Kleines Pyrenäentagebuch zweier Hallenser in Katalonien

31. Mai 2018 | Politik | Keine Kommentare

Carcassonne, eine der alten catalanischen Grafschaften, auch in Gelb gehüllt. Nein, keine Solidarität, sondern ein Kunstprojekt.

Es sind die vielen kleinen Dinge, die uns erst später eingefallen sind: Da ist zum Beispiel der alte Herr, Typ iberischer Gentilhombre (Gentleman), der bei unseren Morgenkaffee in der Nähe sitzt und deutlich sichtbar eine gelbe Schleife am Jacketkragen trägt. Die gelbe Schleife ist das Zeichen für die politischen Gefangenen, die Spanien nach Meinung der Katalanen nach Ausrufung des § 155 gemacht hat, und für die katalanischen Politiker, die ins Exil gehen mußten. Von den Gefangenen und Exilanten am bekanntesten ist der ehemalige catalanische Präsident Puigdemont, der in Deutschland festgenommen worden ist, und im Moment auf freien Fuß in Berlin weilt. Dort wartet er auf die Entscheidung der deutschen Gerichte, ob er nach Spanien ausgeliefert wird.

 Senyera: Gelb mit vier roten Streifen

Wir sind in Frankreich und wollen uns selbst einen Eindruck von der Situation in Katalonien machen. Von Carcassonne kommend reisen wir über eine weitere der alten historischen Grafschaften, Cerdanya, ins Land. Der nördliche Teil davon, das französische Cerdagne, wurde aufgrund des Pyrenäenfriedens von 1659 von den spanischen Königreichen abgeteilt und ging an Frankreich. Lediglich die Stadt Llívia blieb bei Spanien. Das es katalanisch wird, zeigen offizielle Schilder, denn auch Cerdagne benutzt die Farben Kataloniens, die auf Graf Wilfried I., „der Haarige“ genannt, zurückgehen. Der karolingische Graf Wilfried unterstützte König Karl, den Kahlen, beim Kampf gegen die Normannen und wurde dabei verwundet. Karl tauchte seine Finger in das Blut des Verwundeten und zog vier rote Streifen auf den gelben Schild Wilfrieds. Das war fortan das Wappen der Grafen von Barcelona und das Banner Kataloniens.

Gelbe Schleifen, die Fahne der katalanischen Linken (Estelada Vermella oder Groga) und die Inschrift „Freiheit“

Die Grenzstraße zwischen ist Frankreich und Spanien ist bewacht. Ein Polizist blickt kurz auf unser deutsches Autokennzeichen und winkt uns weiter. An der nächsten Brücke taucht die erste gelbe Schleife auf und die Inschrift „Freiheit“. Die nächste Straßensperre ist wirksamer: Umleitung. Wir gelangen doch noch zur Passstraße. Das Auto bewältigt die Anhöhe auf 1790m mühelos. Einige Radfahrer bleiben hinter uns zurück. Auf der Passhöhe befindet sich ein großer Parkplatz und ein Hotel. Auf der Serpentinenstraße herunter bis Ribes de Freser kommen uns drei deutsche Busse entgegen.

Die Estelada, Fahne der bürgerlichen Unabhängigkeitsbewegung ist überall im Ort zu sehen.

Ribes de Freser liegt mitten in den Pyrenäen auf etwa 900m Höhe in einem Einschnitt, den das Flüßchen Freser gegraben hat. Uns begrüßt eine Estelada (Fahne der Demokratie- und Unabhängigkeitsbewegung) am ersten Haus und ein neues Ortseingangsschild weist Ribes de Freser als eine Gemeinde der katalanischen Republik aus. So viel Enthusiasmus haben wir in Barcelona erwartet, aber nicht in einem Provinznest mitten in den Pyrenäen nahe der französischen Grenze.

Allgegenwärtig während unserer Stippvisite: Die gelbe Schleife

Wir fahren durch den kleinen Ort bis zu unserem Hotel. Einige Männer sitzen vor dem Café. Die Straße geht direkt durch eine Art Fußgängerzone hindurch. Von Balkonen und Fenstern hängen Fahnen oder Plakate mit „Politische Gefangene“ und „Ja“ (Plakate aus der Unabhängigkeitsabstimmung von 2017, die Spanien mit Gewalt zu verhindern versuchte). Wir stellen unser Auto auf dem großen Parkplatz am Bahnhof ab und beziehen das Hotelzimmer. Jetzt würde uns ein Kaffee gut tun. Wir sind als Touristen hier. Wir sitzen auf dem Platz, über dem wir eben mit dem Auto gefahren sind. Zwei Milchkaffee (Café con Leche) stehen vor uns. Eine Gruppe junger Leute setzt sich an zwei Nebentische, raucht und unterhält sich. Eine junge Frau hat sich zwei gelbe Schleifen mit Leuchtfarbe ins Gesicht gemalt, auf jeder Wange eine.

