Der älteste und der treuste Mann des Herrn

3. September 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Der Herbst zieht ins Land. Die Magd erzählt.

XIX. Rada, der erste Herbstmorgen 1116

Aus den Notizen des Rotger: Er gehörte zum Haus, zum Tor, zur Mauer, an keinen anderen Platz hätte ich ihn mir vorstellen können, der älteste und der treuste Mann des Herrn, doch steht er nimmer mehr an seinem Platze.

„Gut, das du kommst, hoher Salzherr.“, so sprach ich zum Herrn Hazecho, „Die ganzen Tage war das Wetter so schön, doch will der Herr Adalgot nach Frankfurt aufbrechen, dann schüttet es wie aus Eimern.“

„Was ist hier geschehen?“, so fragte mich der Herr ungeduldig. „Nun, Herr“, antwortete ich, „Du weißt es sicher noch nicht, dass ich nicht mehr dem Herrn aufwarte, weil der Herr Hermann dem Herrn Heinrich vermeldet hat, das mir der Rudwic nachstellen würde und da er in der Nacht auf unseren Erzbischof aufzupassen habe, nicht abgelenkt sein soll, außerdem wollten sie mich nicht mit Kind auf der Burg sehen, jedenfalls keins ohne Segen, ich kann also gar nichts wissen.

Schau mich nicht so an! Ich weiß, was Du sagen willst. Ja, die störrische Amalrada ist doch hinauf auf die Burg, ich wollte Rudwic am frühen Morgen mit einem heißen Kräutertrank wachhalten. Es war nicht in der Nacht! Drum wird es nicht verboten sein. Ja, sicherlich hätte ich mir auch einen Kuss abgeholt, einen süssen Krölwitzer Kuss, minniglich, aber nicht mehr, das könnt ihr mir schon glauben. Ich mag es nicht, wenn man mich ungefragt anfasst und er nimmt seine Wachpflicht sehr ernst. Ich bin auch keine, die rasch die Röcke hebt, mein Herr! Gut, dass Herr Adalgot ein so gottestreuer und ehrbarer Herr ist. Weißt du, was Herr Konrad an Geschichten von Italien erzählt hat? Nein, willst du nicht hören, hast du schon selbst und kannst es dir denken! Gewiss wollte Herr Konrad auch, dass ich für ihn das Kleid schürze, wenn er mir so etwas erzählt. Da kam aber Herr Ernst und Herr Konrad schickte mich mit einem Auftrag fort. Sein Glück! Rudwic hätte ihn in die Saale geworfen, hätte er gefordert, was sich nicht schickt. Herr Ernst hatte den Bischof streng angeblickt. Er konnte streng schauen, der Herr Ernst. So schaut der Herr Christ vom Kreuz herab, wie Herr Ernst im Leben schaute. Weißt du, so als kenne er alles, alle Freude und alles Leid dieser Welt. Als müsse er sich dafür verantworten, obwohl es nicht seine Sache ist und mitunter doch. So schaute der Herr Ernst. Ich weiß nicht, ob ich es richtig beschrieben habe.

Also, Herr, ich schürte das Feuer, brühte die Kräuter auf und eilte nach dem Aufbrühen nach oben zur Burg. Ich wusste, Cuno war gutmütig und würde mich mit einer Ermahnung zu Rudwic durchlassen, der im Eingang der Kemenate Wache stand. Ja, ich bin mir sicher, dass mich der Rudwic heiraten wird. Und ich sage ihm immer, er soll vorsichtig sein. Wie du weißt, Herr, habe ich bereits meine Brüder im Krieg verloren. Herr Heinrich kannte meinen Vater und hat mich deswegen in Dienst genommen. Deswegen hat er auch stets eine strenges Auge auf mich und besonders auf die, die ein Auge auf mich haben. Als ich den Berg hinauf bin, stand die Pforte zur Burg offen. Ich war sehr erstaunt, weil Cuno trotz seines Alters seine Pflicht sehr genau nahm und bereits in der Dämmerung die Pforte sehr gewissenhaft schloss. Und er öffnete sie erst wieder, wenn es so hell war und er etwas erkennen konnte. Er sagte, er könne nicht mehr so richtig sehen, was sich da bewegen würde, daher mache er lieber die Pforte gleich zu, es müsse gegen die Tür gerannt werden, so wisse er dann, ob es Tier oder Mensch gewesen wäre. Noch etwas weiß ich von Cuno, er kann nach Geräuschen mit dem Speer werfen. Er hört das Geräusch, er wirft und trifft! So ist er in der Nacht, wenn ihn nicht das Auge täuscht, gefährlicher als Herr Imradus!

Welcher Teufel treibt hier sein Unwesen!?

