Der Fisch stinkt vom Kopfe her: vom Umgang der Pressestelle der Stadt Halle mit freiem Journalismus

10. Januar 2021 | Politik | 6 Kommentare

Es begann mit dem Protest der Markthändler von Halle. Wie Hallespektrum berichtete, wurde den Markthändlern, die seit Jahren ihre Kunden mit einem reichhaltigen Angebot von frischen Lebensmittel versorgen, so Fleisch, Geflügel und Fisch, untersagt, ihr Geschäft weiter zu betreiben. Sie mussten vom Markt verschwinden, Mitarbeiter des Ordnungsamtes setzten das Verbot vor Ort durch. Begründet wurde dies mit der Corona-Infektionsgefahr und der entsprechenden „Eindämmungsverordnung des Landes Sachsen – Anhalt“. Das Verbot stieß nicht nur bei den Händlern, sondern auch bei den Kunden auf  großes Unverständnis, eine Welle der Entrüstung zog sich durch diverse soziale Medien.  Denn vielen wollte nicht in den Kopf, mit welcher Begründung Supermärkte weiterhin geöffnet haben dürfen, während der Verkauf von Lebensmitteln im Freien ein erhöhtes Infektionsrisiko darstellen soll. Gegen das Verkaufsverbot war unter anderen Fischhändlerin Yvonne Gutzeit gerichtlich erfolgreich vorgegangen. Kurz darauf wurde ihr vom Oberbürgermeister Bernd Wiegand verboten, ihren Gewerbeschein im halleschen Stadtgebiet  zu nutzen: sprich Fisch-Verkaufsverbot im ganzen Stadtgebiet. Auch andere „fliegende Lebenshändler“ wurden von Ordnungskräften von der Stadt vertrieben.

Hallespektrum.de berichtete darüber, führte auch viele Hintergrundgespräche mit den Betroffenen. Die Redaktion wollte von der Stadt erfahren, wie sie das rigorose Lebensmittel-Verkaufsverbot unter freiem Himmel begründet. Und stellte per Mail bereits am 30. Dezember 2020 eine  Anfrage an die Pressestelle der Stadt Halle.

Das beredte Schweigen des Drago Bock

Das waren die Fragen der Redaktion:

1. Mit welcher Begründung wurde den Händlern auf dem Markt der Verkauf von
Lebensmitteln untersagt?

2. Welche infektiologischen Kenntnisse bezüglich der Covid-19 Pandemie hat die
Stadt Halle darüber, dass auf dem Markt unter freiem Himmel eine höhere Gefahr
für Kunden besteht, als beim Einkauf in geschlossenen Räumen (Läden,
Supermärkte pp)?

3. Mit welcher Begründung wurde Markthändlern im gesamten Stadtgebiet
untersagt, Lebensmittel zu verkaufen?  

4. Welche Perspektiven gibt es für Markthändler in Zukunft, wieder auf dem
Markt Lebensmittel verkaufen zu können?  

Donnerstag, 7.1. 2021

Die Anfrage vom 30. Dezember wurde bis zum 7. Januar nicht beantwortet. Nun versuchte die Redaktion mehrfach, die Pressestelle telefonisch zu erreichen –  was ihr dann am Nachmittag gelang. Der amtierende Pressesprecher Drago Bock war persönlich in der Leitung. Er erklärt der Redaktion zunächst, er sei über die Berichterstattung verärgert, weil die Gegenseite, d.h. die Stadt, nicht gehört wurde. Aber dies war ja genau die Absicht unserer Anfrage.  Bock versprach, Hallespektrum.de zeitnah  eine Antwort zukommen zu lassen.

Freitag 8.1. 2021

Hallespektrum.de recherchiert, wie es andere Städte Sachsen-Anhalts mit dem  Marktbetrieb unter Corona-Bedingungen halten.  Die Händler berichten: beispielsweise habe die Stadt Bernburg den Händlern Hygienekonzepte auferlegt, so müsse der Zu- und Abgang zu den Ständen durch Absperrmaßnahmen geregelt werden, damit es nicht zu Stauungen und Menschenansammlungen komme. In Halle sei das nicht mehr möglich, oder nicht gewollt.

Abermalige Versuche, die Pressestelle  telefonisch zu erreichen. Nach vielen Versuchen erreicht Hallespektrum.de einen Mitarbeiter und erfährt, Herr Bock spreche gerade auf einer anderen Leitung, er werde sich zurück melden. Wir verstehen das. Er  ist ja schließlich Pressesprecher. Es geschah nichts.

Abermaliger Versuch, per Mail Herrn Bock unsere Fragen vorzulegen. Es kommt bis zum Abend keine Antwort. Noch einmal erreichen wir den Mitarbeiter von vorhin. Wir hatten in einer Mail darum gebeten, uns Zugang zur Online-Pressekonferenz zu verschaffen – um dort unsere Fragen stellen zu können. Der Antrag muss natürlich von Herrn Bock genehmigt werden.

Samstag, 09.01.2021

Immer noch  keine Reaktion seitens der Stadt. Weitere Versuche, die Pressestelle zu erreichen, schlagen fehl.  Hallespektrum schreibt als passiver Zuhörer über die Pressekonferenz, kann natürlich aber die Fragen nicht stellen. Nicht einmal in der Youtube-Kommentarspalte – die ist bekanntlich abgeschaltet worden.

