Ausflug in eine dystopische Welt, die ihre Kinder frisst

2. November 2018 | Rezensionen | Keine Kommentare

Heute haben wir einen Gastbeitrag in unserer Reihe „Abseits des Büchermahlstroms“. Die Autorin Klara Bellis lebt in Halle und ist selbst Schriftstellerin. Hier bespricht sie einen Roman von Mika Krüger, die lange in Halle gewohnt hat und unsere schöne Stadt kürzlich verlassen hat, ich hoffe, sie tat dies nicht aus dystopischen Gründen…

Red-Mon-Stadt frisst ihre Kinder. Anstatt eine Heimat zu sein, ist die auf einer Insel im Meer gelegene Großstadt eine Falle für alle, die durchs Raster fallen. Dabei wird das Raster ständig neu definiert. Wer sich heute noch sicher und gebraucht fühlt, kann schon morgen zu den Ausgestoßenen, den Nutzlosen gehören und zum Freiwild für die Todesschergen werden. Und in der Mitte des Rasters sitzt eine menschliche Spinne, die ihre Fäden zieht, an denen sie die Menschen wie Marionetten nach belieben tanzen lässt. Den braven Bürgen wird die wilde Hatz als Notwendigkeit verkauft, um Wohlstand und Sicherheit zu schützen. Ein Märchen, an das die Einwohner nur allzu gerne glauben.

Die Protagonistin Rina ist eine der Ausgestoßenen und schlängelt sich durch das tödliche Labyrinth der Stadt. In ihrem Herz trägt sie all die Menschen, die sie schon hat sterben sehen müssen. Eine Hoffnung auf einen Ausweg scheint es nicht zu geben, denn Red-Mon-Stadt scheint vor gar nicht so langer Zeit genau diese Hoffnung für die vom Festland Geflohenen gewesen zu sein. Eine Hoffnung, die sich in eine Hölle verwandelt hat.

Wie das geschah, bleibt unklar und als Leser habe ich mir hier etwas mehr Klarheit gewünscht. Warum auch das Festland keine Alternative ist, um ein normales Leben zu führen, wird ebenfalls nur vage angedeutet.

Tief dringt die Autorin dagegen in die Gefühls- und Gedankenwelt der äußerlich versteinerten und innerlich zerrissenen Figuren ein – ohne dabei zu langweilen oder auf Biegen und Brechen psychologisieren zu wollen. Schicht um Schicht schält die Autorin die äußerliche Hülle der Protagonisten ab und macht ihr Handeln und Denken mit jeder Seite nachvollziehbarer. Der Roman bleibt spannend bis zum Schluss. Da es der Auftakt einer Reihe ist, gibt es jedoch keinen Schluss, sondern einen Punkt, an dem die Geschichte unterbrochen wird. In der Hoffnung, dass es irgendwann einmal weitergehen wird.

»Totenläufer – Silver Coin 203« von Mika M. Krüger ist ein Buch für alle, die Dystopien mögen, bei denen keine Liebesgeschichte im Vordergrund steht, sondern eine dystopische Welt, die ihren Einwohnern – und manchmal auch dem Leser – alles abverlangt.

Beitrag zuerst erschienen bei https://www.lovelybooks.de am 21.08.2018

Klara Bellis

Totenläufer : Silver Coin 203 / Mika Krüger
1. Auflage, Berlin : epubli, : 2016
404 Seiten
978-3-7418-6934-1, 12,99 Euro

 

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P.S.: Ganz vergessen. Wir stellen am liebsten Autoren aus Halle vor, die in die Reihe passen, meldet Euch bitte bei uns und schreibt an die Redaktion.

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