Die Sondersitzung des Stadtrats – ein großes Possenspiel

12. Februar 2021 | Politik | 11 Kommentare

Es wurde unterbrochen, gestritten, beleidigt und vieles mehr – aber der Reihe nach:

Bei der heutigen Sondersitzung des Stadtrates von Halle (Saale) ging es um das seit Tagen in aller Munde diskutierte Thema des Umgangs der Stadt Halle mit den Impfresten der Covid-19-Schutzimpfung. Unter der Leitung der Stadtratsvorsitzenden Katja Müller wurde die Sitzung plangemäß um 16 Uhr eröffnet und zunächst mit großer Mehrheit einer Verlängerung auf 120 Minuten zugestimmt.

Zu Beginn meldete sich dann zunächst Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand zu Wort, der sich in den letzten Tagen aufgrund seiner eigenen Impfung und aufgrund seiner Funktion als Vorsitzender des Katastrophenschutzstabes heute den Fragen der Stadträte stellen musste. In seinem Statement wiederholte Wiegand jedoch zunächst nur diejenigen Informationen, die aufmerksame Zuhörer auch schon in den täglichen Pressekonferenzen zuhören bekommen hatten. So habe man sich seit Januar gefragt, was man mit möglicherweise übrigbleibenden Impfdosen am Ende des Tages anstellen sollte. Da ein Wegwerfen nicht in Frage käme, habe man entschieden, nach dem Versuch des Anrufens prioritärer Personen letztlich auch – in einem sogenannten Ad-Hoc-Verfahren – Personen, die zuvor ihre Impfbereitschaft signalisiert hatten, per Zufallsgenerator auszuwählen und ihnen die Impfung anzubieten. Auf dieser Liste für einen solch atypischen Fall habe neben ihm selbst auch eine Reihe von Stadträten und zahlreiche Mediziner jeglicher Art aus der Stadt gestanden. Bei seiner eigenen Impfung handle es sich demnach also nicht um „Vordrängeln“, sondern lediglich um die allerletzte Möglichkeit, die geblieben war, bevor am die Impfdosis hätte wegwerfen müssen. „Alles ist besser als wegwerfen!“, so Wiegand im Wortlaut.

Auf die Frage, warum genau eigentlich Stadträte auf der Liste standen und wer darüber entschieden habe, antwortete Wiegand stets mit einer umschweifenden Darlegung über die Wichtigkeit des Gremiums und des Katastrophenstabes, ohne den in der Stadt aktuell vermutlich nur Chaos und Unordnung herrschen würden. „Wir haben der Stadt damit einen Gefallen getan!“, antwortete er beispielsweise.

Ferner zeigte sich Wiegand jedoch äußerst ungehalten über die seiner Meinung nach unglaubliche Scheinheiligkeit einiger Stadträte, die jetzt Teil des gegen ihn gerichteten Shitstorms seien. Wiegand sprach von einem Skandal, einer Hexenjagd und einem Verhör gegenüber ihm, als parteilosem Oberbürgermeister.

Nachdem die Stadtratsvorsitzende Frau Müller ihn dann unterbrach, um auch den Stadträten die zeitlich ohnehin begrenzte Möglichkeit für Fragen an ihm zu ermöglichen, reagierte Wiegand erneut äußerst gereizt, verstummte dann aber für einige Momente, sodass beispielsweise der Vorsitzende der SPD-Fraktion in Halle, Eric Eigendorf, ein paar Worte an ihn richten konnte.

Eigendorf sprach von einem unwürdigen Umgang des OBs mit dem Thema und rügte sogleich die Wortwahl Wiegands, von Beginn an von Hexenjagd und Scheinheiligkeit zu sprechen. Seiner Meinung nach habe man in den letzten 7 Tagen extrem viel Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern verspielt, sodass der Oberbürgermeister viel eher einsehen solle, nur durch klare Antworten auf die ihm gestellten Fragen das Vertrauen in der Öffentlichkeit zurückgewinnen zu können.

Etwas drastischer sah es da Detlef Wend von der Fraktion MitBürger & Die PARTEI, welcher Wiegand sogleich zum Rücktritt aufforderte und auch Johannes Streckenbach von der CDU, der sagte, Wiegand solle sich doch von seinen Wählern im Amt bestätigen lassen, wenn er – wie er sagt – tatsächlich nichts falsch gemacht habe.

Eine Frage, an welcher sich die Gemüter erhitzten war dann diejenige nach der angeblich umfassenden Informierung aller Stadträte, die Wiegand immer wieder angesprochen hatte. Seiner Meinung nach seien nämlich alle Stadträte über die Verfahren und die Existenz einer Impf-Liste und auch den Zufallsgenerator, der im Falle von Ad-Hoc-Verfahren die zu impfenden Personen auswählt, informiert worden. Wiegand sagte, man sei über die persönlichen E-Mails an jeden Stadtrat und jede Stadträtin herangetreten und habe außerdem auch im Hauptausschuss mit allen Fraktionsvorsitzenden gesprochen. Dazu gäbe es entsprechende Wort-Protokolle.

