Lass mich beweinen mein grausames Schicksal: eine Pflanze im Bombenhagel des Krieges

12. Juni 2023 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Auch Zierpflanzen können ein hohes Alter erreichen – und sich dazu noch als ungeheuerliche Lebenskünstler erweisen. Einen Tag nach Frühlingsanfang 1945 fliegen alliierte Bomber einen Angriff auf eine Stadt in Niedersachsen, ihr berühmter Dom, eine der ältesten Kirchen Deutschlands, versinkt in Trümmern, mit ihm praktisch die gesamte, einst für ihr malerisches Fachwerks bekannte, mittelalterliche Stadt. Der beklagenswerte Verlust von Menschenleben (bei diesem Angriff waren es knapp 900, bei den Angriffen zuvor insgesamt über 1500) und Kulturdenkmalen wog schon schwer genug, was machte es da, wenn neben dem Dom eine – eigentlich ziemliche alltägliche .- Schmuckstaude verbrannte. Nun, diese war eben doch etwas besonderes gewesen : angeblich 1000 Jahr soll sie hier gestanden haben, war an der Apsis des Doms bis zur Dachkante emporgerankt und schien schier unverwüstlich – bis zu jenem Schicksalstage. Ihr wahres Alter dürfte um die 700 Jahre betragen haben, aber 1000 klingt spektakulärer, und so hatten sich auch einige Sagen und Wundergeschichten um das „ewige Gewächs“ am Dom gerankt. Sie handelten Ludwig dem Frommen, der in diesem Strauch eine wertvolles Brustkreuz aufgehängt hatte –das  die Pflanze sofort  sich einverleibt und festgehalten habe. Ob des Wunders soll er beschlossen haben, genau hier eine Kirche zu gründen (Gärtner wissen, dass man in solchen Sträucher  mit den Klamotten hängen bleiben kann, dies wird gemeinhin nicht als Wunder, sondern Ärgernis betrachtet)

Das Ende einer berühmten Wunderpflanze? „Lascia ch’io pianga mia cruda sorte”, lass mich mein grausames Schicksal beweinen, lässt  Händel die Almirena in seiner Oper „Rinaldo“, uraufgeführt 1711 singen.

Doch acht Wochen nach dem verheerenden Angriff 1945, die Trümmer waren noch nicht weggeräumt, regte sich Leben aus dem alten Stock :  25 neue Triebe sprossen hervor. Sie und ihre Nachfahren klettern nun wieder munter an der Kirche empor, die man bis 1960 wieder aufgebaut hatte, und 1985 Aufnahme in das Weltkulturerbe fand.

Ach so, Händel: die erfolgreiche Arie zu „Lascia ch’io pianga“ ist schlichtweg ein Recyclingprodukt. Der Komponist hatte die Melodie schon früher, 1707,  komponiert. Dort lässt er sie von der allegorischen Figur des Vergnügens singen – mit einem komplett anderen Text. Und der hat auch wiederum unsere Pflanze zum Thema, wo er einen etwas selektiven Umgang mit ihren einzelnen Organen empfielt.

Lange Rede, kurzer Sinn:

  • Um welche Pflanze geht es hier (in der Artbezeichnung kommt ein Haustier drin vor – es handelt sich aber nicht um Katzenminze)
  • Wo steht der beschriebene Dom ?
  • In welcher Händelarie kommt die Melodie der Almirena noch einmal vor, und was empfielt dort das Vergnügen, mit der Pflanze zu tun?
  • Aus den Früchten bereitet man zuweilen einen Aufguss für Kranke, der dann oft den ganzen Tag in Plastethermoskannen lauwarm auf dem Nachttisch steht. Manchmal wird er auch evangelischen Konfirmanden auf der Jugendfreizeit gereicht, die fortan eine Abneigung gegen alles Evangelikale entwickeln können. Wie heißen die Früchte?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Dotterfarbener Bastard unter den Mauerblümchen“):

Unsere Pflanzenfreunde waren schon ganz nah dran, die Gattung der Schöteriche (erysimum) stimmte schon mal. Wir suchten aber nicht den blassgelben Ackerschöterich (Erysimum cheiranthoides ) oder die ähnliche Gänsesterbe (erysimum crepidifolium) , sondern Erysimum x allionii, den Schotendotter. Mit seinen satt orangegelben Blüten ist er ein Naher Verwandter des Goldlacks. Man nennt ihn auch  Bastard-Mauerblümchen, Sibirisches Mauerblümchen  (Englisch: siberian wallflower) oder Dotterlack . Es handelt sich um eine hybride Art, die aus der Kreuzung zwischen Erysimum asperum und Erysimum rhaeticum entstanden ist. er wird nicht ganz so groß wie der echte Goldlack (Erysimum  cheiri), wird aber nicht so groß, und wächst eher polsterartig in die Breite. Schotendotter. Aus Gärten, wo er häufig aus Blumensamenmischungen entspringt, verwildert er gelegentlich schon mal, dabei bevorzugt er voll-bis absonnige, trockene, magere, kalkhaltige Lagen, gerne auch zwischen Mauerritzen  (Daher der Name Wallflower/Mauerblümchen). Es ist eine kurzlebige Staude, die sich unter günstigen Bedingungen gerne ausbreitet.

Neugierig auf mehr rätselhafte Gewächse? Alle vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr bei uns im Archiv.

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