komm mit – wohin?

18. Mai 2019 | Kultur | Keine Kommentare

Das neue Jahresprogramm der Franckeschen Stiftungen hat uns neugierig gemacht. „komm mit – wohin?“, heißt es. Es soll ein „Jahresprogramm über Krise und Aufbruch“ sein. Frau Klapperstück und Frau Heldt von den Stiftungen waren so freundlich, mit HalleSpektrum ein Gespräch zu führen. Wir unterhielten uns über die Museumsnacht, über Krisen, über das Jahresprogramm und besondere Veranstaltungen in den Franckeschen Stifungen.

Hallespektrum: Zunächst die Nachlese. Nachts auf dem Kreuzfahrtschiff (Museumsnacht): Wie war es?

Frau Heldt: Es war eine Kapitänslobby mit Loungemöbeln mit Tischen, Palmen, ein DJ, der Elektroswing und Swing gespielt hat. Es gab auch Tänzer, die Swing getanzt haben. An den Wänden das Meer, Wasser mit Fischen, aber eben mit Plastikmüll…

Hallespektrum: Es gab also eine ernste Komponente?

Frau Klapperstück: Wir hatten dazu auch Statements an den Wänden mit ganz klaren Aussagen, wie viel Plastikmüll schon im Meer ist, wieviel noch dazukommt, um einfach immer wieder diese Thematik ins Bewusstsein zu holen.

Museumsnacht Franckesche Stiftungen. Foto: Franckesche Stiftungen

3000 Besucher zur Museumsnacht auf dem Kreuzfahrtschiff

Frau Heldt: Im Jahr 2050 schwimmt bestimmt mehr Plastik im Meer als Fische dort schwimmen. 90 % der Raubfische sind dann ausgerottet. Das haben wir hingeschrieben.

Es gab eine Riesennachfrage an dem Tag im Haus. Alle fragten nach dem Kreuzfahrtschiff, waren auch alle neugierig, also so wie Sie, und wollten das auch erleben. Da gab es von 18 bis 24 Uhr einen Riesenandrang.

Die Illumination machte auch eine ganz schöne Stimmung. Es wirkte wirklich so, als wenn man auf einem Schiff ist. Oben war die Wasseroberfläche zu sehen, so dass man wirklich unten war. Es waren 3000 Leute da, es war wirklich ein Erfolg. Es war auch gut, ein aktuelles Thema anzufassen und auch so provokativ und das nicht glatt zu bügeln, sondern zu sagen, wir reden jetzt mal Klartext, was wir machen: Tanz auf dem Vulkan.

Hallespektrum: Nicht nur Schifffahrtsromantik..

Frau Klapperstück: Und nicht nur Belehrung, wie schrecklich der Klimawandel ist, sondern auch diese Ambivalenz zu zeigen. Denn wir wissen es ja im Grunde eigentlich alle, und trotzdem leben wir ja mehrheitlich weiter so wie auf einem Schiff, das am Untergehen ist. Das ist die Metapher, deshalb sind wir auch auf das Kreuzfahrtschiff gekommen, das für ökologische Verschwendung steht, für Luxus und Verschwendung.

Ständig wird über Krisen geredet.

Hallespektrum: Kommen wir jetzt zum Jahresmotto der Franckeschen Stiftungen, der Grund für unseren Besuch: „Komm mit – wohin?, Krise und Aufbruch. Was für eine Krise haben wir denn? Wie sind Sie auf das Jahresmotto gekommen?

Frau Klapperstück: Wir haben ja gleichzeitig das Bauhausjubiläum, als großes übergreifendes Thema. Wir haben in der Vorbereitung, wir haben jedes Jahr Jahresthemen, überlegt, wie wir an dieses Thema Bauhaus andocken können, ohne das wir zu historisch werden, weil wir mit den Jahresthemen auch aktuelle Fragestellungen bewegen wollen. Und haben dann den Link für uns gesetzt, dass auch das Bauhaus in einer krisenhaften Zeit entstanden ist und Visionen entwickelt hat, z.B. neues Bauen, neues Zusammenleben, Gemeinschaft. Es hat auch ein Gesellschaftserneuerungsgedanke hinter dem Bauhaus gestanden. Es auch so, dass wir im Moment eine Krisenwahrnehmung haben, in den Medien. Überall ist von Krisen die Rede, ob es das Klima ist oder ob es die EU ist oder ob es das Thema Migration ist. Medien, Digitalisierung, man kann gar nicht aufhören. Ständig wird über Krisen geredet.

Wir haben gesagt, wir wollen genauer hinschauen. Gucken, was sind wirklich Krisen. Geht es uns wirklich so schlecht? Ist das eine Form von Hysterisierung? Was sind wirklich die echten Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen? Und was sind die Dinge, wo wir zurücktreten müssen, uns sagen, eigentlich leben wir doch in einem ziemlichen Wohlstand, haben auch Chance, Dinge tatsächlich zu tun und aktiv zu werden. Das war der Anlass.

