„Ihr Stolz ist Christen sein, nicht Menschen“

21. September 2019 | Kultur, Rezensionen | Keine Kommentare

Die Spielzeit 19/20 im neuen theater wurde mit einem Spektakel eröffnet. EATS MEETS EAST genannt. Es begann im Hof mit einer poetischen Einstimmung des Intendanten („Weil doch der Mensch zu feiern ist…“) nebst drei Clowns, die mit Lust und Laune Gedichte von Lessing und Wedekind rezitierten. Dann ging es weiter mit vier Miniaturen von jeweils einer halben Stunde. Eine davon waren die STILLEn TRABANTEN, eine kleine Erzählung von Clemens Meyer, unambitioniert und eindringlich verständlich vorgetragen von drei Studenten des Schauspielstudios.

Während in der Kammer „Der Tempelherr“ von Ferdinand Schmalz Premiere hatte, kam im Großen Saal Lessings NATHAN DER WEISE in der Regie von Ronny Jakubaschk zur Aufführung.

Die Entscheidung für dieses Stück in diesen Zeiten ist gut und richtig. Fordert doch die AFD von deutschen Bühnen deutsche Kultur. Dazu gehört der NATHAN ohne Zweifel, aber er ist eben auch ein großartiges Stück über religiöse und menschliche Toleranz, über die Möglichkeit über alle religiösen und andere Grenzen hinweg menschlich und vernünftig zu sein.

Zu Beginn schwebt ein Boot in den Saal – Nathan kehrt von einer Reise zurück nach Jerusalem – und wird blitzschnell zu einer kleinen Bühne umgebaut. Bühne und Kostüme von Alexandre Coazzola sind überhaupt ein Erlebnis.

Bestritten wird der Klassiker von sechs Schauspielern, allen voran Petra Ehlert als Nathan, aber man muß sie alle nennen, ist doch der Abend eine Ensembleleistung: Alexander Pensel, Matthias Walter, Nicoline Schubert, Nils Andre Brünning, Marlene Tanczik. Sie alle haben hautenge rote Kostüme an, die Verwandlung von einer Figur in die andere wird mit wenigen phantasievollen Versatzstücken und Kostümteilen vollzogen. Es sind Narren, die Rollen geben. Und Narren sagen ja bekanntlich die Wahrheit und wurden von weisen Königen geschätzt. Die Spielweise erinnert an die alte Commedia dell’arte oder auch an russische Märchenfilme. 

Als Lessing seinen NATHAN schrieb (1779) gab es noch kein Regietheater. Er hat geschliffene, messerscharfe Dialoge geschrieben. Der Text war wichtiger als die spielerische Umsetzung. Eine alte Schauspieler-Regel lautete: Gehen – stehen – reden.

Regietheater muß spielerische Vorgänge dazu erfinden. Das kann dazu führen, daß der Zuschauer den Text gar nicht mehr versteht. So ist es in Jakubaschks Inszenierung freilich nicht, aber hin und wieder verliert man schon den Faden und muß sehen, daß man hinterher kommt. Der Text ist nicht gemacht zum verspielen.

Lessings Schlußpointe ist natürlch toll: Irgendwie sind alle miteinander verwandt, egal welchem Glauben sie anhängen. Das Liebespaar Tempelherr und Recha ist zum Geschwisterpaar geworden. Die Welt könnte in Ordnung sein.

Ganz im Sinne oder als Weiterführung von Lessings religiösen Toleranzgedanken ist die Besetzung. Männer spielen Frauen, Frauen spielen Männerrollen. Das ist nicht ganz neu und man kann es machen. Weil das Patriarchat, von dem wir tief geprägt sind, zwar sehr alt, aber vielleicht doch nicht die beste Form für‘s menschliche Zusammenleben ist. „Was man ist und was man sein muß in der Welt, das paßt ja wohl nicht immer.“

Das Spektakel im nt war dann aber noch lange nicht zu Ende. Im Hof spielte die Studio-Band „Trostland“ und man traf sich zum Gespräch.

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