Der Baum im Biergartenreich

24. Juli 2023 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Das „Café am Eichenkranz“ lockt mit einem malerischen Blick auf den See und den Park, doch die Bewertungen bei Tripadvisor sind verheerend. Dann doch lieber zur Gaststätte „Zum Grünen Baum“. Dort erwartet einen deftige Hausmannskost und ein Tagesgericht unter zehn Euro. Besonders beliebt sind die Spirelli mit Tomatensoße und das „Jägerschnitzel“.

Im Biergarten ragen majestätische alte Bäume empor, einige von ihnen sind sogar als Naturdenkmäler gekennzeichnet. Der Baum, unter dem wir gerade sitzen, soll im Jahr 1860 gepflanzt worden sein. Aus den raschelnden Blättern fallen manchmal kleine Früchtchen auf die Biertische, sie sehen aus wie kleine Kirschen, aber leider sind sie noch nicht reif. In der Umgebung hat der Baum noch ein paar Artgenossen, nur wenige Windstöße entfernt. Die sollen sogar noch vom Fürsten persönlich gepflanzt worden sein, sagt jedenfalls noch so ein Naturschutz-Schild mit Eule drauf. Damals, seit 1769, baute der Fürst eine idealisierte Kunstlandschaft mit Tempelchen, Grotten, Bergen und Seen in die Flussauen. So aufwändig, dass er all das mit Deichen schützen ließ, wofür er Experten aus den Niederlanden kommen.  Die mehrere hundert Hektar große Kunstlandschaft sollte seine Philosophie verkörpern, in Form eines idealisierten antiken Arkadiens,  eine Art intellektuelles Phantasialand ohne Fahrgeschäfte und ohne Eintrittsgebühr. Jeder durfte hier herumspazieren und die immer weiter wachsende Anlage bewundern, während sich die Empörung in den Adelskreisen über den Fürsten und seine revolutionären Ansichten, sowie seine Position als Kriegsgegner, ausbreitete.

Dieser bemerkenswerte Mann soll also die Bäume hier gepflanzt haben, und das nicht ohne Grund: Er wollte eine italienische Landschaft erschaffen, aber das Klima zu dieser Zeit war noch nicht warm genug für Zypressen. Daher ersetzte er sie kurzerhand durch einige Säulenpappeln, um die Silhouette zu vervollständigen. Der Baum, unter dem wir sitzen, trägt gelegentlich kleine Früchte, ähnlich wie kleine Kirschen, die im Herbst süß schmecken sollen. Solche Bäume hatte der Fürst auf seinen Reisen in Italien gesehen und vielleicht auch dort die süßen Früchte auf dem Markt probiert. Doch hier in Europa konnten sie nicht wachsen. Dennoch gab der Fürst nicht auf und ließ sich möglicherweise Samen eines ganz ähnlichen, eng verwandten Baums aus der neuen Welt schicken. Die waren ordentlich winterhart.

So rauschen die Blätter dieser imposanten Bäume noch heute und spenden den Gartenbesuchern angenehmen Schatten. Sie erzählen von den weiten Reisen und Abenteuern des kleinen Fürsten. Übrigens gehört dieser Baum zur Familie der Hanfgewächse und wird auch heute noch häufig als trockenheitstoleranter, robuster Straßenbaum gepflanzt.

So, da sind wir wieder am Ende angelangt, und wir kommen zu den Fragen:

-um welchen Baum geht es?

-Wer ist dieser merkwürdige Fürst?

-Wo kann man seine Modellanlage noch sehen?

– Und was war an dem Schloss so besonders?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Wenn Steppenhexen durch den Saalekreis wirbeln“): Sichelmöhre, Falcaria vulgaris

Die  Fragen hatte Rati schnell gelöst, nur die Pflanze war nicht so leicht zu erkennen – Doldenblüter sind schwierig zu bestimmen, besonders, wenn sie nur als besserer Schattenriss abgebildet werden. Vom Hasenohr unterscheidet sich de Sichelmöhre durch die gesägten Blätter, aber die konnte man erst sehen, wenn man das Bild vergrößert (Tip: auf das Beitragsbild gehen, rechte Maustaste, „Bild in neuem Tab öffnen“: dann hat man es in Vollgröße).   Wir fanden die Pflanze an einem öden Feldweg zwischen Angersdorf und der Autobahn A143.

Die Sichelmöhre (Falcaria vulgaris) ist eine Pflanzenart aus der Familie der Doldenblütler. Sie wird auch als Gemeine Sichelmöhre oder Sicheldolde bezeichnet und ist in warmen Gebieten auf Kalkböden in Mittel- und Südeuropa zu finden. Die Sichelmöhre hat ihren Namen wegen der Form ihrer Blätter, die sichelförmig gebogen und am Rande gleichmäßig gezähnt sind. Die Pflanze wird gärtnerisch bislang praktisch nicht verwendet. Mittlerweile ist sie vereinzelt im Versandhandel als Topfware erhältlich. Für innovative Privatgärtner könnte sie dennoch eine interessante Option für betont naturnahe Blütenwiesen und Staudensäume. Mit ihren Doppeldolden aus vielen kleinen, weißen Blütchen kann sie recht attraktiv wirken. Die stark verzweigten Pflanzenstängel formen insgesamt eine kugeligen kleinen „Strauch“. Wenn die Samen reif sind, bricht die vertrocknete Pflanze ab und bewegt sich, vom Winde bewegt, als so genannter Steppenläufer fort. Dadurch werden die Samen verbreitet. Steppenläufer  ist ein Begriff, der für verschiedene Pflanzen verwendet wird, die Chamaechorie als Ausbreitungsstrategie nutzen. Andere Begriffe sind Bodenläufer, Bodenroller, Steppenläufer, Steppenroller oder Steppenhexe. Im Western-Genre hat sich die chamaechore Ausbreitung zu einem stereotypen Topos in Filmen und Fernsehserien entwickelt. Wenn in einer Szene eine verlassene Ortschaft oder ein Ort, an dem wenig geschieht oder besonders große Langeweile herrscht, gezeigt werden soll, so rollt bisweilen kurz ein Bodenläufer durch das Bild. Dieses Klischee wird mittlerweile auch humoristisch eingesetzt. Im Film „SpongeBob: eine schwammtastische Rettung“ fungiert ein Steppenläufer als spiritueller Ratgeber für die beiden Protagonisten SpongeBob und Patrick.

Noch raffinierter ist allerdings der auf Sichelmöhren spezialisierte Rostpilz Puccinia sii-falcariae.  Er befällt die Blätter der Pflanze und strömt bei Sporenreife einen intensiven Nektargeruch aus. Damit lockt er Insekten an, die dann nichts zum Honigsaugen finden, enttäuscht von dannen fliegen und so die Sporen des Pilzes verbreiten.

Neugierig auf mehr rätselhafte Gewächse? Alle vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr bei uns im Archiv.

 

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