Mit Haustorien hausierend: klappernder Schmarotzer

12. April 2021 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Auf feuchten Niedermoorwiesen fühlt sich unsere Rätselpflanze wohl. Durch Trockenlegung sind solche Biotope allerdings rar geworden. Auch häufiges Mähen und Düngen lässt den Feuchtwiesenbewohner immer seltener werden. Er steht inzwischen auf der Roten Liste der bedrohten Blütenpflanzen. Von Mai bis August setzt die ca. 60cm hohe Pflanze mit ihren leuchtend gelben Blüten belebende Farbtupfer. Nur langrüsselige Insekten, wie Hummeln, Bienen oder Schmetterlinge können über den Blüteneingang den süßen Nektar erreichen und dabei die Bestäubung durchführen. Kurzrüsselige Bienen und Hummeln treten bisweilen als Nektarräuber in Erscheinung. Sie beißen sich von außen zur Nektarquelle durch. Eine Bestäubung findet hier nicht statt. Neben der Insektenbestäubung kann auch Selbstbestäubung erfolgreich sein.

Das Sommerwurzgewächs ist verwandt mit Fingerhut und Königskerze. Es zapft mit speziellen Wurzeln (Haustorien) die Wurzelsysteme von Wiesengräsern an und bedient sich an deren Fotosyntheseprodukten. Eigene Fotosynthese ist aber noch möglich. Die Pflanze wird deshalb als Halbschmarotzer bezeichnet. Ihr Nährwert ist für das Weidevieh gering. Ebenso der der parasitierten Gräser. Frisch ist die Pflanze  sogar leicht giftig (Aucubin). Man hat sie früher gegen Kopfläuse verwendet. 

Das Erscheinungsbild der Pflanze kann sich im Jahresverlauf vielgestaltig entwickeln, so dass selbst gewiefte Freunde der Botanik bei der genauen Bestimmung ins Schwitzen geraten können. Ihren deutschen Namen verdankt die Pflanze den reifen Früchten, in denen die Samen laut vernehmlich klappern, wenn sie bewegt werden. Ihr wissenschaftlicher Name leitet sich vom nasenförmigen Teil der Blüte ab.

Wer ist dieser Halbschmarotzer?

(H. J. Ferenz)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Back to the roots: Mache Eior – und zwar rote“): Färberkrapp, Rubia tinctorum

Unsere Pflanze, so unscheinbar sie auch aussehen mag, hat einen Teil europäischer Kulturgeschichte geschrieben – vor allem auch Industriegeschichte.

Gesucht wurde der Färberkrapp, Rubia tinctorum. Er gehört zur Familie der Rubiaceen – zu der nicht nur der äußerlich kaum ähnliche Kaffeestrauch, sondern auch verschiedene Labkräuter und sogar unser bekannter Waldmeister gehören. Krapp sieht auch tatsächlich ein wenig aus wie ein Waldmeister – nur ist er sehr viel größer. Markant sind seine Kletthaken, die den Stängel und Blätter überziehen, und mit denen er sich an Zäunen und Gebüsch bis zu 2 Metern emporklimmen kann.

Seine ursprüngliche Heimat ist unbekannt, vermutlich stammt die Pflanze aus Vorder- oder Mittelasien. Ähnlich wie einige seiner direkten Verwandten enthält die Pflanze in den Wurzeln so genannte Hydroxyanthrachinone. Das sind überwiegend gelb bis orange erscheinende Farbstoffe, deren Farbeindruck sich zu einem kräftigen Rot verschiebt, wenn sie sich mit manchen Metallkationen zu Komplexen verbinden – insbesondere mit Aluminium, Calcium oder Magnesium.

Dies hat man sich schon in der frühen Bronzezeit zu Nutze gemacht, um Textilien und Leder dauerhaft kräftig rot zu färben. Die ältesten Nachweise hat man jüngst in den farbigen Textilien der gut erhaltenen Mumien von Xinjiang (Westchina) gefunden, die aus der Zeit um 1800 und 1000 v. Ch. stammen.

