Grüne Chimären im dunklen Wald

12. Februar 2024 | Bild der Woche | 4 Kommentare

Nach unseren letzten Ausflügen in die warmen Tropen sind wir wieder zurück im kalten, verregneten Februar. Auf dem Waldboden im dunklen, feuchten Gehölz sprießen schon merkwürdige grüne Trichter aus Laub und Moos.  Die grüne Farbe ist tatsächlich Chlorophyll, folglich haben wir es mit einer Pflanze zu tun. Aber welcher? So einfach ist es nicht, denn nicht ganz klar ist, ob es sich wirklich um eine Pflanze oder eine „Pflanze“ handelt.

Für den alten Linnaeus war es ganz klar eine Pflanze, und so führte er sie in seinem wissenschaftlichen Ordnungssystem mit „Vor- und Zunamen“ (Gattungsname, Artepitheton) auf. Für den alten Linne gab es aber in der Biologie nur zwei Reiche: das der Pflanzen und das der Tiere. Sogar Pilze sortierte er bei den Pflanzen mit ein. Heute ist alles etwas komplizierter. Heute unterscheidet man fünf bis sechs Reiche. Linnaeus ordnete die grünen Trichter 1758 jedenfalls  zu den Pflanzen, und zwar zu den „cryptogamischen Gewächsen“. Darunter fielen alle Gewächse, die sich für ihn nicht sichtbar sexuell vermehrten.

Heute wissen für vieles besser und haben die Natur – auch dank der Fortschritte der DNA-Entschlüsselung – viel feiner geordnet. Was aber das Werk von Linnaues, der mit seiner binären Nomenklatur den Grundstein der Taxonomie legte, nicht schmälern sollte.

In welches Reich sollen wir nun unser „kryptogames“ Gewächs nun einordnen? „Als Pflanzen (lateinisch Plantae) werden Lebewesen bezeichnet, die sich nicht fortbewegen können und Photosynthese betreiben“ sagt die schlaue Wikipedia. Nun, alle diese Kriterien treffen auf unsere grünen Trichterbecher zu. Lag Linnaeus also richtig? Der Biologe und begnadete Künstler Ernst Haeckel, ein enger Anhänger Darwinscher Evolutionstheorioe, verewigte unsere Gewächs auf einer Tafel seiner 1899 bis 1904 erschienenen “Kunstformen der Natur“. Die Tafeln sollen übrigens ganz entscheidend die Formensprache des Jugendstil beeinflusst haben. Auch Haeckel ordnete unsere grünen Becherchen den Pflanzen zu.

Leider können sich Wissenschaftler heute immer noch nicht genau entscheiden, in welches der „biologischen Reiche“ nun unsere Gewächse gehören. Oder doch?

Unsere Leser werden uns aber sicher verraten:

– Welcher Art das Gewächs denn nun zuzuordnen ist
– Ob es sich um ein Tier, eine Pflanze, einen Pilz oder irgendwas dazwischen handelt
– was sind eigentlich Chimären?
– wie nannte Linaeus diese „Pflanze“ ?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („braune Kernenergie“): Colanuss, Cola acuminata.

Rugby hatte die Lösung: wir suchten die Colabäume, die die Colanuss liefern. Dies sind vor allem zwei Arten aus der Gattung „Cola“: Cola acuminata und Cola nitioda). Die Bäume sind in Afrika südlich der Sahara beheimatet. Sie gehören zur Familie der Malvengewächse und wachsen meist verzweigt mit Höhen von 20 bis 30 Metern. Die Blütenstände erscheinen seitlich an den Ästen oder am Stamm und sind oft zweihäusig getrenntgeschlechtig. Die Früchte sind mehrsamige Balgfrüchte. Cola-Arten stammen ausschließlich aus Afrika, werden heute aber in den Tropen weltweit kultiviert, hauptsächlich in Brasilien, Nigeria und den Westindischen Inseln. Colanüsse werden in erster Linie wegen ihres Koffeingehalts geschätzt und in vielen Kulturen als Stimulans konsumiert. Sie sind eine wichtige Zutat in vielen traditionellen Getränken, insbesondere in bestimmten Regionen Westafrikas, wo sie oft zu einem Getränk namens „Cola“ verarbeitet werden.

Die Cola-Limonade, die wir heute kennen, ist eine Erfindung des ehemaligen Apothekers Robert Pemberton. Es war ein Zufallsfund: eigentlich sollte aus dem Extrakt der Colanuss mit dem anregenden Coffein und Theobromin ein Kopfschmerzmittel werden. Anfangs soll auch noch Cocain aus Cocablättern mit enthalten gewesen sein, gesichert ist, dass seit 1903 diese Droge nicht mehr enthalten ist.

Der Siegeszug dieses typischen amerikanischen Erfrischungsgetränks rund um die Welt ist bekannt. Dies liegt sicher auch an den vielen Mythen, die sich um das braune Britzelwasser ranken. Zum Beispiel, dass die Originalrezeptur geheim sei und in einem extrem stark gesicherten Tresor lagere. Nun gibt es aber viele Hersteller, die ähnliche oder nahezu gleich schmeckende Cola-Sorten vertreiben.  Tatsächlich ist das „Rezept“ weder geheim, noch wird „Coca-Cola“ nach immer genau dem selben Rezept hergestellt.
In Analogie zur Open-Source-Welle gibt es auch eine „Open-Cola“-Rezeptur, die jedermann nachmixen und frei vertreiben kann. Man findet sie hier.: https://en.wikipedia.org/wiki/OpenCola_(drink)

Das Prinzip des Rezeptes ist aber viel älter als das von Pemberton. Es waren die Alchemisten der Renaissance-Zeit, die – nachdem die Schwefelsäure entdeckt war – versuchten, damit Heilmittel herzustellen. Wasser wurde mit (wenigen!) Tropfen Schwefelsäure versetzt, dann gab man duftende ätherische Öle hinzu, die man mit etwas Gummi arabicum emulgierte und mit dunklem Süßholzwurzelsaft  ordentlich nachsüßte. Eines der ältesten Rezepte stammt aus Wittenberg und wurde von dem Alchemisten und Botaniker Valerius Cordus im Jahr 1539 veröffentlicht.

Statt Schwefelsäure verwendet Pemberton Phopsphorsäure, aber das Prinzip ist das selbe. In den wenigsten Cola-Rezepturen (auch nicht denen des Marktführers) sind heute Colanüsse enthalten. Das Coffein stammt heute aus der Herstellung von entkoffeiniertem Kaffee.  Cola ist also eigentlich nur kalter Kaffee.

Alle seit 2016 vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr hier im Archiv

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