Miesmuscheln: interessant und lecker
17. Januar 2021 | Bildung und Wissenschaft | Ein KommentarDie eifrigen Filtrierer kommen natürlicherweise in Massen in Muschelbänken vor oder werden an Pfählen oder Seilen haftend küstennah gemästet. Mehrere 10.000 Tiere pro m2 sind normal. Spätestens nach 4 Jahren können sie geerntet werden. Versand werden sie dann lebend. Jährlich werden in Europa 100.000 t Miesmuscheln verzehrt.
Schauen wir uns die Schalentiere genauer an. Miesmuscheln bestehen aus 2 dunkelblau bis braunlila gefärbten harten Schalenklappen, die über ein sogenanntes Schloss beweglich miteinander verbunden sind. Sie schützen die Weichteile der Muschel in der Mantelhöhle und ermöglichen einen gerichteten Wasserstrom. In die Mantelhöhle ragen Kiemen, die sowohl der Sauerstoffaufnahme als auch der Sammlung von Nahrungspartikeln dienen. Wimpern erzeugen eine stete Durchströmung. Die Kiemen bedeckt ein Schleimteppich, in dem Nahrungspartikel hängen bleiben und fließbandartig der Verdauung zugeführt werden. Die Filtrationsleistung ist beträchtlich. Die Muscheln filtrieren gnadenlos alles aus dem Wasser. Mit dem Atemwasser gelangen leider auch Schadstoffe in die Muscheln und werden angereichert.
Miesmuscheln sind seßhaft. Sie bilden sogenannte Byssusfäden, mit denen sie sich an festem Substrat und auch untereinander anheften. Diese Fäden können regelrecht moosartige Polster bilden (daher der Name: Moos gleich Mies). Aus den Byssusfäden der im Mittelmeer vorkommenden Steckmuschel gewann man aus den Byssusfäden sogar Seide. Mehrere Drüsen geben Proteine ab, die sich um einen Faserkern lagern. Die Fäden sind gut dehnbar. Sie gehören zu den dünnsten von Tieren gebildeten Fasern.
Muscheln schützen sich durch das Schließen ihrer Schalen. Das sichert ihr Überleben, wenn sie von einem Seestern attackiert werden, oder wenn sie bei Ebbe trockenfallen. Der Schließmuskel kann dann stundenlang ermüdungsfrei kontrahieren. Muskelkater kennen die Muscheln nicht. Bei einem Reiz kontrahiert der Muskel und verbleibt ohne weiteren Energieverbrauch in diesem Kontraktionszustand. Erst ein weiterer Nervenreiz hebt den Sperrzustand auf. Das ist wichtig für die Vermarktung der Muscheln.
Die geernteten und entsandeten Miesmuscheln schließen sich mit diesem energiearmen Mechanismus über lange Zeit – sie leben noch – und öffnen sich erst beim Kochen oder Grillen. Öffnen sie sich jedoch schon vorher, dann sind sie bereits tot und ungenießbar.
Miesmuscheln gehören in vielen küstennahen Regionen der Welt zu den wesentlichen Bestandteilen der traditionellen Küche. Neben der Mittelmeer-Miesmuschel (Mytilus galloprovincialis) ist es insbesondere die reichhaltig an Nordsee-und Atlantikküste vorkommende „Gemeine Miesmuschel“ (Mytilus edulis), die in gewaltigen Ausmaßen gefischt, seit einiger Zeit auch schon in Muschelfarmen gezüchtet werden und in den Handel kommen.
Entsprechend der Küchentradition des jeweiligen Landes, aber auch den zur Verfügung stehenden Zutaten hat sich eine ungeheure Vielfalt von Zubereitungsarten herausgebildet. Meistens werden Miesmuscheln in großen Töpfen in der Schale serviert. Allen Rezepten ist gemeinsam: es werden nur frische, lebende Muscheln verarbeitet.
Gewöhnlich erhält man die frischen Muscheln in Paketen verpackt beim Fischhändler – eine Möglichkeit, auf die die meisten Hallenser aus politischen Gründen zur Zeit leider kaum möglich ist. Auch die Fischabteilungen mancher Supermärkte bieten sporadisch Miesmuscheln an – dann jedoch meistens von mangelnder Frisch.
Die Endkontrolle, ob die Muscheln noch leben, obliegt immer dem Endverbraucher. Dazu werden die Muscheln in ein Becken mit eiskaltem Wasser gegeben. Sie müssen sich dann schließen, spätestens dann, wenn man an ihre Schalen klopft. Wird dann nach einer bis 2 Stunden der Schließreflex nicht ausgelöst, ist die Muschel tot: das bedeutet: nicht verzehren. Anschließend werden die Muscheln in einem Sud gekocht, oder aber über dem Sud gedämpft.
Die bekanntesten Variante dieser Rezeptgruppe sind in Deutschland wohl die „Muscheln rheinischer Art“. Nun liegt das Rheinland nicht gerade in Küstennähe. Aber es ist durch den großen Fluss gut an die niederländischen Küsten angebunden, schon in vergangen Jahrhunderten brachten die Frachtschiffe fässerweise halbwegs frische Muscheln stromaufwärts, wo sie als preisgünstiges Gericht auch ärmeren Bevölkerungsschichten zur Verfügung standen. Noch heute gehört dieses Gericht in vielen Kölner Kneipen zum Standardrepertoire, so wie „Himmel un Ääd“ oder „Halver Hahn“.
Hoffen wir also, dass unser Oberbürgermeister uns bald wieder den Verzehr frischer Meeresfrüchte gestattet. Hier schon einmal das Rezept:
„Muscheln rheinischer Art“ (für 3 Personen)
Muscheln nach der Wässerung kontrollieren. Solche, die sich selbst nach „Anklopfen“ nicht geschlossen haben, verwerfen.
Noch ein Hinweis: Muscheln soll man nur in allen Monaten mit „r“ essen, sonst drohe eine Vergiftung, hieß es früher oft. Heutzutage stimmt diese Regel nicht mehr ganz. Hintergrund: Muscheln leben von Algen. In heißen Sommermonaten kann es zur so genannten Algenblüte kommen, die Algen produzieren dann Giftstoffe, die sich in den Muscheln ansammeln. Heute gibt es dennoch auch immer Sommer Muscheln zu kaufen: der Grund: zum einen werden viele Muscheln in Aquafarmen gezogen, und weiterhin werden sie nach der Ernte eine Zeit lang in sauberem Wasser gehalten, wo eventuelle Giftstoffe ausgewaschen werden. Auch der Transport der Meeresfrüchte gestaltete sich früher in der kalten Zeit leichter als im Sommer, was aber in Zeiten von Kühllastern kein Problem mehr ist.
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Der Ausdruck „Gemeine Miesmuschel“ dürfte Schimpfwort-tauglich sein.