord nicht zu. Du solltest ihn dennoch aus deinem Dienst entfernen, bevor er dir Gift in das Bier schüttet!“

Er hatte aufgelacht, war aber sogleich wieder erst geworden: „Verdacht schöpfe ich auch gegen die Groitscher. Wiprecht ist immer noch gefangen. Der jüngere Wiprecht und Heinrich machen sich an die Rückeroberung ihrer Güter. Wir haben sie unterstützt, so gut es ging, aber Heinrich Haupt agiert als Markgraf von Meißen geschickt und noch sind sie nicht wieder fest im Sattel. Vielleicht ist ihnen unsere Unterstützung nicht genug. Ich bin nicht mehr der Jüngste, die Groitzscher hoffen wohl, mich beerben zu können, sie stehen dir am nächsten! Sie sind deine Verwandten! Da schob sich Herr Ernst dazwischen, dem du verpflichtet warst. Ein starker Neuwerker Vogt hätte den Einfluss des Burggrafen und Erzstiftvogtes erheblich geschmälert. Diesen Posten haben die Groitzscher für ihr Oberhaupt im Sinn. Und es wäre zu befürchten, dass der Neuwerker Vogt ein Sprungbrett für mein Amt ist. Das wäre Wiprecht gar nicht recht. Das würde aber dafür sprechen, dass Ernst in der Tat gemeint war, und ich mich irre. Unwahrscheinlich, möchte ich sagen.“

Die Groitzscher, meine Verwandten, als Mörder meines Freundes, das konnte ich mir wirklich nicht vorstellen. Genauso wenig wie die Seinen hatte ich Wiprecht, den Älteren, meinen Onkel, nicht gerade gern, da er ein so harter Mann war, aber ich war der Familie meiner Mutter dennoch verpflichtet. Für die Rückeroberung der Groitzscher Lande hatte ich ihnen sogar Vasallen und Männer zur Verfügung gestellt. Um sie zu schützen, hatte ich ihnen die Lohburg, die sie inzwischen verlassen hatten, zur Verfügung gestellt. Das hatte den Zwist zwischen mir und den Kaiser ausgelöst, mich fast in Gefangenschaft geführt. Waren sie mir nicht ebenso verpflichtet wie ich Ihnen?

War es der Merseburger?

War es Bischof Gerhard?

„Meine Liste ist lang, wie schon gesagt. Ein verzwickte Sache kann man schon sagen! Vor den Groitzschern hätte ich den Merseburger Gerhard nennen sollen.“

„Um ihn werde ich mich ohnehin bald zu kümmern haben“, hatte ich Hermann geantwortet.

„Das ist nötig. Er steht immer noch zum Kaiser und scheint eng mit ihm verbunden. Er sitzt uns mit seinem Merseburg wie ein Furunkel am Hintern. Er könnte jemand auf der Burg eingeschmuggelt haben! Weißt du, dass die Magd Rada zwei Brüder auf dem Welfesholz verloren hat, die als Soldaten im Dienste Bischof Gerhards standen. Es waren die Männer unter Ernst von Severn, die die Merseburger abmetzelten, wie ich hörte. Was macht sie nun als Magd hier auf dem Giebichenstein? Wärmt sie dir das Bett und spioniert dich aus? Hat sie gar das Messer gegen Ernst geführt?!“

Ich schüttelte den Kopf. Das letztere war nicht die Sache der einfachen Leute. Es war jemand gewesen, dem das Messern eine Gewohnheit war. Aber Hermanns Verdacht gegen die Magd erklärte, warum ich Rada diese Tage selten gesehen habe. Es hielten sich ein Knecht oder die dicke Ulrike zur Bedienung bei uns auf.

„Keine Angst, ich habe ihr nichts getan! Denn sie hat mehr Hass auf Gerhard als auf euch oder Ernst. Sie ist die letzte ihrer Familie und ihr wurde alles genommen, wenn ich Heinrichs Frau recht verstanden habe. Und anfassen wollte man sie auch ordentlich, so floh sie mit anderen in deine Civitas. Heinrichs Weib Adelheid hatte ein Herz und sie als Magd angestellt. Und da sie zu hübsch für das eigene Haus war, dem Bischof auf das Haus gesandt. Sehr aufmerksam!“

„Ziehe keine falschen Schlüsse daraus!“, hatte ich gesagt, denn ich hatte mir nie viel aus Mägden gemacht. Mancher meiner Amtsbrüder wird wohl später aus diesen Gründen in der Hölle schmoren. Auf ganz kleiner Flamme und dauerhaft, so ist anzunehmen.

