Er urteilte und es war gerecht

17. September 2017 | Kultur | Keine Kommentare

Was bisher geschah: Ein Archäologe hat uns auf das bisher unbekannte Manuskript des Rotger aufmerksam gemacht. Sachsen hat sich wieder einmal gegen den salischen Kaiser erhoben. Es gibt zwei Handlungsebenen: In der Rückblende Weihnachten 1114 flieht der Erzbischof mit Hilfe seines Freundes vor dem Kaiser. Ernst von Severn ist hin- und hergerissen zwischen seiner Freundschaft zu Adalgot und seiner Treue zum Kaiser. Im Winter 1115 sammeln die Kaiserlichen und die Sachsen ihre Heere. Es kommt zur Schlacht. Die Sachsen siegen. Im Spätsommer 1116 wird der Freund des Erzbischofs, Ernst von Severn, ermordet. Das Leben muß weitergehen: Der Erzbischof gründet sein „neues Werk“.  Der Herbst zieht ins Land. Auch der Wächter Cuno wird ermordet. Endlich wird ein Täter gefunden. Das Gericht des Erzbischofs spricht ein Urteil. Aber es gibt Zweifel.

Adalgot, Winter 1116 / 1117

Aus den Notizen des Rotger: Herr Adalgot hatte Gericht zu halten. Er urteilte und es war gerecht.

Burgküche

Erst in der Dunkelheit des Novembers war ich nach den gescheiterten Verhandlungen mit den Unterhändlern des Kaisers, er selber weilte in Italien, wieder in meinem Haus in der Siedlung Giebichenstein. Es stürmte draußen, die Fenster waren dicht geschlossen, Licht spendete nur das Feuer im Kamin und ein einsames Talglicht auf dem Tisch. In dieser Zeit war man besser nicht allein, auch ein Erzbischof nicht. Davon abgesehen, dass der Mensch nur in Gemeinschaft ein Mensch ist. Bischof Konrad war nicht länger mein Gast. Er versuchte alles, um sein Bistum zurück zu gewinnen und zog dafür auch in den Krieg. Ich sandte Vasallen und Truppen zu Lothar, hielt mich aber, wenn es ging, persönlich aus den Kampfhandlungen heraus. Im Gegensatz zu Ernst war ich nicht zum Kriegsmann geboren. Aber auch ihn hatte der Wille des Herrn dazu gemacht. Im November, im Regen und Schlamm, hielt der umsichtige Mann ohnehin das Schwert in der Scheide, allzu schnell rostete es sonst!

Auch der Herr hatte sich mit Männern und Frauen umgeben. So tat ich es auch. Das waren die drei Neuwerker, wie ich sie nannte: Prior Berewigus, sein junger Mitstreiter Lambert und der Klostervogt Hartfried, der im Gegensatz zu seiner Schwester Hatmunda nicht geheiratet hatte. Das gefiel den Mönchen! Ich hörte aber von ihm, das Hazechos Frau wieder Nachwuchs erwartete. Gepriesen sei der Herr!

Mich umgaben außerdem Rudwic, sozusagen als Leibwache in diesen unruhigen Zeiten, seine Frau Rada, die uns aufwartete, beide habe ich in Absprache mit Heinrich zu meinen Haushütern in meiner Abwesenheit ernannt. Der eben erwähnte Heinrich von Giebichenstein und seine Frau Adelheid waren natürlich auch hier. Habe ich es schon gesagt, es wurde mehr und mehr Sitte, auch Frauen an den Abenden und Zusammenkünften hinzu zu ziehen. Selbst in einem geistlichen Haus wie meinen gab es keinen Grund, daran Anstoß zu nehmen. Es fehlte nur mein Kämmerer Rotger, er war bereits zu Bett gegangen. Gut, er war wahrscheinlich der einzige, den die Frauen stören würden. Es konnte aber auch sein, dass ihn seine angeschlagene Gesundheit plagte. Ich war mir immer unsicher, ob ihn nicht der Herr noch vor mir holen würde, und ob das Bemühen meinerseits um einen anderen Nachfolger intensiviert werden musste.