Kloster Ripoll, 879 von Wilfried I. gegründet, hier ist der Graf auch beerdigt.

Museumsbesuch und ein Papst aus Ripoll

Frühstück also am nächsten Tag in Ripoll. Barcelona oder Girona schaffen wir auf dieser Fahrt nicht. Wir beschließen in Ripoll zu wenden, nach Frankreich zurückzufahren. Aber das Museum, mit wiedererrichteter Kirche und dem wundervollen romanischen Portal, muß noch besucht werden. Das Kloster Ripoll gilt als Wiege Kataloniens. Von hier aus wurde das verlassene Land wieder besiedelt. Das ist alles Wilfrieds Werk und das seiner Nachkommen. Kloster Ripoll legte die geistigen und wissenschaftlichen Grundlagen.

Eine Tafel erinnert an den Gelehrten und späteren Papst Gerbert von Aurillac, Erzieher und Lehrer von Otto III.

Wir bezahlen unser Frühstück, auch an der Tür der Bäckerei ist eine gelbe Schleife befestigt. Auf dem Weg wird die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert. Der Bäcker ist keine Ausnahme: Jedes Geschäft im Ripoll trägt die gelbe Schleife. Die Gemeindeverwaltung ist gleichfalls mit gelb verziert. Über den Eingang steht „Demokratie“, eine große gelbe Schleife ist am Haus befestigt. Sogar ein offizielles Museumsplakat hat neben den Sponsoren die gelbe Schleife eingedruckt. Im Museum begegnet uns eine Gedenktafel, die aufzeigt, dass schon vor über 1000 Jahren die Welt klein war: Gerbert von Aurillac, Papst Sylvester II., studierte in Ripoll und  Barcelona. Sein Wissen gab er weiter. Er wurde Erzieher und Lehrer des Kaisers Otto III. Aus einfachsten Verhältnissen stammend gelang ihm durch die Gunst des Kaiser die Wahl zum Papst.

Col d´Ares

Zurück nach Frankreich

Der Col d´Ares, 1513m, ist unsere letzte Station in Katalonien. Aber die gelben Schleifen und Esteladas begleiten uns auch durch Südfrankreich. Die letzten werden in Perpignan von uns registriert. Auf der Passhöhe gibt es keine Kontrollen. Vor uns befinden sich die Schilder, die Frankreich anzeigen. Aber wo sind die Schilder auf der spanischen Seite? Einige Sprayer haben auf einer Mauer vulgär kundgetan, was sie vom spanischen König halten. Wir sollen Spanien in 210 km Entfernung suchen. Auch hier sind alle Zäune voller gelber Bänder. Wir stoßen auf einen Gedenkstein und eine Gedenktafel: Col d´Ares war ein wichtiger Pass bei der Flucht von ca. 450 000 Katalanen,  Zivilisten und Bürgerkriegssoldaten bunt gemischt, die sich nach dem Sieg Francos 1939 auf der Flucht vor der faschistischen Willkür und den Erschießungskommandos befanden. Und heute müssen wieder Katalanen aus politischen Gründen aus ihrem Land fliehen? Aber dieses Mal wollen die Katalanen ihr Selbstbestimmungsrecht nicht blutig erkämpfen, sondern setzen auf zivilen Ungehorsam, Protest und eine politische Lösung im Dialog. Die Zentralregierung in Madrid und mit ihr der König beharren stur auf ein zentralstaatliches Spanien und verweigern jeglichen Schritt in Richtung auf Förderalismus. Bleibt als einzige Lösung die Unabhängigkeit. Für die Menschen in den Pyrenäen scheint diese nicht mehr aufzuhalten zu sein.

Riosal

Literatur: Schreiber, Krystyna: Die Übersetzung der Unabhängigkeit, Dresden, 2015, 2. Aufl., 978-3-939025-60-3

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