Ein Deich wird kommen, aber wohin?

5. Juli 2013 | Veranstaltungen | 9 Kommentare

Einigkeit in entscheidenden Punkten demonstrierten Hans-Werner Uhlmann vom Landesbetrieb für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft, und der Hallesche OB Bernd Wiegand: ein neuer Deich muß her, um Halle-Neustadt zu schützen. Dazu gebe es überhaupt keine Alternative. „Wir werden die Bevölkerung von Halle-Neustadt nicht weiter derartigen Gefahren aussetzen“, so Wiegand.

Beide waren zur öffentlichen Mitgliederversammlung des SPD-Ortsvereins Halle-Neustadt eingeladen.

Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand betrachtet Flutbilder.

Uhlmann führte zunächst aus, vor welche Probleme das ungewöhnlich schnell ansteigende Hochwasser den Landesbetrieb schon im Vorfeld stellte: Die größte Schwierigkeit sei die Prognose gewesen. Zwar haben man die ungefähren Durchflußmengen der Saale und ihrer Zuflüsse halbwegs verläßlich prognostizieren können, nicht aber die daraus resultierenden Pegelhöhen. Grund: mangelnde Erfahrungswerte, da ein Hochwasser über knapp 700 cm bei Trotha UP seit korrekter Messungen und Aufzeichnungen noch nicht  aufgetreten sei. Die daraus resultierende Strömungsverhältnisse und Raumforderungen des Hochwassers hätte daher niemand ruhigen Gewissens prognostizieren können. Als erfahrener Hydrologe sei er selbst peinlich berührt gewesen, als der Pegel in Halle dann plötzlich mit 8,10 statt der von ihm prognostizierten 7,50 Meter auflief. „Mein Nachbar tut mir sehr leid, der ist deswegen abgesoffen“, so Uhlmann. Viel habe man nun lernen können. So haben nicht so sehr die wenigen vorhanden Polderflächen im Oberlauf, sondern erst die gerade fertig gestellte Hochwasserschutzanlage am Tagebau Zwenkau dazu beigetragen, die immer noch gewaltige Spitze deutlich zu senken. Überhaupt komme es darauf an, Scheitelspitzen zu drücken. Das Gelänge kaum mit Polderflächen, die langsam zulaufen, sondern mit Anlagen wie Zwenkau, die erst kurz vor Erreichen des Scheitelpunktes geöffnet werden. Zu diesem Zeitpunkt können sie dann ihre volle, unverbrauchte  Kapazität bereitstellen. Auch zur Konstruktion der Deiche habe man nun Erfahrungen: wenn diese verteidigt werden müssen, bedarf es dazu auf jeden Fall vieler befahrbarer Zuwege. Dies sei leider an vielen Punkten, beispielsweise am Passendorfer Damm, nicht im erforderlichen Umfang möglich gewesen.

Dass der Gimritzer Damm mit sein ganzen Unzulänglichkeiten (Baumbewuchs, Leitungen, aufplatzender Straßenbelag) überhaupt gehalten werden konnte, bezeichnete Uhlmann als außerordentliches Wunder, was auch das Verdienst des OB gewesen sei.

Bernd Wiegand sagte darauf hin: „Wenn das 2011er Hochwasser nicht gewesen wäre, hätten wir die Verteidigung Neustadts nicht geschafft, da bin ich mir sicher“.

Einig waren sich beide darüber, dass es keine Alternative zu einem kompletten Deichneubau nach Neustadt gebe. Die anfänglich favorisierte Spundwandlösung habe man verworfen. Solche Anlagen seien auf kurzen Strecken möglich, aber über eine Länge von 1,5 Kilometern schlichtweg nicht aufzubauen. „Wie wollen sie denn in der kurzen Zeit derart schwere Elemente bis in eine Höhe von vier Metern aufschichten, und das auf diese Länge?  fragte Uhlmann das Publikum.

Hochwasserexperte Dr. Uhlmann zeigt Flutbilder.

 

Eine klare Absage erteilten Wiegand und Uhlmann auch der Vorstellung, man könne den existierenden Damm schlichtweg ertüchtgen. „Da laufen lebenswichtige und komplizierte Versorgungsleitungen durch, wie etwa eine Gaspipeline, Telekommunikationsnetze und Wasserleitungen“. Viel zu kompliziert, viel zu gefährlich. Und zu teuer.

Als Alternative böte sich daher nur, einen neuen Deich vor den alten Damm zu setzen, saaleseitig. Im Publikum löste das Raunen aus, Bedenken wurden laut, dass auf diese Weise die Flutauslaufflächen verkleinert würden. Und damit die Altstadt bedroht werde. Die Äußerungen Uhlmanns, die einzig entscheidende Engstelle sei ohnehin nur die Brückenpassage beim Giebichenstein, erregte  bei einigen Zuhörern ebenfalls leicht ungläubiges Erstaunen aus. Über den genauen Verlauf des geplanten Deiches hüllte sich der OB in deutliches Schweigen. Alles in Planung, mehrere Varianten. Mal war von der Saaleschleife die Rede, aber einmal fiel wohl auch versehentlich das Wort „Wilde Saale“.

Mitglieder des SPD-Ortsvereins Halle-Neustadt lauschen Flutgeschichten.

Viel Zeit zu Diskussionen werde es nicht geben, am kommenden Mittwoch werde man die Pläne dem Stadtrat zur Abstimmung vorlegen.  Bis dahin darf wohl weiter spekuliert werden. Auch darüber, auf welcher Rechtsgrundlage eine Großbaumaßnahme mit den damit verbundenen langfristigen Konsequenzen, ohne die üblichen Verfahrensvorschriften, im Eilverfahren durchgezogen werden kann.

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