Auch die mediterrane Antike hat von der Färbepflanze ausgiebig Gebrauch gemacht. Dabei ist es nicht ganz trivial, mit Krappwurzeln Textilien zu färben, es bedarf dazu schon einer ausgefeilten Technologie. Um die Farbe dauerhaft auf der Faser zu fixieren, benötigt man nicht nur die Wurzel, sondern muss die Fasern mit einem Beizmittel behandeln. Meistens wurden dazu Aluminiumsalze wie Alaun benutzt, oft aber auch feine Tonerden,  in Kombination mit Kalk. Diese Beizmittel binden chemisch auf der Faser. Gibt man die so vorbehandelten Fasern in einen heißen Sud aus Krappwurzeln, binden sich die gelben Farbstoffe auf das Aluminium, das seinerseits fest an der Faser haftet. Dort bildet ich dann der intensiv rote Aluminium- Farbstofff- Komplex. So bindet der Farbstoff seinerseits fest auf der Faser, und lässt sich nun nicht mehr auswaschen.

 

Lange Zeit hatte diese Methode jedoch einen Haken: die Bindung der Metallsalze gelang nur auf tierischen Fasern wie Wolle oder Seide. Pflanzenfasern nahmen die Beize nicht an, ließen sich also nicht färben. Erst im 18. Jahrhundert entdeckten Färberfamilien im damals zum osmanischen Reich gehörenden Nordgriechenland, wie man das Problem umgehen könne. Man nahm damals an – vor dem Hintergrund einer eher alchemistischen Denkweise – dass man die Pflanzenfaser irgendwie „animalisieren“ müsste, also ihnen tierische Eigenschaften anzuerziehen. Das versuchte man mit abenteuerlichen Mischungen aus Schafsmist, Fischabfällen, Fetten und Ölen -und hatte Erfolg. Heute wissen wir, dass es die Öle gewesen sind, die sich zusammen mit dem Aluminium auf die Faser binden -worauf dann auch der Farbstoff andocken konnte.

Man versuchte, das Rezept in den Familien geheim zu halten – aber wie es bei allen Geheimnissen ist, hinter denen  wirtschaftlicher Erfolg steht – irgendwann kommt alles raus (Hier gibt es mehr zu der Geschichte). Als immer mehr Griechen das osmanische Reich  Richtung Frankreich verließen, errichteten sie Färbereien in Paris – von wo die neue Technologie – von Geheimnissen weitgehend befreit – sich in Europa verbreitete, besonders auch in Deutschland, wo überall „Türkischrot“- Färbereien entstanden. Mit der neuen Technik ließ sich gutes Geld verdienen, allerdings waren die Prozesse noch umständlich und der Anbau von Krapp (auch in Thüringen und in der Umgebung von Halle wurde er angebaut) verbrauchte landwirtschaftliche Nutzfläche in große Maße. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts waren bunte Textilien wegen der umständlichen Herstellung noch nicht für jedermann erschwinglich, und wurden deshalb  immer als Kennzeichen hohen sozialen Status betrachtet. Das änderte sich nach 1869 schlagartig.

Den beiden Chemikern Carl Graebe und Carl Liebermann war jetzt gelungen, die chemische Zusammensetzung eines der Hauptfarbstoffe des Krapp, des Alizarins, aufzuklären, und, darauf aufbauend, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem man diesen Farbstoff in der Retorte aus kostengünstigen Chemikalien, die aus dem Abfallprodukt aus Steinkohlenteer bequem zu beschaffen waren, künstlich herzustellen. Wie Pilze schossen nun „Alizarinfabriken“ aus dem Boden, zusammen mit anderen „Teerfarbenfabriken“ verbilligten sie in Windeseile gegen Ende de 19. Jahrhunderts  die einst teuren Farbstoffe – so dass sich bald jeder farbige Kleidung leisten konnte.