Frau Heldt: Genau, gerade bei der Museumsnacht und der Ökologie gibt es auch eine Antwort. Das hat uns Harald Welzer bei der fulminanten Eröffnung des Jahresprogramms vor Augen geführt: Das ist keine Krise. Eine Krise geht vorbei. Der Klimawandel und die daraus resultierenden Naturkatastrophen die gehen eben nicht vorbei. Dafür braucht man andere Lösungen. Man muss sich einfach anders verhalten. Kreative Lösungen müssen gefunden werden. Deswegen auch „Aufbruch“, das ist der Schwerpunkt des Programms und des Inhaltes.

Frau Klapperstück: Das ist auch ein Prozess im Jahr. Wir sind auch kein ökologisches Institut. Wir haben keine Antworten parat. Wir wollen es ins Gespräch bringen. Dazu haben wir das Programm entwickelt und Leute eingeladen, die einen substantiellen Beitrag liefern können, das Gespräch sozusagen mit uns zu führen. Das war Harald Welser zur Eröffnung, ein fulminanter Beginn.

Jana Simon Foto: Frank Rothe

Was uns jetzt aktuell am Herzen liegt, ist die nächste Veranstaltung, die genau da ins Zentrum zielt. Das ist Jana Simon, die nächste Woche am Dienstag in die „Persönlichkeiten“-Reihe kommt. Sie ist die Enkelin von Christa Wolf, hat also auch eine interessante Biographie. Da ist auch diese Ostwest-Auseinandersetzung mit drin. Sie stellt ihr neues Buch vor »Unter Druck. Wie Deutschland sich verändert« Da hat sie über mehrere Jahre Menschen aus ganz unterschiedlichen sozialen und politischen und gesellschaftlichen Kontexten begleitet. Sie zeigt an diesen persönlichen Schicksalen ein Bild von Deutschland und wie sich Menschen fühlen und wo sie unter Druck sind. Man denkt ja bei „Unter Druck“, dass es nur so eine politische Ebene sein könnte. Da geht es aber um alles. Da geht es um, was macht die Digitalisierung mit uns? Wie gehen wir mit dem Klimawandel und der ökologischen Katastrophe um? Wie sieht es in der EU aus? Zerbricht quasi diese Gemeinschaft? Es ist sehr breit und es sind sehr spannende Leute: Von ganz jung, einer Influencerin, bin hin zu Alexander Gauland. Auch der hat sich bereit erklärt, dass sie ihn über mehrere Jahre begleitet. Bei der Veranstaltung wird es viel um das Buch und über die Erfahrung, die sie mit diesen Menschen gemacht hat, gehen. Aber natürlich auch um sie und ihre eigene Biographie. Das finde ich persönlich schön, dass es geklappt hat. Das Gespräch wird von Reinhard Bärenz vom MDR moderiert.

Wir binden den sozialen und den kulturellen Bereich eng zusammen.

Hallespektrum: Wohin steuern die Stiftungen in dieser Krise?

Frau Heldt: Wir steuern zum Abschluss unseres Wiederaufbaus mit den drei Baustellen. 2021 ist die große Scheune fertig, die kleine Scheune und auch die Druckerei. Und damit ist wirklich das ganze historische Ensemble saniert. Dann ist wirklich alles geschafft.

Inhaltlich, dass sehen Sie ja auch an unserem Jahresthema, sind wir etwas politischer geworden. Wir haben die „Erklärung der Vielen“ unterschrieben. Wir positionieren uns auch öffentlich.

Hallespektrum: Das war die letzten zwei, drei Jahre auffällig.

Frau Heldt: Genau, wir unterstützen auch Kinderprojekte bei uns, die beschäftigen sich mit Upcycling und mit Umweltschutz, mit Mülltrennung. Das ist ganz schön, denn wir binden den sozialen und den kulturellen Bereich wirklich eng zusammen. Seit 2017, dem Erfolg der Jugendausstellung, haben wir auch Jugendliche stärker im Fokus. Das Treff im Quartier im Bauhof ist ein Projekt von uns, in dem wir uns mit Jugendlichen beschäftigen. Dann werden wir im Kulturprogramm als Begleitveranstaltung zur Jugendausstellung ein Mitbestimmungsprojekt zur Stadtentwicklung gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendbeauftragten initiieren. Dieser Fokus sozial zu wirken, den haben wir sowieso. Dabei ist uns auch die Frage der Interkulturalität wichtig. Wir haben mehrere Freiwillige aus Osteuropa und seit zwei Jahren auch indische Freiwillige, dieses Jahr kommt die dritte.

Das Lindenblütenfest: Kultureller Austausch (22. u. 23. Juni)

Hallespektrum: Was sind denn ihre persönlichen Höhepunkt im Veranstaltungskalender des Jahresprogramms?

Frau Heldt: Unser persönlicher Höhepunkt ist natürlich das Lindenblütenfest. „Kulturrouten Räume“ heißt das Lindenblütenfest dieses Jahr. Wir beschäftigen uns mit kulturellen Austausch. Wir machen ein Fest darüber, wie sich Kulturen gegenseitig beeinflusst haben, wie viel Kultur von anderen steckt in unserer Kultur. Darum geht es beim Lindenblütenfest. Es ist nicht rein historisch, sondern thematisch. Wir haben über 80 Mitmachangebote, Händler usw. Wir haben überlegt, wie können wir es aufbereiten. Es ist ein festes Konzept, wir weisen das Konzept, das Thema an einzelnen Stellen wieder aus.

