Großveranstaltungen in Corona-Zeiten? Unimedizin Halle stellt Forschungsprojekt vor

18. Juli 2020 | Bildung und Wissenschaft, Nachrichten, Politik, Wirtschaft | Ein Kommentar

 

Startschuss für ein wegweisendes Corona-Forschungsprojekt

Die Folgen des Ausbruchs von Covid-19 können wohl als tiefgreifendste Einschnitte ins gesellschaftliche Leben seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet werden. Kann es in diesen Zeiten, in denen das Virus weltweit noch lange nicht unter Kontrolle scheint, seitens der Politik überhaupt Großveranstaltungen geben, ohne zugleich ein erhöhtes Ansteckungs- und Infektionsrisiko der Bevölkerung in Kauf zu nehmen?

Auf diese Frage versucht aktuell auch die Wissenschaft eine Antwort zu finden. Aus diesem Grund stellten Sachsen-Anhalts Wissenschaftsminister Prof. Dr. Armin Willingmann, die sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping und der Dekan der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Prof. Dr. Michael Gekle, am Freitag die vom Land Sachsen-Anhalt und dem Freistaat Sachsen geförderte und bisher deutschlandweit einzige Studie zur Simulationen des Übertragungsrisikos von COVID-19, mit dem Namen „RESTART-19“, offiziell vor.

Im Rahmen eines Groß-Experiments mit 4000 Freiwilligen soll dabei erforscht werden, ob und wie Sport- und Kulturveranstaltungen unter Pandemie-Auflagen in geschlossenen Räumen stattfinden können und was es bei der Umsetzung von Hallen-Großveranstaltungen konkret zu beachten gilt.

Restart-19 Vorstellung

 

Vor allem die Veranstaltungsbranche leidet

Als es im März zum landesweiten Lockdown kam und das öffentliche Leben weitestgehend heruntergefahren wurde, stieß dies zunächst auf breites Verständnis in der Bevölkerung. Dennoch boten viele politische Entscheidungen auch Raum für Skepsis, sodass die Kosten-Nutzen-Abwägungen in der Corona-Krise zunehmend in Frage gestellt werden. Viele Menschen hierzulande fühlen sich demnach ungerecht behandelt oder fürchten schlicht um ihre Existenz. – Schließlich können die bereitgestellten finanziellen Unterstützungsleistungen des Staates nur eine vorübergehende Lösung sein.

„Der Bereich der Kultur- und Sportevents ist einer der besonders stark von den Maßnahmen zur Eindämmung des CORONA-Virus betroffen, für dessen Fortbestand es nun wichtig ist, andere Lösungswege als die kurzfristigen finanziellen Soforthilfen zu finden.“, betonte Minister Willingmann.

Dem pflichtete auch Prof. Dr. Michael Gekle bei und erläuterte: „Covid-19 ist ein Stresstest für uns alle. Mit RESTART-19 geht es nun darum, die richtigen Schritte für ein bestmögliches gesellschaftliches Zusammenleben trotz Corona zu bestimmen.“ Er sei stolz, dass sich nun zwei Bundesländer zusammengeschlossen hätten, um gemeinsam zu forschen – und ergänzte: „Allein das grenzt im föderalen Deutschland bereits an ein Wunder.“

 

Politische und wissenschaftliche Zusammenarbeit – länderübergreifend

Finanziell wird das Projekt RESTART-19 vom Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung des Landes Sachsen-Anhalt und den Staatsministerien für Wissenschaft, Kultur und Tourismus bzw. Soziales und Gesellschaftlicher Zusammenhalt des Freistaates Sachsen zu gleichen Teilen unterstützt. Außerdem stellt die Universitätsmedizin Halle weitere 80.000 Euro aus Eigenmitteln bereit. Insgesamt stehen somit fast eine Millionen Euro an Forschungsgeldern zur Verfügung.

„Wenn wir künftig wieder Großveranstaltungen zulassen wollen, benötigen wir wissenschaftliche Erkenntnisse darüber wie wir das Infektionsrisiko minimieren und für alle Teilnehmer mehr Sicherheit schaffen können. Das ist den finanziellen Aufwand daher allemal wert!“, erklärte Petra Köpping.

Was soll konkret passieren?

Zum genauen Ablauf der Studie erläuterte Projektleiter Dr. Stefan Moritz von der Universitätsmedizin Halle: „RESTART-19 besteht aus mehreren Teilprojekten, die zur Entwicklung eines mathematischen Modells zur Berechnung des Ausbruchs-Risikos nach Hallen-Großveranstaltungen führen sollen. Am 22. August 2020 wird dafür in der Quarterback Immobilien Arena in Leipzig eine Veranstaltungssituation mit 4000 Teilnehmern simuliert werden, bei der unter anderem die Analyse der individuellen Aerosolverteilung, die Dauer und Intensität der stattfindenden Kontakte und die Identifikation kritischer Oberflächen im Vordergrund des Interesses stehen.“

In der ersten von drei Phasen soll demnach zunächst eine normale Konzertsituation simuliert werden, bevor selbige mit angewendeten Schutz- und Abstandsmaßnahmen in der zweiten, und abschließend nur unter Teilnahme der Hälfte der Probanden in der dritten Phase erneut durchgeführt werden soll.

„Und damit es nicht zu trocken wird, unterstützt neben den DHfK-Handballern aus Leipzig auch der Sänger Tim Bendzko das Experiment mit einer Konzertsimulation.“, so Moritz weiter.

Projektleiter Dr. Moritz

 

Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?

Obwohl das Experiment bereits in knapp einem Monat stattfindet und für wissenschaftliche Verhältnisse extrem schnell organisiert werden konnte, wird mit konkreten Ergebnissen vermutlich erst im Herbst zu rechnen sein. Bis mindestens Ende Oktober bleiben Großveranstaltungen demnach auch weiterhin untersagt.

Dennoch könnten Ergebnisse auch mit Blick auf im Winter anstehende Veranstaltungen wie etwa Weihnachtsmärkte einen großen Erkenntnisgewinn versprechen, gab Minister Willingmann zu bedenken, während seine sächsische Kollegin Köpping daran erinnerte: „Es ist wichtig zu verstehen, dass die möglichen Ergebnisse der Studie in keinem Fall die bisherigen Hygienemaßnahmen ersetzen können! Es geht lediglich darum die Schwerpunkte und Risiken der Übertragung aufzuzeigen und gegebenenfalls zu minimieren.“

Ende offen

Wie so oft bei wissenschaftlichen Experimenten ist auch der Ausgang bei RESTART-19 völlig offen. Demnach könnte nach Ablauf der Studie auch die Erkenntnis stehen, dass Großveranstaltungen unter Berücksichtigung des Ansteckungsrisikos mit COVID-19 schlicht nicht möglich sind.

Eine weitere Frage wirft in diesem Zusammenhang auch die Rentabilität von Veranstaltungen auf, die unter strengen Corona-bedingten Maßnahmen stattfinden.

„Wir stehen erst ganz am Anfang einer vermutlich noch folgenden langen Reihe weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen.“, sagt Prof. Dr. Michael Gekle hierzu: „Es liegt also ein noch weiter Weg vor uns!“

 

Zur Durchführung der Experimente werden noch gesunde Probanden/innen im Alter von 18 bis 50 Jahren gesucht!

Weitere Informationen zum Projekt, zum Ablauf und den Risiken des Experiments gibt es auf der Internetseite: www.restart19.de

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