Aber ich war nicht zum Ausruhen und zum Vergnügen, ich war auch wegen der Pflichten zurück nach Giebichenstein gekommen: Ich wollte mich nach dem Fortschritt des neuen Stiftes erkundigen, ich hatte gegen Merseburg zu rüsten und es gab zu allem Überfluss auch Gericht zu halten: Zwei Männer waren in meinem Haus erstochen worden, der Täter hatte lange gefesselt, gut verwahrt und bewacht auf sein Urteil warten müssen. Aber es gab dafür feste Zeiten und ich achtete darauf, die alten Gesetze auch einzuhalten. Deswegen war ich all denen wie Imradus entgegen getreten, die in einem Strick, einem Baum und einer raschen Tötung die beste Lösung sahen. Wir waren zwar im Krieg, aber dennoch durfte es keine Rechtlosigkeit geben. Nein, ich erinnere mich nicht gerne daran:

Es gibt keine Gnade für Wicmann

Es war in Giebichenstein so üblich, dass das letzte Gericht des Jahres erst nach dem Tag des Heiligen Martin abgehalten wurde. Wicmann war als freier Mann in meine Dienste getreten, wie er nachweisen konnte, hatte deswegen Anrecht auf die erzbischöfliche Gerichtsbarkeit. Als Schultheiß war deswegen nicht Heinrich von Giebichenstein, sondern der erzbischöfliche Vogt Hermann von Sponheim bestellt. Als Schöfen wurden gerade vor Ort befindliche Adlige, Freie und Dienstmannen wie Heinrich von Groitzsch, der alte Herr Thitmar von Trotha, der gerade in seinem Besitz eine steinerne Kirche fertiggestellt hatte, die Vögte Heinrich von Giebichenstein und Hartfried von Ringleben, der Salzherr Hazecho, der Bürger Konrad von Giebichenstein und der Schmied Slodan, der das Schöffenamt zum ersten Mal ausübte und sich dafür angemessene Kleidung leihen musste, wie ich hörte. Als Ankläger fungierte ich nicht selbst, sondern bestellte meinen Vasallen Imradus dazu. Das Gericht, und so war es bei uns üblich, fand nicht hinter verschlossenen Türen, sondern in aller Öffentlichkeit auf dem Platz mitten in Giebichenstein statt. Zwar hatte der Schultheiß mit seinem Stab zu stehen, aber die Schöffen saßen üblicherweise auf ihren Gerichtsstühlen, nicht auf einer Bank. Erlaubt waren keine Kapuzen, keine Hauben, Hüte oder Handschuhe. Die Männer hatten sich in ihre Mäntel eingehüllt, keiner durfte Waffen tragen. Es lagen einige gute Schwerter auf der Oberburg eingeschlossen. In einem weiten Kreis standen Männer, Frauen und Kinder der Siedlung um das Gericht herum. Rotger und mir hatten Knechte zwei Stühle herbei getragen. Auch hatte ich Wolldecken für die Kälte besorgen lassen. Rotger sollte mir nicht gleich diesen Winter wegsterben. Es war ein ungemütlicher Tag, aber wenigstens regnete es nicht. Der gute Rudwic sorgte mit der Lanze dafür, das uns die Menschen nicht so sehr auf den Leib rückten.

