Zehn Jahre nach der Energiewende: wenn Steppenhexen durch den Saalekreis wirbeln

17. Juli 2023 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Im Sommer 2033 konnten die letzten verbliebenen Einwohner von Halle und Saalekreis den Klimawandel nicht mehr leugnen, im Gegenteil: jetzt wollte es jeder immer schon gewusst haben.  Mittlerweile hatten die untereinander streitenden Parteien und Interessengruppen die verschieden Teile der Energiewende („ Heizungswende“, „Solarwende“, „Elektrolyse- und Wasserstoffwende“) gegeneinander so ziemlich an die Wand gefahren. Deren konzeptionellen Fragmente hatten sich in hunderten von Parlamentsvorlagen, Verordnungsrichtlinien und Machbarkeitsstudien zu einem unentwirrbaren Knäuel  von Einzelmaßnahmen verheddert.

Halle zählte noch zwei Drittel seiner Einwohnerzahl von 2022, Magdeburg konnte sich dagegen noch leidlich halten – was vor allem an der Intel-Ansiedelung von vor bald zehn Jahren lag. Aber allgemein lag Chaos über dem Land. Etwa ein Drittel der ehemals landwirtschaftlich genutzten Flächen im Saalekreis war mit Solarpanels bedeckt, bis an den Horizont reichten die Windräder. Lange schon wuchs auf den Feldern kaum noch etwas. Für den Anbau von Mais für Biogas war es längst zu trocken geworden, der Anbau von Raps lohnte schon deshalb nicht mehr, weil das EU-Mitglied Ukraine seit Kriegsende billige Ölfrüchte auf den Markt warf. Manche Haushalte hatten schon begonnen, ihre Wohnung in den milden Wintermonaten mit subventioniertem Rapsöl aus dem Supermarkt zu heizen. Nicht gelöst war das Problem des anfallenden überflüssigen elektrischen Stroms, der besonders in den Sonnenbrise-Lagen auftrat, wenn also bei vollem Sonnenschein ein heißer Südwind Saharastaub  herantrug. Dann war man dazu übergegangen, den Solarstrom in Form von Windenergie zu speichern, schlichtweg: die Windräder wurden in Richtung Süden gedreht, und mittels des überflüssigen Solarstroms blies man den heißen Wind dahin, wo er zuvor hergekommen war. Unter anderem führte das zu bemerkenswerten Veränderungen in der Landschaft. Die ohnehin stillgelegten ehemaligen Ackerflächen verkarsteten, rote Wolken aufgewirbelten Ackerbodens verdunkelten zeitweise den Himmel in Richtung Merseburg, wo man die Ruinen des stillgelegten Braunkohlekraftwerks Schkopau nur noch schemenhaft im braungelben Schleier erkennen konnte.

Wie in schlechten Western der 1970er rollten graubraune, vertrocknete, runde Gebilde  über die Felder, manchmal gelangten sie in die halb verlassenen Siedlungen, wo sie zwischen Gartenzäunen und Mülltonnen hängen blieben und sich zwischen den verlassenen Einfamilienhäusern zu meterhohen Bergen auftürmten. Es waren vertrocknete Pflanzen, die, wenn ihre Samen gereift waren, unter dem Druck der heißen Winde  plötzlich abbrachen und durch die Landschaft rollten. Dabei verteilten sie ihre Samen kilometerweit, und solcherart Nachkommen hatten sich schon derart verbreitet, dass die kugeligen Kullerbüsche schon bald landschaftsprägend geworden waren. Zumindest diese Pflanzen waren keine „Neophyten“ im engeren Sinne.

In einer Juli-Ausgabe des Hallespektrums von 2023 fanden Zeitgeschichtler ein Foto finden, das wohl die damalige Redakteurin Elfriede gemacht hatte (es ist das, was man hier auch als Beitragsbild sieht). Darauf sieht man einen Stängel einer solchen Wanderpflanze. Den noch nicht vertrockneten Trieb hält offenbar ihr Freund Heino vor die Linse. Hinter den damals noch satt gelben Weizenfeldern sieht man am Horizont deutlich die Silhouette der Stadt Halle liegen, darüber einen strahlend blauer Himmel. Zeiten waren das, heute kaum noch vorstellbar. Auf einem halb verschmorten USB-Stick hatte man auch noch Fragmente des damaligen „Rätseltextes“ gefunden. Darin war von Sichelblättern und feinen Zacken die Rede. Die trockenresistenten Kugelpflanzen sollen damals die Feldränder bevölkert haben, ganz viele klitzekleine, weiße Blütchen getragen haben. Aber abgesehen von ihrem aparten Aussehen seien sie noch nie besonders genutzt worden. Auch wenn ihr Name sich von einem bekannten Wurzelgemüse ableitet, hat wohl kaum jemand davon gekostet.

