Back to the roots: mache Eior, und zwar rote !

5. April 2021 | Bild der Woche | 5 Kommentare

„Diese blöden Öko-Eier-Farben taugen überhaupt nichts“, schimpfte Heino. Verzweifelt rührte er in den Gläsern mit den Eiern herum, in denen er jeweils eine Farbentablette aus einer Papiertüte gelöst hatte. „Früher waren die Eierfarben viel bunter“, fand auch  Elfriede, als Heino immer wieder enttäuscht ein allenfalls blassgrünes, hellblaues oder rosafarbenes Ei mit dem Löffel heraushob. „Vielleicht erhitzen“ dachte sich Heino, und setzte ein Glas mit den Eiern und der rötlichen Farblösung in die Mikrowelle. Der kurz darauf folgende Donnerschlag ließ beide instinktiv zusammenzucken, dann folgte Elfriedes gellender Schrei. „Meine Küche !!! was hast Du Idiot gemacht? Eier in der Mikrowelle, wie kann man nur so bescheuert sein !“.

Keine gute Idee: Eier in der Mikrowelle färben

Sowohl der dumpfe Knall der explodierenden Eier als auch Elfriedes hysterisches Geschrei muss in der gesamten umliegenden Nachbarschaft zu hören gewesen sein.

Es klingelte an der Tür, der alte Herr Wassilis von nebenan war da. Leicht amüsiert hörte er sich an, was vorgefallen war. „Dass Ihr Deutschen keinen Flughafen hinbekommt, ist ja geschenkt. Aber dass ihr keine Eier machen könnt.. “

„Und, Herr Wassilis, wie machen Sie denn Eier?“

Eier „natürlich“ rot färben

„Wir machen eigentlich fast nur rote. Und die werden richtig schön. Wie das Blut Christi. Und „öko“ sind die sogar auch. Wisst Ihr was, ich bringe Euch eben mal was aus dem Garten mit, war ohnehin gerade beim Graben.“

Wenige Minuten später sah man den alten Herrn hinter dem Zaun mit einem Spaten in der Erde stochern, dann klingelte es wieder. Der Alte gab Elfriede eine Hand voll braunroter Wurzeln: „Die waschen Sie jetzt, dann kleinhacken, und zusammen mit den Eiern kochen, ganz langsam auf schwacher Hitze, und tun Sie ruhig einen kleinen Schuss Essig rein“.

Ungläubig nahm sie das nette Geschenk an, und während wenig später Heino die Wurzeln kleinhackte, wunderte sich Elfriede, dass die Wurzeln nicht gerade ein leuchtendes Rot versprachen: im Anschnitt waren die Wurzeln eher leuchtend orangegelb.

„Das ist halt Zauberei“, sagte Herr Wassilis. Übrigens: „Wir haben damals erfunden, dass man damit nicht nur Eier rot färben kann, sondern auch Wolle. Und später haben wir dann den Trick gefunden, wie man damit auch die billigere Baumwolle färben kann. Den haben wir in unseren Dörfern in den Bergen geheim gehalten. Aber das ist ja bei allen Geheimnissen so: irgendwann kommen sie raus. Und dann machts jemand nach. Als ein paar von unseren Landsleuten vor zweieinhalb Jahrhunderten vor den Türken abgehauen sind, haben die das Geheimnis nach Paris getragen. Zu unserer Schande nannten die Franzosen, und dann auch die Deutschen, diese Art des Färbens auch noch „türkisch“.

„Ich erinnere mich dunkel, im Schulunterricht haben wir mal so eine Geschichte gehört“, erinnerte sich Heino.“Und dass man irgendwann die Wurzel nicht mehr brauchte, weil zwei Chemiker eine Methode gefunden hatten, die Wurzelsubstanz aus billigen Chemikalien herzustellen. Was dann die Bauern, die das Zeug anbauten, erwerbslos machte“

Neulich, sagte Heino, habe er bei seinen Studien zu Friedrich Engels eine Passage gelesen. „Da sollen die Färber einen ganzen Fluss rot gefärbt haben. Eine richtige Umweltsauerei“.

