Zeppeline mit Klimakiller-Gas

27. Juni 2022 | Bild der Woche | 6 Kommentare

Einst wogten die im Saft stehenden Gerstenfelder in der fruchtbaren Ebene bei Schkopau, doch nun, wo die dieselnden Mähdrescher  ihr Werk verrichtet haben, steht die Hitze flimmernd über dem Land im Saalekreis. Im Hintergrund dampft das gewaltige Kraftwerk und pumpt tonnenweise Kohlendioxid in die Luft. Kohlendioxid viel ist schwerer als Luft, und so versteht man nicht, was diese Luftschiffe zu bedeuten haben. Würde man dieses Gas in ihre Ballonhülle  pumpen, könnten sie niemals abheben. Deshalb hat man früher Wasserstoff, später, nachdem die ersten Luftschiffe mit dem hochentzündlichen Gas explodiert waren, nahm man das viel teurere Helium. Aber es gibt auch Pflanzen, die sich mit solchen Fluggeräten durch die Luft verbreiten. Die Pflanze, die wir heute suchen, benutzt dafür tatsächlich Luftschiffe, die sie – es scheint wohl ein Fehler der Natur zu sein – nicht mit Wasserstoff, sondern mit Kohlendioxid prall gefüllt hat. Im Herbst dann segeln die Zeppeline über Land und bleiben liegen, wohin der Wind sie getragen hat. Und wenn die kleinen Luftschiffe dann irgendwann platzen, geben sie ihre Samen frei. Man stelle sich vor, die Pflanze könnten ihre Zeppeline mit Wasserstoff füllen – die Teile würden womöglich ewig wie Musks Satelliten  um die Erde kreisen. Denn die Blasen sind tatsächlich ausgesprochen gasdicht. Aber Pflanzen produzieren kein Wasserstoffgas. Aus der Schule wissen wir aber: Bei der Photosynthese produzieren die Pflanzen unter Lichtzufuhr aus Kohlendioxid Sauerstoff, den sie in die Luft abgeben, und den verbliebenen Kohlenstoff setzen sie mit Wasser in Kohlehydrate um. Davon leben sie, ganz grob und ganz ungenau gesagt.
Die Pflanze, die wir heute suchen, ist aber auch in anderer Hinsicht ein richtiges Chemiewerk. Denn zum Aufbau von Proteinen und der DNA braucht sie Stickstoff. Die meisten Pflanzen sind darauf angewiesen, stickstoffhaltige Salze dazu aus dem Boden aufzunehmen. Wenn dort zu wenig davon vorhanden ist, verkümmern sie. Unsere Pflanze macht es sich einfach: sie greift den Stickstoff im wahrsten Wortsinne einfach aus der Luft. Dazu benötigt sie allerdings die Mithilfe anderer kleiner Helferlein. Die sie dafür mit einem Teil der Gewinne aus der Photosynthesewirtschaft entschädigen muss.

Viele Fragen bleiben natürlich für unsere findigen Leser:

Um welche Pflanze handelt es sich?
Wie funktioniert das mit dem Stickstoff?
Wenn die Pflanze ihre Zeppeline statt mit Kohlendioxid mit Sauerstoff füllen würde – könnten die Zeppeline dann richtig fliegen?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Herzilein unter der Brücke“):  Herzgespann, Löwenschwanz, Leonurus cardiaca.

NhuDeng schrieb uns und hatte damit alle Fragen beantwortet: „Es handelt sich um die Heilpflanze Herzgespann,Leonurus cardiaca, welche auch Löwenschwanz genannt wird. Das Echte Herzgespann soll bei Herzkrankheiten helfen. Auch der Name cardiaca bezeichnet den Einsatz als Heilmittel. Ich vermute, durch das Herz auf der Kutsche wird das Pferdegespann zu einem Herzgespann. Bei mir wächst die Pflanze im Garten.“

In der Tat ist der beeindruckend große Lippenblütler ein ansehnliches Gewächs, das seit dem 16. Jahrhundert nicht nur als Heil-, sondern auch als Zierpflanze in den Gärten zu finden war. Von dort ist die aus dem Mittelmeerraum stammende Heilpflanze  ausgebüchst und wurde in Deutschland heimisch. Aber sie ist selten, und obwohl ein „Neophyt“, seht sie unter Naturschutz. Eigentlich liebt die Pflanze nährstoffreiche  und sonnige Standorte. Wie sie an den eher schattigen Platz am Saaleufer unter den Bäumen gedeihen kann, ist unklar.
Als Heilpflanze wird das Gewächs spätestens seit der frühen Neuzeit verwendet. Es enthält eine Vielzahl von Substanzen. Welche davon im Einzelnen die „herzstärkende“ Wirkung ausmacht, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Tatsache ist aber, dass die Inhaltsstoffe calciumantagonistisch wirken, wodurch der Blutdruck gesenkt und die Herzfrequenz heruntergeregelt wird. Viele moderne Blutdruckmedikamente beruhen ebenfalls auf diesem Prinzip.

Mit einem „Gespann“ im Sinne eines Fahrzeugs mit Zugtieren hat der Pflanzenname allerdings nichts zu tun. Es soll wohl eher von „Span“ für „Schmerz“ zusammen hängen. Herzschmerz-Pflanze. Auch hübsch.

Den wissenschaftlichen Namen hat sie aus dem Griechischen. „Cardiaca“ ist vom Herzen abgeleitet (Kardia = Herz), und Leonurus bedeutet Löwenschwanz. Die oft dreifach aufgespaltenen Blätter sollen an die Schwanzquaste eines Löwen erinnern. Mit viel Phantasie.

(HW)

Noch viel mehr Pflanzen findet Ihr in unserem Archiv. Seit 2016 jede Woche ein neues Gewächs in unserem Lustgarten.

 

 

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