Corona-Viren und Immunsysten – Teil 11: Chronobiologie und Schlaf

30. März 2020 | Natur & Gesundheit | Keine Kommentare

Wie bekannt, wurden gestern wieder die Uhren auf Sommerzeit umgestellt. Deshalb soll es heute um biologische Rhythmen im Zusammenhang mit unserer Gesundheit gehen, allgemein und in Bezug auf das Immunsystem.

Chronobiologie – die Lehre von biologischen Rhythmen

Die Chronobiologie ist ein Forschungsgebiet, auf dem derzeit viele neue Erkenntnisse gewonnen werden. So beschäftigte sich die Jahrestagung der Leopoldina 2019 mit diesem Thema (Bilder aus dem Vortrag von Steve A. Kay, Kalifornien, auf dem Bild zu sehen).

Rhythmische Schwingung zwischen verschiedenen Funktionszuständen ist ein Grundmerkmal jeder lebenden Zelle. In einem vielzelligen Organismus müssen die Zellen synchronisiert werden, sozusagen „getaktet“. Unser wichtigster Rhythmus ist der Tagesrhythmus, Zeitgeber ist das Licht. Dieses wird über blau-sensitive Netzhautzellen wahrgenommen (Melanopsin-Zellen), auch bei geschlossenen Lidern. Sie sind auch bei Blinden vorhanden und aktiv. Das Signal wird an ein spezielles Zentrum weitergeleitet, den NSC (nucleus suprachiasmaticus, über der Sehnervenkreuzung liegend, unser „drittes Auge“). Der NSC ist der Taktgeber („Funkuhr“) für alle Zellen und Organe unseres Körpers. Das „Funksignal“ ist das Hormon Melatonin, das bei Dunkelheit gebildet wird. Über dieses entsteht die rhythmische Funktion aller unserer Hormone und Körperfunktionen. So steigen im Laufe des Vormittags Temperatur und Blutdruck, Herzfrequenz, Aufmerksamkeit, Lernfähigkeit und Muskelfunktion an, während zu Beginn der Nacht die Regenerationsphase mit Wachstum, Entgiftung und Erholung beginnt. Auch das Immunsystem „schwingt“ in diesem Rhythmus: synchronisiert durch Cortisol wird es morgens herabreguliert und abends aktiviert.

Dieser normale Rhythmus kann durch verschiedene Faktoren beeinflußt werden. Eine Phasenverschiebung durch Licht um jeweils 1 Stunde nach vorn oder hinten ist pro Tag möglich: bei einer Reise über 7 Zeitzonen dauert es also 7 Tage, bis sich der Tagesrhythmus angepasst hat. Weitere Einflussfaktoren sind: erzwungene Bewegung, Nahrungsaufnahme, Schlafentzug, Alkohol und vor allem akuter Stress. Biologisch ist das sinnvoll: in einer akuten Gefahrensituation muss das Gesamtsystem sofort „hochgefahren“ werden (kämpfe oder fliehe, wenn Säbelzahntiger oder Waldbrand drohen), auch nachts in der tiefsten Ruhephase. Dauerstress hingegen führt dazu, dass ständig einige Zellen sämtlicher Organe arbeiten und somit „aus dem Takt“ geraten. Diese Desynchronisierung, die zum Abflachen der Hormon-Tageskurven führt, wird heute mit einer Zunahme chronischer Krankheiten in Verbindung gebracht. So führt beispielsweise die ständige Aktivierung einiger Insulin-produzierenden Zellen zum erhöhten Blut-Insulinspiegel mit der Folge, dass die Ansprechbarkeit sinkt (Rezeptoren werden herunterreguliert). Es entsteht ein Typ-2-Diabetes. Ein ständig erhöhter Cortisol-Spiegel hemmt dagegen die Aktivierung der T-Killerzellen, die für die Virusabwehr unbedingt erforderlich sind.

Empfehlungen (nicht nur) in der Corona-Krise

In der Corona-Krise, in der uns viele Aktivitäten verwehrt sind, können wir die Chance nutzen, unserem Tagesablauf und damit unserem Körper wieder mehr Rhythmus zu geben. Und genügend zu schlafen: 7 bis 8 Stunden sind die Empfehlung für Erwachsene.

Der Taktgeber für eine Re-Synchronisierung aller Rhythmen ist blaues Licht: das helle Blau des Morgenhimmels. Öffnen Sie morgens das Fenster oder die Balkontür für ein paar Atemübungen. Machen Sie einen Morgenspaziergang, wenn Sie können. Das hält Sie gleichzeitig fit und baut Stress ab. Gehen Sie abends bei abnehmendem Licht noch eine Abendrunde (allein, zu zweit, mit ihren Kindern oder Ihrem Hund). Vermeiden Sie blaues Licht vor dem Schlafengehen (unsere Laptops und Smartphones haben einen Peak genau im Melanopsin-Bereich) bzw. benutzen Sie einen Blaufilter. Machen Sie Sport am Morgen oder am Nachmittag. Vermeiden Sie spätes Essen, dadurch wird die Melatonin-Produktion vermindert (Insulin ist ein Gegenspieler vom Schlafhormon Melatonin) und lassen Sie nachts den Kühlschrank zu.

Vielleicht haben Sie in dieser Zeit die Gelegenheit, zeitiger schlafen zu gehen und ein Schlafdefizit auszugleichen. Wenn Sie Probleme mit dem Einschlafen haben, eignet sich eine Entspannungs-CD. Am besten funktioniert es, wenn Sie bereits eine Methode wie die Progressive Relaxation nach Jacobson im Kurs gelernt haben, aber Sie können auch jetzt damit anfangen. Wie bereits in Teil 2 erwähnt, können Sie vor dem Schlafengehen einen kalten Knieguss machen und anschließend Wollsocken anziehen. Kneipp hat „nasse Strümpfe“ enpfohlen: dünne Baumwollsocken in kaltes Wasser tauchen, gut ausdrücken, Wollsocken darüberziehen und ins Bett gehen. Bei kalten Füßen vorher ein warmes Fußbad machen. In einer Schweizer Studie war die schlaffördernde Wirkung besser als bei der Gabe von Melatonin in Tablettenform.

Wenn es nicht anders geht, können Sie ein pflanzliches Schlafmittel nehmen (aus der Apotheke). Baldrian allein wirkt beruhigend (über den Benzodiazepin-Rezeptor), aber die volle Wirkung erreicht man erst nach einer Einnahmezeit von 4 Wochen. Schneller wirksam ist die Kombination mit Melisse, Hopfen oder Passionsblume. Sehr gut geeignet sind auch Lavendel-Kapseln, vor allem älteren Menschen mit Schlafstörungen sind sie zu enpfehlen.

In diesem Sinne: schlafen Sie gut und wachen Sie entspannt auf.

 

Dr. med. Annette Kreutzfeldt, Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin und Immunologie, Kneipp-Ärztin

Weitere Artikel dieser Serie:

Print Friendly, PDF & Email

Kommentar schreiben