„Rada selbst können wir wohl streichen, war sie die ganze Zeit im Blick von irgendjemanden. Doch könnte Bischof Gerhard noch einen anderen Mann hier haben! Das würde für meine Ursprungsidee sprechen, das Messer war für dich bestimmt!“

Doch wen hatte hatte Gerhard hier in meinen Haus Giebichenstein?

„Ganz unten auf meiner Liste rangieren die Ringlebener und ihr Hauptmann, obwohl er sehr profitiert vom Tod des Herrn von Severn. Er hatte einen Konflikt mit dir und mit Hazecho, aber nicht mit Ernst. Der Salzherr hat mir erzählt, wie gut sich Hartfried mit Herrn Ernst verstanden hat. Das er am Ende vom Tod von Ernst profitiert, konnte er nicht wissen und es war nicht mal zu ahnen. Zudem ist er jemand, der direkt mit dem Schwert in der Hand auf jemanden losgeht. Bevor er Vogt des Stiftes wird, sollte er zuerst Anstand und Manieren lernen. Es geht nicht immer gut, wenn man mit dem Kopf durch die Wand will!“

Wohl wahr! Als ich aber gedacht hatte, Hermann hätte alle Richtungen, in denen er Manntöter vermutete, abgelaufen, schüttelte er einen weiteren Verdächtigen aus seinem Beutel: „Konrad von Salzburg und die Seinen hat es gar nicht gepasst, dass du Ernst als Klostervogt einsetzen wolltest. Berewigus hatte da wohl eigene Pläne, Verwandte? Er war an diesem Morgen nicht in der Kemenate, soweit ich weiß. Wo war er?“

Der Prior? Tatsächlich, auch er? So wird er nicht lange Prior bleiben, fürchte ich. Was fiel ihnen ein, den Flüchtlingen, die ich hier aufgenommen habe?! Zwar wusste ich, das zu viel Vertrauen schadet, aber ich hatte bisher keine Gründe gehabt, gegen Konrads Gruppe misstrauisch zu sein. Vielleicht waren sie zornig, dass hier die Stifter den Vogt bestimmten und nicht das Kloster, das war zu verstehen, aber würden sie deswegen Ernst umbringen? Ich war mir nicht sicher, drum schickte ich Hermann nicht zu den Mönchen, noch nicht! Doch hatte mein Herr Vogt gute Arbeit geleistet, aber mich damit um den Schlaf gebracht, weil mir das alles wieder und immer wieder in den Sinn kam. Waren die Gefahren in dieser Welt nicht schlimm genug? Musste die Heimtücke, das Messer im Dunklen dazu kommen? Armer Ernst, so dachte ich unter meiner warmen Decke, du liegst schon in deinem kalten Grab. Wie konntest du ahnen, dass du dir so viele Feinde machen würdest, nur weil du deinem Freund geholfen hast. Er gab alles auf für unsere Freundschaft, seine gesicherte Stellung beim Kaiser, seine Aussicht auf eine eigene Burg womöglich, ein eigenes kleines Lehen. Was erhielt er für all diesen Verzicht: Den Tod und ein klammes Grab obendrauf! Herr, was hast du dir dabei gedacht? Oder war es einfach konsequent, für ein ewiges Leben auf alles zu verzichten, Besitz und Erdendasein?! Oder hast du ihn schon zu dir genommen, um mir zu zeigen, das ich bald folgen muss? Oder war sein Tod als Märtyrer, ja, so möchte ihn nennen, und der sofortige Aufstieg in die himmlische Herrlichkeit ohne Prüfung, Verzug und Fegefeuer, die Belohnung für die Rettung deines erzbischöflichen Dieners und für seine grenzenlose Freundesliebe. So soll es sein! So muss es sein! Ach Ernst, ich freue mich, dir wieder zu begegnen. Nicht anders kann es sein! Du bist schon erlöst, ich hoffe nur darauf.

Ich erhob mich noch einmal aus dem Bett, schloss die Fensterluke wieder und sprach Gebete, bis mich der Schlaf übermannte. Ich kehrte zurück unter die Decken. Schon morgen früh würde mich die Straße nach Frankfurt rufen.

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

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