Wie fair ist die Priorisierung bei der Impfung?

6. Januar 2021 | Glosse, Nachrichten, Natur & Gesundheit, Politik, Soziales, Vermischtes | 6 Kommentare

„Es wird genug Impfstoff für alle geben!“, wiederholt Gesundheitsminister Jens Spahn seit Monaten nahezu mantraartig. Und tatsächlich dürften die von der EU bereits seit langem bestellten Mengen der Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca – insgesamt 860 Millionen Dosen – rechnerisch vollkommen ausreichen, auch in Deutschland einen Großteil der Bevölkerung mit den jeweils zwei nötigen Impfungen versorgen zu können.

Allerdings liegt die Betonung auf „WIRD“ … zukünftig! – Denn gerade zu Beginn wird der Impfstoff nur für einen Bruchteil der gewillten Bürgerinnen und Bürger im Land ausreichen. Dass sich die Situation folglich auch mit einem vorhandenen und zugelassenen Corona-Impfstoff erst nach und nach bessern wird, war ebenfalls seit langem klar.

Wie also ist dieses Dilemma zu lösen? Wer darf und kann zuerst geimpft werden? – Mit diesen Fragen haben sich nicht nur die für die Verteilung des Impfstoffes im Bundesgebiet zuständigen Politiker beschäftigt, sondern auch viele Expertinnen und Experten aus dem Bereich Gesundheit und Medizin, der Ständigen Impfkommission sowie des Deutschen Ethikrats, welche der Bundesregierung bei der Entscheidung über eine Priorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beratend zur Seite standen. Das Ergebnis verkündete Jens Spahn bereits am 18. Dezember des vergangenen Jahres in Form der neuen  Impfverordnung, welche die Reihenfolge bei den Impfungen festlegt, indem sie die Bevölkerung in Gruppen mit jeweils abgestufter Priorität einstuft. Höchste Priorität und ein Recht auf eine schnelle Impfung haben demnach zunächst nur diejenigen Menschen, die über 80 Jahre alt sind – Und all jene, die in stationären Einrichtungen zur Behandlung, Betreuung oder Pflege älterer oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten.

Aber wie gerecht ist diese Entscheidung wirklich? Wie wird sie begründet? Und – muss man unbedingt Impfgegner sein, um sie zu kritisieren?

Es scheint, dass in letzter Zeit vor allem die öffentliche Debatte um diese Entscheidung fehlt! Offenbar muss man entweder ein entschiedener Impfgegner oder gar Corona-Leugner sein, um Gehör zu finden, oder aber man wird automatisch zu denjenigen gezählt, die alle bisher getroffenen Entscheidungen als richtig erachten. Tatsächlich äußert sich die sprichwörtlich große SCHWEIGENDE Masse aber erst gar nicht öffentlich zum Thema.

Trotzdem steigt überall spürbar die Unzufriedenheit über das scheinbar endlose Abwarten und die immer unerträglicher werdende Unsicherheit. Trotz und Wut machen sich in der Bevölkerung nach und nach breit und nicht nur, weil es vielen Menschen immer weniger möglich erscheint, nach der Krise noch finanziell halbwegs gut dazustehen, sondern auch, weil sich viele arbeitende Menschen, täglich dem Risiko der Ansteckung aussetzen, gewillt sind, sich impfen zu lassen, dies aber vermutlich bis in den Sommer hinein noch nicht dürfen.

Kommentare verschiedenster Menschen, die alle nur gemeinsam haben, sich gerne impfen lassen zu wollen, lauten daher:

  • „Wenn ich ein so langes Leben gehabt hätte, würde ich den Jüngeren mit Freuden die mir zustehende Impfung überlassen!“
  • „Zuerst stuft man uns als systemrelevant ein, und jetzt bekomme ich dafür keinen Schutz!“
  • „Als junger Mensch will ich reisen, mich bewegen und frei sein. Die Politik raubt mir die Zukunft, nur um den Alten ihre noch ein kleines bisschen zu verlängern.“
  • „Schulen sind Hotspots, da kann mir keiner was erzählen. Und den Kontakt zu Kindern kann ich gar nicht unterbinden. Privat soll ich aber noch monatelang warten, um mich impfen lassen zu dürfen.
  • „Als Erstsemestler habe ich bisher noch keinen meiner Kommilitonen kennengelernt. Ich gehöre zu denjenigen, die die Kosten der Krise tragen und gleichzeitig die größten Einschränkungen ihrer Freiheit hinnehmen müssen.“

