Im Bann der zertanzten Schuhe

14. August 2018 | Rezensionen | Keine Kommentare

Janna Ruth überglücklich mit ihrem SERAPH Foto: Nornennetzwerk

Die Autorin Janna Ruth ist uns bereits im März dieses Jahres bei der Buchmesse über den Weg gelaufen. Sie erhielt dort den Phantastikpreis SERAPH in der Kategorie „Bester Independent-Titel“ für „Im Bann der zertanzten Schuhe“. Das hat mich neugierig auf das Buch gemacht. Es wurde neben anderen Büchern meine Sommerlektüre, dabei konnte ich feststellen, dass der Roman mit seinen 297 S. nicht nur ein märchenhaftes Vergnügen war, sondern da war noch viel mehr verborgen. Keinesfalls handelt es sich um ein Jugendbuch wie in der Empfehlung eines Großhändlers vermerkt, dazu ist diese Märchenadaption mit einem viel zu ernsten Hintergrund ausgestattet. Dazu kommen wir gleich noch. Meine Altersempfehlung würde von 12 bis 122 Jahre lauten.

Hinter „Im Bann der zertanzten Schuhe“ steckt das Märchen der Brüder Grimm (KHM 133) „Die zertanzten Schuhe“. Der Soldat bleibt ein Soldat, ist aber der Afghanistan-Heimkehrer Jonas. Aus dem König wird der Firmenchef Kallenbach, ein ehemaliger Offizier, der sich Sorgen um seine Tochter Sophie macht, die Nacht für Nacht zum Tanzen verschwindet. Aus der alten Frau, die dem Soldaten einen Tarnmantel schenkt, wird ein heruntergekommener Bettler. Auch wenn die Autorin dem Ablauf des Märchens folgt, bleibt es spannend und packend bis zum Schluß. Ich war mir nicht sicher, ob Janna Ruth am Ende nicht doch noch eine Überraschung auspackt.

Der Soldat Jonas war in Afghanistan und leidet seitdem an einem schweren Trauma. Drei Jahre vergingen, in denen er weder Studium, noch Ausbildung zu Ende bringen konnte. Eine Anstellung in der Firma von Herrn Kallenbach ist seine letzte Chance. Der kann einen traumatisierten Ex-Soldaten eigentlich nicht gebrauchen, möchte aber Jonas diese letzte Möglichkeit, wieder im Leben nach dem Militär Fuß zu fassen, nicht verwehren. Kallenbach besorgt ihm sogar eine Unterkunft im Gästehaus auf dem Firmengelände. Das tut er aber nicht ohne Hintergedanken. Denn dort lebt auch Sophie, die Tochter von Kallenbach, die dem Vater völlig entglitten ist. Jonas soll herausfinden, wohin Sophie jede Nacht verschwindet, so lautet Kallenbachs Auftrag. Nicht nur der seltsame Auftrag ist schwieriger, als Jonas gedacht hat, sondern sein Kriegstrauma hindert ihn auch, ständig auf Sophie aufzupassen. Sophie tanzt doch jede Nacht mit ihrem Prinzen. Was braucht es da einen traumatisierten Soldaten? Und so haben beide gegen ihre Dämonen zu kämpfen, bis es vielleicht zu einem märchenhaften Ende kommen kann. Denn Jonas hat immerhin noch seinen Tarnmantel!

Begeistert hat mich nicht nur die Neuinterpretation des grimmschen Märchens, sondern auch die Umsetzung. Frau Ruth macht mit ihrem Soldaten Jonas begreiflich, was wir jungen Männern in unseren Kriegen antun. Das kann sie so eindrucksvoll schildern, dass ich mich beim Lesen so einige Male bewegt fragte, wie schafft er es nur, sich daneben auch noch um Sophie zu kümmern, für sie  in die zauberhafte Unterwelt hinab zu steigen und das Mädchen diesem Prinzen zu entreißen. Bei all dem großen Erzählkönnen der Autorin hätte man sich das Grande Finale am Ende sparen können, aber das ist wohl dem derzeitigen Zeitgeist geschuldet, Romanenden wie Showdowns von Hollywoodfilmen aufzubauen. Hat mich schon etwas gestört! Aber das ist nun wirklich ein winziges Haar in der köstlichen Märchensuppe der Janna Ruth. Gut aufgetischt und köstlich gekocht, Frau Ruth!

„Im Bann der zertanzten Schuhe“ ist also die Neuinterpretation des Märchens der Brüder Grimm. Janna Ruth führt in ihrem Blog fünf Arten der Märchenadaption auf: 1. Die Neuerzählung, 2. Eine andere Perspektive, 3. Das Experiment, 4. Inspiration Märchen und 5. Die Neuinterpretation. Sie hat sich nach eigenen Angaben für eine Neuinterpretation entschieden, wenn ich auch finde, dass sie sehr nahe an der Vorlage bleibt. Sie schreibt selbst in ihrem Blog: „Was wäre, wenn …? Wie auch die meisten anderen Adaptionen fing meine Geschichte mit dieser alles entscheidenden Frage an. Bei mir drehte sich die Frage um die zwölf verfluchten Prinzen, welche im Originalmärchen nicht erlöst werden. Scheinbar hat das auch niemanden gestört, in meiner Adaption wollte ich aber genau darauf den Fokus legen. Ohne zu viel vorwegzunehmen, lautet meine „Was wäre, wenn …?“ Frage wie folgt:  Was wäre, wenn es einen bestimmten Grund gäbe, aus dem die Prinzen nicht erlöst werden dürfen?“ Aber das dürfen wir leider nicht verraten!

Erschienen ist der Roman in der Märchenspinnerei, in der noch weitere Märchenadaptionen erschienen sind. Dort gibt es eine Übersicht der gesponnenen Bücher, der Autorinnen und zudem befinden sich dort auch noch 13 gute Feen. Wie im Märchen also! Über sich selbst schreiben die Frauen der Märchenspinnerei: „Das Projekt entstand im Mai 2016 im Fantasyautorenkreis Tintenzirkel. Einige von uns sind bereits sehr erfahren und haben Literaturpreise gewonnen. Andere geben mit der Märchenspinnerei ihr Debüt. Zusammen sind wir immer stärker als alleine. So sind viele von uns nicht nur Autoren, sondern auch Lektoren, Coverkünstler, Marketingexperten und mehr. Jeder bringt sich ein, wie er kann, und so entstehen gemeinschaftlich Marketingkonzepte, während die Aufgaben untereinander aufgeteilt werden. Zusätzlich arbeiten wir gemeinsam an den Texten und unterstützen uns bei den Veröffentlichungen.“ Mehr erfahren Sie auf den Seiten  Märchenspinnerei.

Paula Poppinga

Im Bann der zertanzten Schuhe, Ruth, Janna, Verlag: Nova MD (2017), Aus der Reihe:  Märchenspinnerei – .5

Kartoniert, 316 S., 20 cm

ISBN-10: 3-96111-467-6, 12,99 €

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P.S.: Ganz vergessen. Wir stellen am liebsten natürlich Autoren aus Halle vor, die in die Reihe passen, meldet Euch bitte bei uns und schreibt an die Redaktion.

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