 -Unsere Leser haben das Gewächs sicher auch schon mal gesehen – entlang der staubigen Feldwege in den tristen Agrarsteppen des Saalekreises sind sie heute eigentlich nicht zu übersehen.

-Um welche Pflanze handelt es sich, die man da auf dem Bild erkennen kann?

-Durch die Landschaft rollende Pflanzen haben bereits Filmgeschichte gemacht. Sie besonders gerne in amerikanischen Western auf. Was bedeuten sie dort?

-Sich vom Winde getrieben durch die Steppe rollen zu lassen, ist eine Vermehrungsstrategie. Wissenschaftler nehmen dafür gerne Fremdworte. Welches?

-Nicht nur Pflanzen, sondern auch Pilze verfolgen manchmal sehr trickreiche und ausgefallene Verbreitungsstrategien. So beispielsweise der Rostpilz, der sich auf unsere Pflanze spezialisiert hat. Wie verbreitet der seine Sporen?

-Im Hintergrund erkennt man die Stadt Halle. Kann man ungefähr den Aufnahmeort des Fotos rekonstruieren?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Katzenjammer“): Katzenminze, Nepeta Cataria.

Gork vom Ork ließ sich nicht von der berauschenden Wirkung der Katzen-Minze beirren und beantwortete unsere Fragen korrekt:

1. Wir suchten nach der Katzenminze, dem Lippenblütler Nepeta cataria.
Dieser enthält
2. Nepetalacton, ei9ner Substanz, die Katzen magisch erregt, und ähnlöich wie ein Sexuallockstoff funktioniert.
Nein leider funktioniert er bei Menschzen
3. Nicht wirklich 🙂 Für Menschen ist Nepetalacton relativ ungiftig.

Wozu braucht die Pflanze sowas?
4. Nepetalacton wehrt parasitische Insekten, Schadpilze und Bakterien ab. Indem sich Katzen daran reiben, sorgt es für ein Ausbreiten der Klausenfrüchte (Samen) und somit Neuaussaat.

Und die Kreidebotschaften:

5. Leider ein trauriger Hintergrund von einem Ort der sexuellen Belästigung von Frauen: Hier hat eine Gruppe Hallescher Aktivistinnen sich des Themas „Catcalls“, einer leicht verharmlosenden Bezeichnung für verbale „Anmache“ und sexuelle Belästigung gegenüber Frauen, gewidmet. Auf der Instagramm-Seite „Catcallsofhalle“ findet man mehr – vor allem auch weitere Bildbeispiele.

6. Nein, noch nicht im Stadtbild gesehen? Könnte daran liegen, dass es nur Kreidegraffities sind, die halt schnell verschwinden. Aber auf der Instagramm-Seite gibt es sie noch.

7. Und (Spaß am Rande): „Mietze Schindler“ ist eine köstliche Erdbeersorte.  Ihr Name geht auf den Züchter Otto Schindler zurück: 1873 geboren, kam er 1903 als Vorsteher der Abteilung für Obstbau an die Landwirtschaftskammer für die Provinz Sachsen in Halle (was sich in Halle früher für berühmte Leute herumgetrieben haben – und keiner weiß das heute!).
Die Erdbeersorte nannte er „Mieze“ – nach dem Vornamen seiner Frau.  Wie kann man eine Frau „Mieze“ nennen? merkwürdiger „Catcall“.
„Der Name Mieze hat seinen Ursprung im 18. Jahrhundert in Deutschland und bedeutet übersetzt „kleine Katze“. Mieze ist auch die altdeutsche Bezeichnung für den weiblichen Vornamen Maria und gilt heutzutage als Kosename für diesen“, schreibt irgendeine schlaue Seite über Tiernamen.

Neugierig auf mehr rätselhafte Gewächse? Alle vergangenen Wochenpflanzen findet Ihr bei uns im Archiv.

 

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