Die Beschwichtigungsversuche des Gesundheitsministers lauten derweil weiterhin: „Ich bitte Sie darum abzuwarten, bis auch Sie an der Reihe sind. Es geht nun einmal nicht anders, wir alle werden noch längere Zeit mit diesem Virus leben müssen. Erst im Sommer wird allen Deutschen ein Impfangebot gemacht werden können! Solange geht es um Solidarität mit den Verwundbarsten!“

– Das leuchtet ein. Sicherlich will sich niemand als unsolidarisch oder egoistisch abstempeln lassen. Das Problem aber bleibt. Viele Menschen, die unser Land aktuell am Laufen halten, fühlen sich im Stich gelassen und angesichts der unberechenbaren Gefahr des Virus nicht ausreichend vom Staat geschützt.

Wie Salz in die Wunde wirkt da auch die Nachricht, dass in vielen Ländern bald ein sogenannter Immunitätspass eingeführt werden soll, der Menschen, die gegen das Coronavirus geimpft sind oder eine Covid-19-Erkrankung bereits überstanden haben, erlauben soll zu verreisen, in Restaurants zu gehen oder in Hotels zu übernachten. In Deutschland könnte eine solche Regelung allerdings erst recht zur Spaltung der Gesellschaft führen und würde darüber hinaus gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstoßen.

Warum also die Ältesten zuerst?

Immer wieder hat sich in dieser Krise gezeigt, dass es an Erklärungen seitens der Politik mangelt. Viele Entscheidungen im Umgang mit der Pandemie sind für die Menschen deshalb kaum nachvollziehbar. Zumal es auch gute Argumente für eine Impfung der Jüngeren zuerst gäbe. So heißt es aus epidemiologischer Sicht, gerade diese Gruppe verteile das Virus extrem stark.

Andersherum wird aber beispielsweise vom Robert-Koch-Institut argumentiert, dass diejenigen, die in einem Wohn- oder Altenheim wohnen, dem vermutlich größtem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ausgesetzt sind.

Und die Statistik zeigt deutlich: Im November 2020 sind in Deutschland wesentlich mehr Menschen gestorben als in den Vergleichsmonaten der Vorjahre. Am stärksten fiel die Übersterblichkeit dabei in Sachsen aus, wo es derzeit viele Covid-19-Fälle gibt. Die Zahlen deuten also darauf hin, dass der größte Teil dieser Übersterblichkeit auf die Infektion mit dem Corona-Virus zurückgeht. Das Statistische Bundesamt gab hierzu außerdem an, dass die Zahl der in einem Alter von über 80 Jahren Verstorbenen im November 19 Prozent über dem Schnitt der Referenzmonate lag. Dagegen war die Zahl der Todesfälle bei den jüngeren Bürgerinnen und Bürgern mit dem Niveau der Vorjahre vergleichbar.

Die verwundbarsten Gruppen vor dem Tod zu bewahren scheint angesichts dieser Zahlen also nicht nur logisch, sondern gar verpflichtend für einen solidarischen Rechtsstaat wie Deutschland. Tatsächlich bleibt daher nur, der Aussage Jens Spahns beizupflichten und alle anderen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Land um Geduld und Rücksichtnahme zu bitten. – Und eine gute Nachricht gibt es ja dennoch: Am heutigen tag wurde bereits der zweite Impfstoff von der Europäischen Arzneimittelbehörde in der EU zur Zulassung empfohlen. Es scheint folglich tatsächlich nur eine Frage der nächsten Zeit zu sein, bis der ersehnte Schutz auch für den Rest der sich impfen lassen wollenden Bevölkerung zur Verfügung steht.

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