Das Gericht hatte vor einer Vorführung von Wicmann noch über einige andere Dinge zu entscheiden: Es gab eine Streitigkeit zwischen Nachbarn, eine Erbstreitigkeit und eine ernstere Sache wegen der Fischereirechte an der Trothaer Saale, danach konnten wir zum Strafgericht übergehen. Wicmann wurde von einem einzigen bewaffneten Knecht vorgeführt. Ich hatte ihn in eine saubere Tunika stecken lassen, dennoch wirkte er gebrochen und elendig. Ich hätte Mitleid empfunden, wäre da nicht mein toter Freund in der Erinnerung erschienen. An dem einen Ende des Gerichtes stand der Schultheiß mit den sitzenden Schöffen, vor ihnen in der Mitte war der Beklagte Wicmann und sein Bewacher. Auf der anderen Seite stand Imradus als Ankläger allein. Er hielt sein Schwert offen in der Hand. Weder zitterte sein Arm, noch wankte er. Das könnte sonst zu Gunsten des Angeklagten ausgelegt werden.

Die Gerechtigkeit folgte damals festen Regeln genauso wie heute

Der Angeklagte war vorgeführt worden. Das Gericht konnte beginnen: Der Schultheiß sprach die einleitenden Formeln, fragte den Angeklagten, ob dies und jenes wahr sei, das meinte den Namen, die Eltern und seine Tätigkeit im Erzbistum, Wicmann nickte bestätigend und danach legte der Schultheiß den Schöffen die Ergebnisse seiner Inquisitio vor. Dazu gehörten die Beweise, also der bei Wicmann gefundene Dolch, die Wiedergabe der Zeugenaussagen und die Nacherzählung eines Untersuchungsgespräches, das Hermann mit dem Angeklagten geführt hatte. Das war alles ohne Fehl. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals so eine sorgfältige Anklage vernommen zu haben. Imradus sah mit dem Schwert in der Hand etwas gequält aus. Die Schöffen besprachen sich kurz. Üblicherweise fielen ihre Entscheidungen einstimmig. Das Publikum war heute nicht umsonst gekommen, denn ausgerechnet die Schöffen Hazecho und Heinrich von Groitzsch, ein tiefgläubiger Mann, schlossen sich dem Urteilsspruch nicht an. Hazecho enthielt sich, aber Heinrich votierte sogar dagegen und erklärte sich deswegen: „Ich bin vom Hochverrat des Schreibers Wicmann, Sohn des Hatto, überzeugt. Bereits dafür hätte er den Tod verdient, vielleicht aber hätte man sich einigen können… Mörder aber mag ich ihn nicht nennen, noch dafür aburteilen. Ein Messer oder Dolch tragen wir alle, selbst Schreiber. Das scheint mir als Beweis zu dünn. In der Regel zählt nach altem Gesetz, dass man ihn bei den Toten antrifft, doch wurde er dort gesehen? Nein, das wurde er nicht. Bei keinen von den beiden Getöteten. So wissen wir noch nicht einmal, ob es ein Manntöter war oder deren zwei. Wicmann floh, nahm sich ein Boot, das kann vieles bedeuten. So verurteilt ihn als Dieb und Verräter! Hängt ihn dafür! Das ist das Urteil von Heinrich von Groitzsch. Andere mögen anders urteilen.“

Das war wahrlich ein interessantes Gericht heute! Einige Männer aus Giebichenstein bekundeten Zustimmung. „Das ist nicht von der Hand zu weisen“, murmelte mein Verwandter Rotger. „Was“, fragte ich rachsüchtig, „Wer sonst als ein Kaiserlicher hätte ein Interesse gehabt, Ernst zu erstechen und den treuen Cuno gleich dazu, weil er den Wicmann gesehen hatte.“

Die Giebichensteiner wohnen dem Gericht bei

„Ja“, meinte mein Kämmerer, „Cuno hat etwas gesehen, da habe ich auch keinen Zweifel, aber hat er wirklich Wicmann gesehen, das ist die Frage, die mich beschäftigt.“ Das kam von einem Verwandten und Mann, der sonst nicht viel sprach! Ich war doch sehr verwundert. Mit uns selbst beschäftigt, hatten wir den ersten Teil des Schuldspruchs von Hermann von Sponheim versäumt, hörten aber noch: „… und der Besitz des Wicmann geht als Wiedergutmachung an die Kinder des Cuno, da Ernst von Severn keine Verwandten hat, von denen wir wissen, und mit Wicmann selbst tun wir, was wir nach dem Gesetz machen müssen: Wer einen Mann erschlägt, dem soll man den Kopf abschlagen.“

