Der rote Schmarotzer des Herrn Watanabe

19. Februar 2024 | Bild der Woche | 2 Kommentare

Manche Topfgewächse schaffen es, aus der bizarren Ecke spezialisierter Pflanzenliebhaber hervorzutreten und werden plötzlich zu Publikumslieblingen. So sind es nur wenige Orchideenarten, die sich zu Massen in Baumärkten und Gartencentern versammeln und auf den Fensterbänken in deutschen Wohnstuben drängeln. Während richtige Orchideenzüchter sich nicht mit solchen Banalitäten abgeben und sich lieber besessen in Foren über Sterilkulturen, Meristemvermehrung etc., besonders vom Aussterben bedrohter Arten austauschen. Aber nicht nur Orchideenzüchter geht es so. Es gibt noch eine weitere Pflanzenfamilie, die schon seit dem 19. Jahrhundert das Augenmerk besonders besessener Sammler auf sich gezogen hat. Einer von ihnen war ein gewisser Herr Watanabe, der sich in den 1930er Jahren 300 Samen aus Deutschland schicken ließ. Nach zehn Jahren hatten einige der Pflanzen geblüht, und nun hatte Watanabe 10.000 Samen. Was machte er damit? Er säte sie ebenfalls aus. Unter den Tausenden von Sämlingen fielen ihm genau zwei auf, die ganz anders waren. Der Japaner hatte zwei kleine Schmarotzer gezüchtet. Es stimmt nämlich nicht, dass Pflanzen sich dadurch definieren, dass sie Chlorophyll enthalten und sich so „ernähren“. Wir lernten das ja schon bei der letzten Pflanze der Woche: Das Chlorophyll definiert nicht zwangsläufig eine Pflanze. Weder so, noch so. Es gibt Pflanzen, die auf anderen Pflanzen parasitieren, d.h. nicht nur mineralische Nährstoffe vom Wirt abziehen, sondern auch dessen Photosyntheseprodukte. Und dafür selber kein Chlorophyll besitzen.  Und so etwas hatte der gute Herr Watanabe gezüchtet. Um die bizarre wertvolle „Brut“ zu retten, übertrug er sie auf eine Wirtspflanze, denn sonst wären die kleinen Schmarotzer-Mutanten bald eingegangen.

Der kommerzielle Erfolg blieb nicht aus: Der kleine Schmarotzer ließ sich weiter vermehren, indem man Stücke von ihm immer wieder auf neue Wirte verpflanzte. Und so wurde er zum Kassenschlager – und nach Deutschland zurückgekehrt. In Baumärkten steuern immer wieder gerade kleine Kinder auf eine bizarr erscheinende, aber auch niedliche Topfpflanze zu: „Mutti, können wir mal so eine kaufen?“ Diese so gekaufte Quengelware lebt allerdings selten lange, denn der hübsche „Mitesser“ saugt seine Wirtspflanze meist gnadenlos aus, bis sie nach wenigen Jahren dahinstirbt. Unsere Pflanzenfreunde haben diese bizarre Wirt-Schmarotzer-Kombi sicher schon oft gesehen, vielleicht steht auch ein kleines Exemplar auf der Fensterbank. Oder? Dann wisst Ihr sicher,

  • Wie die „Schmarotzerpflanze“ heißt,
  • Wie der Herr Watanabe mit Vornamen hieß,
  • Welchen Namen er seiner Zucht gab,
  • Und bei welcher Dame er die Samen damals in Deutschland bestellt hat.

Auflösung der letzten „Pflanze der Woche“ (Grüne Chimären im dunklen Wald): Cladonia fimbriata, die Trompetenflechte

 

Cladonia fimbriata, Trompetenflechte

Hm, da kam jetzt nicht viel. Agricola machte wissende Andeutungen, und dann entspann sich eine etymologisch-grammatikalische Diskussion über das Verb „Flechten“. Das war sicher auch interessant, Kollege Neon. Aber okay, wir suchten tatsächlich eine Flechte, und zwar genau die „Trompetenflechte“ (Cladonia fimbriata). Als „Lichen fimbriatus“ hatte sie Linnaeus bereits 1753 beschrieben und „eintaxiert“. „Lichen“ bedeutet Flechte, und Linnaeus sortierte die Flechten zu den Pflanzen, und zwar zu den „kryptogamen“ Gewächsen, weil sie für ihn nicht erkennbar Samen produzierten und wohl nur heimlich Sex hatten. Heute ordnet man die Flechten hingegen den Pilzen zu, obwohl sie eben ohne die enge Inkorporation mit den pflanzenähnlichen Algen oder Cyanobakterien nicht leben könnten. Taxonomisch benennt man die Flechten nach dem Trägergerüst, das in der Regel eben von einem Pilz bestimmt wird, und nicht nach den ihm unbedingt zugehörigen und Zelle an Zelle mit ihr verwachsenen Algen. Man könnte es genauso auch andersherum tun, aber so gerecht ist die Welt, wenn mal einfach alles ausdefiniert ist. Der „Photobiont“, also der Fotosynthese treibende Partner, ohne den unser Trichterflechtenpilz nicht auskommen könnte, ist eine einzellige Grünalge, die Asterochloris glomerata. Flechten sind gewissermaßen „Chimären“, also Mischwesen, die aus miteinander verwobenen Zellen mehr oder weniger unterschiedlicher Arten oder gar biologischer Reiche zusammengesetzt („verflochten“) sind.

 

 

Ernst Haeckel, Kunstformen der Natur, 1904, Tafel 83

Ernst Haeckel, Kunstformen der Natur, 1904, Tafel 83

„Kompliziert“? Das Wort dürfte man heute nicht sagen, wenn es nach den Sprachreinigern der fruchtbringenden Gesellschaft gegangen wäre, die im 17. Jahrhundert alles Undeutsche aus dem Sprachschatz entfernen wollten. „Kompliziert“ entstammt dem Französischen „compliqué“ aus dem Lateinischen „complicare“ von „verwickelt, verflechten“. Die Wurzel des Lateinischen „plicare“ ist das Altgriechische „πλέκω“ (pléko) „flechten“. Die besessenen Sprachreiniger wollten „kompliziert“ durch „zusammengesetzt“ austauschen. Beinahe wäre es ihnen gelungen, in Abhandlungen des 18. Jahrhunderts tauchen solche verquasten Ausdrücke tatsächlich auf. Heute spräche man dann von einer „zusammengesetzten Angelegenheit“.

Alle seit 2016 vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr hier im Archiv

 

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