Auf der Pressekonferenz taucht das Problem der Markthändler allenfalls am Rande  auf, auch die beteiligten, „zugelassenen“ Journalisten fragen nicht danach, was verwundert. Denn mittlerweile ist das „Fischverbot“ in aller Munde – nicht nur in der Bevölkerung, mehrere Ratsfraktionen haben das Thema auf die Agenda der kommenden Ratssitzung am 28. Januar gesetzt. Beispiel: die Anfrage der CDU-Fraktion (s. Anhang), die sich von den Fragen, um deren Beantwortung Hallespektrum.de gebeten hatte, kaum unterscheiden.

Am Samstagabend, nach der Pressekonferenz, erhalten wir per Mail eine Antwort von Drago Bock:

„vielen Dank für Ihre Anfrage. Die Eindämmungsverordnung der Stadt Halle (Saale) und die entsprechende Begründung können Sie auf der Internetseite der Stadt abrufen. Die Pressekonferenz richtet sich an hauptberuflich tätige Journalisten.“

Abgesehen von der nichts sagenden Antwort, die die gestellten Fragen nicht annähernd beantwortet, offenbart der Pressesprecher der Stadt – und damit auch der Oberbürgermeister Bernd Wiegand als sein Vorgesetzter, ein sehr bizarres Verständnis von Presse. Zunächst ist er der Auffassung, dass nur „professionelle“ (also hauptberufliche) Journalisten Fragen stellen dürfen. Hallespektrum.de jedoch nicht, obwohl es bekanntlich seit Jahren nahezu täglich aus Stadt und Land berichtet.
Dazu ist anzumerken: Ein „Presseausweis“ ist kein amtliches Dokument, sondern nur ein Beleg über die Mitgliedschaft in einem Verein bzw. Unternehmen. „Journalist“ ist kein geschützter Beruf, er definiert sich durch die ausgeübte Tätigkeit. Es gibt keine „Landespressekammer“, die darüber entscheidet, wer Auskünfte erhalten und berichten darf , und wer nicht.

„§ 2 Zulassungsfreiheit. Die Pressetätigkeit einschließlich der Errichtung eines Verlagsunternehmens oder eines sonstigen Betriebes des Pressegewerbes darf nicht von irgendeiner Zulassung abhängig gemacht werden.“

(Pressegesetz des Landes Sachsen-Anhalt)

Man kann nicht „nicht-kommunizieren“ (Paul Watzlawick)

Doch nicht nur Hallespektrum.de muss sich immer wieder über die rigide Praxis der Pressestelle, speziell der von Drago Bock, in ihrem Bemühen, „nicht zu kommunizieren“, beklagen. Besonders ungern bzw. überhaupt nicht beantwortet Drago Bock kritische Fragen. Auch nicht die von Profis, wie beispielsweise die des langjährigen Journalisten der MZ Felix Knothe, der später eine eigene Online-Zeitung gründete (Städtische Zeitung): Exklusiv – die nichtssagende Antwort der Stadt | Felix Knothe

Ob diese Kommunikationsstrategie des „Systems Wiegand/Bock“  letztlich funktionieren kann, mag dahin gestellt werden. Der Ruf des als transparenten, überparteilichen  Demokraten Wiegand ist nicht erst durch seine Marktaktion ramponiert, doch die Vorfälle sind in gewisser Weise paradigmatisch und von hoher plakativer Dichte. Die ständige Weigerung, Transparenz zu schaffen und Auskünfte zu erteilen, ist auch Kommunikation. Wie Paul Watzlawick (1921-2007) formulierte : „Man kann nicht nicht kommunizieren“.

Anhang: Anfrage der CDU-Fraktion zur Ratssitzung am 28. Januar (Aus einer Pressemitteilung der CDU):

Zur Eindämmung der derzeitigen Corona-Pandemie werden von Bund und Ländern zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Auch die Stadt Halle (Saale) hat ergänzend per Allgemeinverfügung oder darauf fußend weitere Maßnahmen ergriffen. Einzelne Maßnahmen sind allerdings nicht nachvollziehbar. So wurde am Samstag, den 19. Dezember 2020 bekanntgegeben, dass die Händler des Wochenmarktes ab Montag den 21. Dezember 2020 ihre Waren nicht mehr auf dem Marktplatz anbieten dürfen. Dieses Verkaufsverbot wurde später auf die gesamte Stadt erweitert.

Die Ansteckungsgefahr im Freien ist deutlich geringer als in geschlossenen Räumen und die Kunden des Wochenmarktes waren durch die Schließung des Wochenmarktes gezwungen ihre Einkäufe in geschlossenen Räumen zu tätigen.

  1. Auf welchen sachlichen Kriterien beruhte somit diese Entscheidung?
  2. Warum wurde diese Entscheidung so kurzfristig getroffen ohne dass Händler und Kunden eine Chance hatten, sich darauf vorzubereiten?
  3. Einzelne Markthändler haben den Rechtsweg beschritten und sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch vor dem Oberverwaltungsgericht obsiegt. Welche Kosten sind der Stadt durch diese Gerichtsprozesse entstanden?
  4. Welche Kosten sind der Stadt bislang insgesamt durch Gerichtsprozesse im Zusammenhang mit Coronamaßnahmen der Stadt entstanden?

Weshalb wurde gegenüber einer Markthändlerin ein Verkaufsverbot für das gesamte Stadtgebiet inklusiver privater Grundstücke ausgesprochen? Auf welcher rechtlichen Grundlage erfolgte diese Maßnahme? Gab es weitere derartige Entscheidungen?

 


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