Der Fronknecht schob Wicmann, der gefasst und ruhig seinem Urteil gelauscht hatte, durch die Menge davon. Prior Berewigus hatte sich an Wicmanns Seite begeben, sobald es ihm erlaubt worden war, um ihn auf seinem letzten Gang zu begleiten und Trost zu spenden. Genau etwas, was Ernst verwehrt worden war, obwohl ich wusste, das er Vergebung und Trost bitter nötig gehabt hatte. Hinter Imradus, der das Schwert immer noch ohne Anzeichen von Schwäche hielt, was angesichts der Länge des Gerichts bewundernswert war, folgten der Schultheiß und die Schöffen. Sie waren notwendig, um zu bezeugen, dass die Urteilsvollstreckung rechtmäßig vonstatten gegangen war und niemand dem Vollstrecker dafür verklagen, an ihm Rache vollstrecken oder in sonst irgendeiner Form belangen konnte. Dem Gericht folgten alle diejenigen, die sich das Schauspiel einer Enthauptung nicht entgehen lassen wollten. Rotger erhob sich mühsam aus dem Scherenstuhl. „Wenn du erlaubst, Vetter, kehre ich an das warme Feuer zurück.“

„Ich komme mit dir“, ich erhob mich, aber schwungvoller, so will ich meinen.

„Du willst nicht sein Haupt fallen sehen?“

„Nein, Rotger, du weißt, das mein Interesse nicht dem vergossenen Blut gilt, sondern der Rettung der Seelen durch Christus und der Bewahrung des Erzbistums als Bollwerk gegen das uns immer noch angrenzende Heidentum. Gleichwohl muss der Gerechtigkeit genüge getan werden. Die Sache ist ausgestanden.“ Er nickte einfach, die Wortkargheit hatte ihn wieder. Wir gingen zu Fuß zum Giebichensteiner Haus empor. Rudwic folgte uns mit der Lanze und den zwei Scherenstühlen am anderen Arm. Auf halber Höhe pausierten wir wegen Rotgers kurzem Atem. Und wie der Zufall es wollte, sahen wir von unserem Platz gerade in diesem Moment auf dem benachbarten Hügel unter dem Galgenbaum Imradus sein Schwert heben. Wir gingen weiter, ohne den Streich abzuwarten.

„Es ist vorbei“, wiederholte ich grimmig, „Und Winter und Frühjahr werden wir zu tun haben, Männer und Waffen für eine Zug gegen den Merseburger zu sammeln. Ich werde den Herzog um Unterstützung anschreiben. Die kann er mir nicht verweigern. Dieses Furunkel Gerhard am Hinten können wir uns nicht mehr leisten!“ In Rotgers Gesicht las ich, was er wirklich von der Beziehung seines Erzbischofs zu Blut und Gewalt hielt.

Fortsetzung folgt.

Paula Poppinga

Die bisherigen Folgen:

Tatort im HalleSpektrum: Die Verdammten vom Welfesholz
Das Schachbrett Kaiser Heinrichs war umgeworfen
Der Giebichenstein, der Giebichenstein, wer einmal dorthin geht, kehrt selten heim.
Mord und Totschlag auf der Burg!
Die Falle in Goslar
Auf der Flucht
Das neue Werk
Der Krieg ist über uns gekommen
Empörer wider Willen
Das Verhör der Magd
Der Mörder war immer der Schreiber!
Wir tun manches aus Freundschaft oder Liebe
Wider allen Rechtes vertreiben sie Arme, Schwache und Kranke
Verdammt sollen sie alle sein!
Als Mönche aus der Fremde kamen
Die Hand, die den Dolch führte, ward nicht gefunden
Der älteste und der treuste Mann des Herrn
Hängt ihn, hängt ihn in den Baum!

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