Zahlreiche laute Zwischenrufe waren daraufhin vernehmbar. Unter anderem war „Das gibt es doch nicht!“ zu hören. Viele Stadträte verneinten in der Folge das von Wiegand behauptete. Auch die Vorsitzende Müller äußerte sich dazu und gab an Wiegand zurück, selbst sie habe keine solche E-Mail erhalten. „So wie sie es hier erzählen, ist es nicht gewesen!“, sagte Müller deutlich.

Sie lügen, Frau Müller! Das ist eine Unverschämtheit, unglaublich!„, antwortete Wiegand.

Immer wieder kommt es in der Folge zu Unterbrechungen der Redezeit einzelner Stadträte, weil Wiegand ihnen ins Wort fällt oder direkt auf Fragen antworten will bzw. Personen benennen will, die statt seiner selbst auf die Fragen antworten sollten, ohne dass ihm das Rederecht erteilt worden ist. Alle zwei Minuten hört man Frau Müller deshalb lauter werdend sagen: „ICH erteile hier das Wort und Sie sind jetzt nicht dran, Herr Oberbürgermeister!“

Die Antworten Wiegands reichen von „Ich möchte nur Zeit gewinnen, deshalb rede ich immer dazwischen!“ bis „Doch, ich darf jederzeit reden!“

Als Frau Müller, sichtlich überfordert mit dem quengeligen Wiegand und der immer ungeduldigeren Haltung einiger Stadträte schließlich salopp antwortet: „Ach ist mir jetzt auch egal, Sie können ja morgen ein Untersuchungsverfahren gegen mich in die Wege leiten!“ , fordert Wiegand sie ein letztes Mal dazu auf, so vehement gegen seine Person zu reden. „Unterlassen Sie das bitte dringendst!“, so Wiegand.

Gegen Ende der Sitzung melden sich noch zwei Stadträte zu Wort, die selbst zugegeben haben, zu den nunmehr Erstgeimpften zu gehören. Während sich einer umfänglich für sein Verhalten entschuldigt und erklärt: „Ich weiß, dass ich viele Menschen enttäuscht habe und es tut mir leid. Ich bin nicht scheinheilig und möchte mich deshalb gegenüber dem Stadtrat und allen Menschen der Stadt entschuldigen. Ich gestehe meinen Fehler ein.“, sagt der andere: „Als ich den Anruf und die Möglichkeit zur Impfung bekam, habe ich zugesagt und war mir der Tragweite dieser Entscheidung nicht bewusst. Das was jetzt rauskommt, Dank der Medien, Dank der vielen Nachfragen, wirft plötzlich eine große Frage nach Schuld und Verantwortung auf. Ich sehe nicht, dass ich mir einen Vorteil genommen habe, sehe aber die heute schwierige Lage, in die ich mich gebracht habe. Damals wollte ich angesichts der Querdenkerbewegung in Halle einfach ein Zeichen für die Impfung setzen. Ich hatte aber keine Kenntnis von Ad-Hoc-Verfahren oder Zufallsgeneratoren. Ich wusste lediglich, dass ich mich als impfbereit gemeldet hatte.“

Als dann die Sitzungszeit zu Ende geht und der Antrag auf Verlängerung und eine kurze Pause gestellt wird, ist der Oberbürgermeister der Erste, der sich lauthals – noch vor der Abstimmung darüber – dagegen ausspricht. „Dazu bin ich nicht bereits!“, ruft er laut.

Die Sitzung ist damit beendet und noch bevor sie von Frau Müller offiziell als solche betitelt wird, wirft sich Wiegand seinen Schal um den Hals und verlässt seinen Platz.

Was bleibt? Was hat’s gebracht? – Nicht viel – leider:

Die FDP und die CDU wollten wissen, welche Stadträte aus ihren Fraktionen angeblich von der Ad-Hoc-Liste wussten. Wiegand verweigerte diesbezüglich die Aussage und berief sich stets auf den Datenschutz. Die SPD will nun Akteneinsicht in alle Dokumente und Kommunikationen des Katastrophenstabs fordern, worauf Wiegand sich nach eigener (leicht zynischer) Aussage „freue“.

Viele sind der Meinung, der Oberbürgermeister habe einen klaren Vorteil im Amt wahrgenommen, berufe sich jetzt aber darauf, auch eine Privatperson zu sein und deshalb nicht über alles informieren zu müssen. Was er schuldig bleibt ist schlicht die Einsicht, eventuell einen Fehler gemacht zu haben und eventuell zur falschen Zeit ein Angebot angenommen zu haben, auf das tausende seiner Untertanen bis heute vergeblich warten, obwohl sie einem weit höherem Risiko einer Infektion ausgesetzt sind, als er selbst.

Print Friendly, PDF & Email
11 Kommentare

Kommentar schreiben