Herzilein unter der Brücke

20. Juni 2022 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Ach, was für ein herzallerliebstes Bildchen.  Dieses hübsche Gespann, das da unter der Graffiti-verzierten Elisabeth-Brücke dahinzieht, mit diesen edlen Rossen und der feinen Kutsche: ob es sich wohl von der Galopprennbahn aus hierher verirrt hat? Ist das eine etwas arg kitschig geratene Aktion des halleschen Stadtmarketing? Haben die Grafiker der Pflanzenredaktion einfach nur lange Weile? Oder hat es vielleicht doch mit der Pflanze zu tun, auf die das lustige Gespann geradeaus zusteuert? ( Nein, wir meinen nicht die Brennnesseln im Hintergrund, sondern die Pflanze weiter vorne, die mit den hell-blassvioletten Blüten.)

Das wäre schon unsere erste Frage. Aber noch mehr hätten wir: Woher hat denn die Pflanze ihren Namen, und ist da das Bild mit der Kutsche wirklich richtig gewählt?

Wir fanden die Pflanze an einem eher schattigen Plätzchen, neben den Brennesseln nicht weit weg unter der Elisabethbrücke an einem eher feuchten Plätzchen in Nähe des Saaleufers. Ist das der „richtige“ Standort? (Wir haben sie übrigens nicht dahin „gefotoshoppt“, die wächst da wirklich).

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: („Gegner der neuen Rechtschreibung mögen sie nicht“): Große Brennnessel, Urtica dioica

Rati hatte die richtige Lösung parat, wir suchten nach der großen Brennessel und hatten gefragt, ob man sie essen könne. Klar kann man, wenn man die jungen Triebe zubereitet wie Spinat, also dünstet. Dabei brechen die feinen Brennhaare ab, in deren Hohlräumen wie in der Kanüle einer Spritze all diese bösen Giftstoffe lauern: Ameisensäure, Histamin, Serotonin, Acetylchlorid.

Diese jagt sie nämlich gerne in die Haut ihrer tierischen und menschlichen Angreifer, was bekanntermaßen einen Schmerzreiz auslöst. Die größte Wirkung kommt dabei gar nicht einmal der Ameisensäure zu, sondern den drei letztgenannten, sie sind allesamt Nervenbotenstoffe, die an den Synapsen ein wahres Schmerzkonzert auslösen und zu Allergie-ähnliche Hautreaktionen hervorrufen. Ist in der Regel nicht schlimm, aber ziemlich unangenehm.

Als frischen Salat sollte man die Pflanze daher besser nicht verzehren, nicht nur wegen des zu erwartenden Prickelns auf der Zunge. Es sei denn, man wäscht die Blätter gründlich und legt sie in eine Marinade ein – auch dabei verliert sie ihre Waffen. Und nicht nur die: meisten gibt es einen Grund, weshalb an einem Standort viele Brenneseln wachsen. Weil Mensch und Tier hier fleißig gedüngt haben. Denn die Brennnessel liebt Stickstoff. Den braucht sie, um ihn in Form von Proteinen einzulagern. Und um ihre Chemiewaffen produzieren zu können. Serotonin und Histamin enthalten nämlich viel Stickstoff.

 

Verbotene Jauche

Wenn man Brennnesseljauche zubereitet, indem man das material in einem Topf Wasser gären lässt, wird dieser Stickstoff in Form von Ammoniak und flüchtigen Aminen wieder freigesetzt. Und das stinkt bestialisch. Um diese Brennnesseljauche gibt es deshalb immer wieder Nachbarschaftsstreitigkeiten. Aber nicht nur das: in Frankreich wurde sogar ihr Verkauf verboten, auch die Weitergabe von Rezepten dafür sollte unter Strafe stehen. Angeblich sogar auf Druck der Chemie-Lobby. : die wollte nämlich, dass Hersteller der Jauche den selben strengen Vorschriften unterliegen sollten wie ihre Produkte, also mit Nachweis der Umweltverträglichkeit und Nachweis der Wirksamkeit. Das Verbot wurde mittlerweile wieder aufgehoben.

Während die Wirksamkeit der Brennesseljauche als Stickstoffdünger unbestritten ist, ist ihre Wirksamkeit gegen Blattläuse jedoch noch nicht zweifelsfrei wissenschaftlich bewiesen oder erklärt worden. Das macht auch nichts, denn als „Gesprächsthema“ unter Gartennachbarn taugt die Pflanzengülle auf jeden Fall.

Brennnesselleinen (Auch ein schönes Wort)

Dass die Pflanze außerdem sehr viel Fasern enthält, merkt jeder, der schon einmal Pflanzen ausreißen wollte. Schon für die in der Bronzezeit ist nachgewiesen, dass die Fasern zur Herstellung von Textilien verwendet wurden. Zu diesem Zwecke wurden aus der großen Brennessel durch Auslese sogar besonders faserhaltige Zuchtformen ausgelesen.

(HW)

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