Irrlichtfeuer von Julia Lange

27. Juli 2017 | Rezensionen | Keine Kommentare

Lange haben wir keine Besprechung mehr in der Kategorie „Abseits des Büchermahlstroms“ gebracht und auch das in dieser Rezension vorgestellte Werk paßt nicht nicht so richtig hinein, denn es ist bei Droemer/Knaur-Verlag erschienen, nicht gerade Indy oder Selfpublishing! Da es allerdings ein Erstling einer jungen Autorin ist, von der ich noch viel erwarte, mögen die geneigten Spektrumleser es mir bitte nachsehen.

Irrlichtfeuer ist wieder ein Genre-Roman. Wir begeben uns in der Welt der Fantasy oder des phantastischen Romans (falls jemanden das letztere lieber ist). Aber keine Bange, Julia Lange ist so eigenständig, dass uns Zauberer, Monster und Orkse erspart bleiben. Es ist kein HDR-Abklatsch und ihre Phantastik hat es nicht nötig, mit dem Zauberholzhammer auf den Leser einzutrommeln.

Irrlichtfeuer ist Großstadtfantasy

Die Hauptperson von „Irrlichtfeuer“ ist das Mädchen Alba, die in der Stadt Ijsstedt lebt. Ihr Heimatort liegt an einem Fluss, der die Stadt teilt. Es gibt einen Seehafen und mehrere Elendsquartiere. Ich erwähne es deswegen so ausführlich, weil die Handlung die Stadt Ijsstedt nicht verlassen wird. Irrlichtfeuer ist so etwas wie Großstadtfantasy. In der Stadt herrscht ein seltsames Machtgleichgewicht zwischen den Unterweltbanden der ärmeren Stadtviertel und der Regierung der Königin Katriena. Durch das Auftauchen der Irrlichtkinder, Geschädigte durch den geheimnisvollen Rohstoff Irrlicht, über den die Stadt das Monopol besitzt, ist das Gleichgewicht bereits längere Zeit gestört. Die Irrlichtkinder haben durch Unfälle bei der Förderung des Irrlichts, der Energiequelle der Stadt, besondere Kräfte entwickelt. Diese Kräfte bleiben auch der einzige „zauberische“ Faktor im Roman, von Frau Lange zudem sparsam eingesetzt. Die Unterwelt fürchtet die Irrlichtkinder, aber besonders die „Schatten“, den Geheimdienst der Königin, der darüber wacht, dass die Stadt ihre Monopolstellung im Bereich des Irrlichts behalten kann. (Eine Karte hilft übrigens, sich in der Stadt Ijsstedt zu orientieren)

In dieser Stadt lebt Alba, die aus einem besseren Stadtviertel stammt, aber im ärmeren Viertel Rothentor eine kleine und geheime Werkstatt betreibt, in der sie sich immer wieder zurückzieht. Zwar ist sehr schwer erkrankt (was im letzten Drittel des Romans keine Rolle mehr spielt), aber es gelingt ihr immer wieder, in ihrer Werkstatt an einem Flugapparat zu werkeln. Keinen schöneren Traum gibt es für sie, als eines Tages fliegen zu können.

Eines Tages findet Alba einen verletzten Raben

Zu Beginn des Romans fliegt in Viertel Lichtemaad eine der Irrlichtförderstätten in die Luft. Das wird nicht nur Albas Leben verändern, sondern das politische Gleichgewicht in der ganzen Stadt erschüttern. Alba erlebt den Aufstieg der Protestbewegung „Gerechtigkeit“ mit, sie beobachtet, wie die Gaunerbanden versuchen, selbst Irrlichtkinder „zu züchten“ und sie schließt sich sogar selbst der Bande der „Rothen“ an, obwohl sie doch ein „Fräulein“ ist. Und da ihr ein verletzter Rabe zufliegt, lernt sie sogar einen Schatten kennen, der für sie ein wichtiger Verbündeter für ihre Jagd auf ihren schlimmsten Feind wird. Dabei vergißt sie sogar das Fliegen. Und Freunde von farbenfrohen Showdowns kommen hier auch auf ihre Kosten.

Durch viele verschiedene Blickwinkel, die mich keinesfalls verwirrt haben, ist „Irrlichtfeuer“ für einen Erstling sehr abgeklärt und reif erzählt worden. Dabei ist Julia Langes phantastische Welt höchst eigenständig und schöpft aus den eigenen Ideen, die sich um das geheimnisvolle Irrlicht drehen. Der Roman ist kein Fantasy-Roadmovie, in dem eine ganze Welt oder ein ganzer Planet (oder mehrere) ausgebreitet wird. Die Großstadt bleibt der Hintergrundprotagonist der Handlung. Einige kleine Schwächen hat das Buch, aber die fallen keineswegs ins Gewicht, denn „Irrlichtfeuer“ bedeutet auf 528 Seiten hervorragende fantastische Unterhaltung, niemals ein Abklatsch. Noch einmal möchte ich die soveräne Eigenständigkeit herausstreichen und lobend die starke weibliche Hauptperson erwähnen, die sich zum Glück mit ihrem „Schattenfreund“… (nein, das wird jetzt nicht verraten). Aber klar ist, wir sind in der Stadt Ijssted nicht im Herzkino, das ist Großstadtfantasy vom Feinsten. Da Frau Lange auch niemals in sinnlose Brutalität abgleitet, ist der Roman sogar zartbesaiteten Naturen zu empfehlen. Irrlichtfeuer ist, das darf ich nicht vergessen zu erwähnen, lebendig und spannend. Ich konnte es jedenfalls nicht mehr aus der Hand legen.

Irrlichtfeuer ist, auch wenn Alba/Julia das Fliegen, ihre Krankheit und den Raben im Verlauf der Handlung etwas aus den Augen verloren hat, ein Hoffnungsfeuer für die deutsche Fantasy-Szene. Ich erhoffe mir noch viel von der jungen Autorin.

Paula Poppinga

Lange, Julia: Irrlichtfeuer : Roman. Ausgezeichnet mit dem Seraph 2017 in der Kategorie Bestes Debüt, Verlag: Droemer/Knaur (2016), Aus der Reihe: Knaur Taschenbücher – Nr.51943, 528 S., ISBN-13: 978-3-426-51943-1, EUR 9,99

Weitere Besprechungen abseits des Büchermahlstroms:

  1. Ersticktes Matt
  2. Ein phantastischer Herrenausflug
  3. Ein Weihnachtsgeschenk für Walter
  4. Namen sind Schall und Rauch
  5. Freibeuter der Systeme

P.S.: Ganz vergessen. Wir stellen am liebsten natürlich Autoren aus Halle vor, die in die Reihe passen, meldet Euch bitte bei uns und schreibt an die Redaktion.

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