Verzeiht, ich sollte weitererzählen, was geschah: Die Pforte war also offen und ich schlüpfte hindurch. Es kam mir seltsam vor, Herr! Ich hatte mit Cuno ein Klopfzeichen vereinbart, damit er weiß, ich bin es, die Rada. Es wäre nicht notwendig gewesen, für mich die Pforte offenstehen zu lassen und das hatte er sicher auch nicht. Deswegen wollte ich nach ihm sehen. Ich legte meinen Korb mit dem Krug ab und stieg die Leiter zum Torraum hinauf. Ich fand den Cuno. Er lag dort in seinem Blute. Wie schrecklich! Ich begann zu schreien. Ich schrie gewiss ganz Giebichenstein wach, Herr! Rasch kamen Rudwic, Herr Konrad im Hemd, aber mit Schwert, Herr Heinrich und einige Knechte herbei. Zuerst kam ich in Verdacht, aber das war rasch geklärt. Weder steckte in Cuno ein Messer, noch hatte ich eins dabei. Rudwic nahm mich in den Arm und führte mich fort. Herrn Heinrich hörte ich sagen, als er Cuno untersuchte: „Nichts mehr zu machen, ein sauberer Stoß, präzise, tödlich, genauso wie beim Herrn Ernst. Da war jemand gewohnt zu töten, würde ich sagen.“

Er hatte nicht einmal missbilligend geschaut, als mich Rudwic fortgeführt hatte. Herr Adalgot kam uns entgegen. Rudwic erstattete ihm kurz Bericht. Der Herr antwortete:

„Führe das arme Kind ans Feuer in der Kemenate. Der junge Mönch Lambert hat es schon geschürt. Ich schaue mir an, was geschehen ist. Welcher Teufel, bei allen Heiligen, treibt hier sein Unwesen!? Und warum bekommen wir ihn nicht zu fassen?“

„Sollte nicht mein Schwert, Herr, bei Euch sein?“, fragte mein Rudwic besorgt.

„Du hast jetzt dein Tun, mir wird nichts geschehen. Der Tod war schon da und ist wieder gegangen.“

„So ist es wohl, Herr.“

Rudwic setzte mich wie befohlen, aber zu seiner Freude, hoffe ich, auf einem Schemel ans Feuer und sprach beruhigende Worte zu mir. Herr Lambert bereitete mir einen heißen Kräutertrunk. Das wollte ich doch für Rudwic tun! Draußen begann der Regen. Er hatte sich Zeit gelassen, kam aber endlich. Es begann der Herbst. Hoffentlich waren die Bauern mit der Ernte bereits weit vorangekommen.

„Dein Mädchen, Rudwic?“, fragte der Mönch. Er hatte ein offenes Gesicht. Er war Geistlicher aus Überzeugung. Davon gab es nicht viele.

„Ja, so hoffe ich, auch bald meine Frau, Herr“, antwortete mein Rudwic. „Bruder!“, lächelte Lambert, „Nicht Herr, Bruder! Das freut mich. Ich werde euch dann segnen.“ Mir wurde ganz warm ums Herz bei solchen Worten, aber ich war immer noch traurig wegen Cuno. Und begann zu weinen. „Wir werden unseren ersten Sohn nach Cuno benennen, das schwöre ich“, sagte Rudwic, um mich zu trösten.

„Hört, hört, hier sind viele Zeugen“, sagte Herr Konrad, der zusammen mit Herrn Konrad eintrat. „So nah liegen Tod und Leben also beieinander“, sprach Herr Adalgot, „Sei es drum! Wir bringen keine Neuigkeiten, außer das Cuno nicht mehr unter den Lebenden weilt und erdolcht wurde. Das muss ein Ende haben!“ Herr Adalgot war außer sich. Aber mehr kann ich dir, Herr, nicht berichten.“

Herr Hazecho war damit zufrieden und ließ mich weiter arbeiten. Ich war weiterhin, Gott sei es gelobt, im Hof des Herrn Heinrich von Giebichenstein beschäftigt. Aber ich hatte gesehen, das Heinrich und Rudwic den Bauplatz für unser Haus abgeschritten haben. Ich hörte dabei die Worte: „Herr Adalgot ist sehr zufrieden mit dir und damit du in seinen Diensten bleibst, schenkt er dir den Platz, Bauholz und einen Gemüsegarten innerhalb des Walls. Du kannst dich dann mit der Dienerin verheiraten. Auch das hat er dir gestattet.“ Was hatte ich für ein Glück! Fast so, wie das, was Herr Ernst erzählt hatte. Aber beim Gedanken über den guten Herrn Ernst wurde mir ganz klamm und traurig ums Herz, denn Herrn Ernst war so viel Glück nie vergönnt gewesen. Er hatte sein Leben lang töten müssen und fand am Ende durch einen Dolch seinen Tod.

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

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