Hallespektrum: Ein Themenmarkt

Frau Heldt: Genau, wir haben uns überlegt, dass wir das Thema über die Wege des Kulturaustausches nachvollziehen, über das Land, über die Seidenstraße, über das Meer, durch die Luft, die Kommunikationswege. So teilen wir auch das Gelände auf und dann gibt es eben die dementsprechende Gestaltung, die entsprechenden Stände, die dazugehören.

Frau Klapperstück: Jedes Fest ist von der Inszenierung auf dem Gelände auch immer wieder anders und überraschend. Wir haben die historischen Marktstände, die zum Thema Seidenstraße passen, wir haben so eine Art Basar, orientalisch inszeniert oder am Hafen, da sind es die Schiffsladungen. Dazu kommen die Mitmachangebote, die gleichsam so eine Geschichte erzählen. Auf der Seidenstraße, auf der nicht nur Handel betrieben worden ist, sondern auch Technologie ausgetauscht worden ist, haben wir die einschlägigen Sachen da: Seidenherstellung, Seidenmalerei und Porzellan, das in Europa quasi neu erfunden werden musste, weil es ein Geheimnis gewesen ist.

Wir haben nach Themen geschaut, wo es universale Dinge gibt, die sich in allen Kulturen entwickelt haben: Musik und Musikinstrumente. Überall gibt es Blasinstrumente und Zupfinstrumente und Schlaginstrumente, die alle immer etwas unterschiedlich sind, aber das hat sich überall als kulturelle Äußerung entwickelt. Oder der Traum vom Fliegen. Das hat uns auch so gut gefallen. Den gibt es auch durch alle Zeiten und überall gibt es dafür Beispiele. Wir übersetzen es dann immer ein bisschen spielerisch. Wir werden verrückte Flugobjekte bauen. Das Spiel, das Spielehaus ist auch dabei. Zu dem Thema Spiele haben wir auch ein Projekt mit den Erziehungswissenschaften, die das auch genauso anschauen, die gucken, in Afrika, in Asien, wo auch immer, gibt es eben auch Spiele, die sehr ähnlich sind. Die Festgäste können das vergleichen und ausprobieren.

Über die Erde hinaus!

Was ich persönlich besonders schön finde: Wir ziehen es über die Erde hinaus. Wir gehen in eine Science-Fiction-Richtung, Kulturaustausch mit fremden Galaxien. Was ich erst jetzt gelernt habe, ist, dass seit zwei Jahren zwei Kapseln im Weltall unterwegs sind und unsere Galaxie wohl auch schon fast verlassen haben. Sie tragen den Kanon menschlicher Erfindung und menschlicher Kultur mit sich, von Beethovens Neunte über Sprache, alle möglichen Dinge, mathematische Formeln. Das machen wir eben auch. Wir werden Flaschenpost ins All für das Publikum anbieten. Da kann man überlegen, was ist einem selbst wichtig. Und umgedreht, das finde ich auch ganz schön, gibt es eine Gebrauchsanweisung für die Erde, wenn die Außerirdischen also tatsächlich ankommen, dann begrüßen wir die eben und heißen sie willkommen.

Hallespektrum: Das Lindenblütenfest war jetzt der absolute Höhepunkt und noch ein kleiner Höhepunkt?

Frau Klapperstück: Jana Simon

Frau Heldt: Die Eröffnung der Jahresausstellung, das ist auch kein kleiner Höhepunkt.

Und die lange Nacht der Wissenschaften natürlich. Wir machen eine Veranstaltung am realen Platz des Geschehens. Es gibt zwei Zeitebenen. Wir transkribieren und lesen mit den Gästen Handschriften und zwar Speisepläne. Das machen die Gäste sehr gerne, aus den Originalquellen lesen und transkribieren. Dann gehen wir in den Speisesaal und gucken uns den an: Wie sah der Speisesaal aus? Wie sieht er jetzt aus? Wo stand Francke? Wo stand Zinzendorf? Was war auf dem Teller? Das machen wir um 18 Uhr. Dann machen wir es noch ein zweites Mal und zwar mit dem Gang der Nachtwächter. Welchen Weg sind die Nachtwächter in den Stiftungen gelaufen? Das ist überliefert.  Die Quellen sind da, die Gebäude sind da, der Weg ist da. Es ist genau das gleiche, 300 Jahre später.

Dann gibt es noch ScienceSlam und Musik auf dem Franckeplatz zur langen Nacht der Wissenschaften.

Hallespektrum: Darauf freuen wir uns schon und bedanken uns sehr herzlich für dieses informative Gespräch.

Das Gespräch führte T. Kreutzfeldt. Fotos, wenn nicht anders bezeichnet: HalleSpektrum

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