Während nun die Eier in dem Wurzelsud vor sich hin simmerten, und tatsächlich langsam ein dunkles, warmes Rot annahmen, holte Heino seine Engels-Gesamtausgabe, und las vor:

„Engels, Briefe aus dem Wuppertal, März 1839“: Bekanntlich begreift man unter diesem bei den Freunden des Lichtes sehr verrufenen Namen die beiden Städte Elberfeld und Barmen, die das Tal in einer Länge von fast drei Stunden einnehmen. Der schmale Fluss ergießt bald rasch, bald stockend seine purpurnen Wogen zwischen rauchigen Fabrikgebäuden und garnbedeckten Bleichen hindurch; aber seine hochrote Farbe rührt nicht von einer blutigen Schlacht her, denn hier streiten nur theologische Federn und wortreiche alte Weiber, gewöhnlich um des Kaisers Bart; auch nicht von Scham über das Treiben der Menschen, obwohl dazu wahrlich Grund genug vorhanden ist, sondern einzig und allein von den vielen Türkischrot-Färbereien. 

Für unsere Leser haben wir natürlich jetzt viele Fragen:

  • um welche Pflanze geht es?
  • warum ist der Wurzelsaft gelb, aber die Eier färben sich rot?
  • um welche „türkische“ Methode geht es?
  • In unserem Beitragsbild findet man so einen merkwürdigen Turm, von dem lauter lange rote Fahnen herunter hängen. Was ist das? 
  • Die Eier färben sich im Bad durch einfaches Kochen schön rot. Mit Textilien, besonders Wolle, geht das so nicht. Was muss man da  tun?
  • Mit der Entdeckung, wie man die Inhaltstoffe der Wurzel aus billigen Chemikalien herstellen konnte, entstand nach und nach ein bedeutender industrieller Industriezweig, der auch für Mitteldeutschland prägend wurde. Welcher? 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Ungeheuer im blauen Meer der Blumen“): Sibirischer Blaustern, Scilla siberica.

Elfriede war schneller als Keule. Der frühe Vogel fängt nun mal den Wurm. Natürlich suchten wir die „Scilla“, und eigentlich – die Frage haben beide nicht beantwortet, obwohl doch “ ein eisiger Wind aus dem Osten sibirische Kälte herantrug“, den sibirischen Blaustern, Scilla siberica. Von dem einheimischen, zweiblättrigen Blaustern, Scilla bifolia, unterscheidet er sich durch seine eher glockenartig hängenden Blüten. Sonst ist er aber ähnlich. Man kann ihn gerade in Halle – an vielen Orten Bewundern. Beispielsweise im Stadtgottesacker: (Stadtgottesacker leuchtet in blau – HalleSpektrum.de).

Oder eben auch auf der Peißnitz, wo sich an der Südspitze ausgedehnte Bestände gebildet haben. Die Artist im 19. Jahrhundert als Park- und Gartenpflanze eingebürgert worden, und da sie viel kälteresistenter ist als der eher in Süddeutschland beständige zweiblättrige Blaustern, findet sie hier ideale Lebensbedingungen vor.

Der Gattungsname der Pflanze kommt eben nicht, wie Elfriede richtig bemerkte, von dem Seeungeheuer Scylla, das gemeinsam mit dem Gegenpart Charybdis die Meerenge von Messina zwischen Italien und Sizilien unvorsichtige Seefahrer verschlang.

Ihr Name ist eine Verkürzung des italienischen Mädchennamen Priscilla , die wiederum ist eine ist eine Koseform des Vornamens Prisca, der weiblichen Form des lateinischen Namens Priscus, und bedeutet „die Altehrwürdige“.

(HW)

Alle bisherigen Pflanzen der Woche findet Ihr zum Nachlesen in unserem Archiv. 

 

 

 

 

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