Steppenbrand

22. Dezember 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

So schön verpacken Selfpublisher ihre Bücher

Der neueste Beitrag in unserer Reihe „Abseits des Büchermahlstroms“ behandelt das Werk einer echten Selfpublisherin, nämlich von Nike Leonhard. Ich habe etwas Bedenken, das schmale, aber herausragende Büchlein in eine Genre-Schublade zu stecken.
Deswegen zunächst der Inhalt: Es ist die faszinierende Geschichte des Aufstiegs von Dejasir no´Sonak, der in einer imaginären Steppe lebt. Es könnte die Mongolei sein oder eine andere Ebene auf dieser oder einer anderen Welt, geeignet für Nomadenstämme. Das Volk in Leonhards Novelle heißt Khon. Nichts deutete darauf hin, dass Dejasir (=fallendes Wasser, in tolkienscher Tradition erfindet die Autorin zu ihrem Inhalt auch eine Sprache), der unter guten Vorzeichen geboren wurde, nicht nur die Gesellschaft seines Stammes, den Sonak, sondern die Gesellschaft aller Khon-Nomaden radikal verändern würde. Er einte nicht nur die Stämme, sondern er eroberte auch die wenigen Handelsstädte in der Steppe. Nachdem er sich zum Häuptling der Häuptlinge machen konnte, nimmt er sich einfach, was er will: Macht, Frauen, auch fremden geheimnisvollen Goldschmuck aus dem Norden.

Wie kam es dazu? Und was trieb Dejasir an? Er scheitert nur einmal, aber das legt schon den Grundstein für das Ende der Geschichte. Welches wir natürlich nicht verraten wollen! Denn nicht der Ausgang der Handlung ist am schmalen Büchlein das Reizvolle, sondern die Schilderung, wie es einem einzelnen Menschen gelingt, mit etwas Charisma und Überzeugungskraft, danach auch mit Gewalt, Macht über eine ganze gefestigte Gesellschaft zu übernehmen und sie umzukrempeln, keinesfalls mit einem positiven Ausgang. Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“, oder in diesem Fall eines lesenden Nomaden, gehen daher fehlt: Denn der Versucher braucht auch immer solche, die sich in Versuchung führen lassen. Und Dejasir findet eine Menge von Menschen, die entweder einfach zuschauen oder gerne mitmachen, um den Willen eines einzelnen nachzukommen. Es kommt einen bekannt vor und man möchte aufstehen, in die Geschichte gehen und jeden einzelnen Nomaden aufrütteln und sagen: „Seht ihr nicht, was er euch aus macht.“ Die Eltern von Dejasir erkennen es und verlassen, machtlos und alt, den Stamm. Es war zu spät. Der Leser kann es ihnen nicht nacheifern und bleibt, hilfloser Zuschauer.

Zu den Hintergründen der Erzählung berichtet die Autorin etwas im Nachwort, aber das muss man nicht lesen. Denn dann könnte man am Ende doch noch eine Genre-Schublade öffnen. Das hat die Geschichte nicht verdient. Sie ist ganz ohne Erklärungen ein vollendetes Werk.

Paula Poppinga

Steppenbrand
Codex Aureus 2
Leonhard, Nike
Verlag: Books on Demand (2017)
Sprache: Deutsch
Kartoniert, 80 S.
ISBN-13: 978-3-7448-9631-3
überall und auch im Buchhandel erhältlich.

Weitere Besprechungen abseits des Büchermahlstroms:

  1. Ersticktes Matt
  2. Ein phantastischer Herrenausflug
  3. Ein Weihnachtsgeschenk für Walter
  4. Namen sind Schall und Rauch
  5. Freibeuter der Systeme
  6. Irrlichtfeuer von Julia Lange
  7. Mord mit Schokolade und Kaffee

P.S.: Ganz vergessen. Wir stellen am liebsten natürlich Autoren aus Halle vor, die in die Reihe passen, meldet Euch bitte bei uns und schreibt an die Redaktion.

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