Farbspektrum wird demokratisch

Schon bald galten bunte Textilien nicht mehr als Luxus, Buntheit geriet bald sogar oft in den Ruch des „Billigen“. Doch die T eerfarbenindustrien erweiterten ihre Produktpalette, und bald stellten sie nicht nur künstliche Farben, sondern auch Arzneimittel wie Aspirin her. Viele der heute bekannten großen Chemiekonzerne haben in dieser Teerfarbenindustrie ihren Ausgang genommen: Bayer, Höchst, BASF…

Industriefarben: Fluch und Segen

Während einerseits die Buntheit immer erschwinglicher wurde, hatten die einstigen Krapp-Bauern das Nachsehen: sie wurden ihre Ware nicht mehr los, mussten umstellen oder aufgeben. Und die umsatzstarken Chemiefabriken scherten sich anfangs kaum um die Umwelt: sie lagen nicht nur an den großen Flüssen Europas, um ihre Ware auf dem Schiff transportieren zu können. Die Abfälle mussten schließlich auch irgendwo hin.

Seit den 1980er Jahren haben sich „Pflanzenfarben“ allerdings wieder eine kleine Nische erobert, besonders umweltbewusste und auch „betuchte“ Käufer finden dort gelegentlich wieder hin.

Aber zurück zu den Ostereiern: Bis in die 1970er Jahre gab es wunderschöne Ostereierfarben in Tablettenform, mit denen man im Handumdrehen ganz toll bunte Eier färben konnte. Allerdings: viele der damals verwendeten Farben stellten sich als krebserregend oder giftig heraus, oder wurden zumindest dessen verdächtigt.

Die heutigen „Öko-Farben-Tabletten“ liefern leider meistens nur recht blasse Ergebnisse. Wer es kräftiger haben will, dem sei durchaus das Rezept empfohlen, wie es in der Pflanze der Woche-Story beschrieben ist. Es funktioniert tatsächlich sehr gut. Die dazu nötigen Krappwurzeln findet man nach wenigen Mausklicks im Netz. Wer eine ungenutzte Ecke im Garten hat, kann sie auch selbst anbauen. Die (ziemlich hässliche) Pflanze mag Sonne, ist durchaus robust, allerdings sorgen ihre Ausläufer dafür, dass man sie kaum noch los wird.

Die roten Eier sind mit Krapp gefärbt, die übrigen mit herkömmlichen, käuflichen Eier-Farbe-Tabletten.

 

 

 

Zu den Fragen: Die hat User „Rati“ schon richtig beantwortet. Warum sich das Ei rot färbt: hier sorgt das Calcium der Eierschale für den Beizen-Effekt.

Agricola fragt: „mit Rotkohl rot färben?“

User Agricola hat irgendwo  gelesen, man könne auch mit Rotkohl Eier rot färben. Die Hallespektrum-Versuchsküche hat es ausprobiert. Das amtliche Endergebnis steht nun fest: Nach einer halben Stunde Kochzeit war der Saft im Topf noch immer rot – und die beiden Eier noch allenfalls blasslila.

Ein sprichwörtlich „blaues Wunder“ erlebten wir jedoch, als wir die Eier heraushoben und zum Trocknen hinlegten. Die anfänglich blasslila-rosa gefärbten Eier schlugen binnen weniger Minuten in ein scheckiges Himmelblau um.

Grund: Die Farbe der Anthocyane, das sind die Farben, die im Rotkohlsaft stecken, hängt vom pH-Wert oder dem „Gegenion“ ab, mit dem es sich verbindet. Der Saft ist sauer, da sind die Farbstoffe rot. Auf der kalkhaltigen Eierschale werden sie neutralisiert, beim Liegen-lassen reagieren sie unter Bildung blau gefärbter Calciumkomplexe.

(H.W.)

 

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