Nachlese Klimaprotestfest: LuWu frei(t)räumen

10. Oktober 2020 | Umwelt + Verkehr | 5 Kommentare

Protestfest: “LuWu frei(t)räumen”: Ein Rezept

Angaben für ca 800-1000 Personen. Verbrauch pro Helfender: ca 5000 kcal.

Zutaten: 

  1. eine ziemlich verrückte Idee, 
  2. eine städtische Hauptstraße, in der sich viele coole Leute aller Altersgruppen rumtreiben, und 
  3. mehrere wichtige Gruppen, deren wenige Hauptakteure/innen mit ihren Projekten alle schon bis zum Anschlag belastet sind
  4. knapp 10 Wochen Vorbereitungszeit (in Wirklichkeit: 4 Wochen)

Zubereitung:

Zunächst redet man sich ein, dass die Idee nicht größenwahnsinnig ist.

Dann begeistert man eine kleine ausgewählte Handvoll Umwelt- und Klimaschutzgruppen, in dem Falle XR Halle, FFF Halle, ADFC Halle.

Man koordiniert über 20 Umweltgruppen, die Stände machen, ca 10 enthusiastische Bands und Musikgruppen (sogar pro bono!), eine Bühne und die Technik, eine Großdemo als Initialbefüllung des Straßenfestes, mehrere nette Kleinsponsoren (ok, einige waren wirklich nicht klein), eine befreundete Privatwohnung in der Nähe der Bühne für den Strom und fertig ist das größte Kundgebungs-Protestfest der Stadt mindestens der letzten Jahre.

LuWu Fest 2020

OK, Was? Wie? Etwas mehr Details bitte!

  1. Die Ludwig-Wucherer-Straße in Halle/Saale (ca 230’000 EW) ist eine Hauptstraße zwischen nördlicher Innenstadt und Paulusviertel in Halle, hat den ersten und einzigen(?) 24-Stunden-Edeka in der Gegend. Von der “Burg Giebichenstein” gab es zur Illustration mal eine super Multimedia-Arbeit “Meine LuWu” mit Interviews und Videos, die ist leider vor einer Weile dem digitalen Vergessen anheim gefallen (vielleicht liegt sie noch auf ner CD-ROM in irgendeinem Institut?).

Die LuWu ist Haupttrasse des Straßenbahn-, Rad- und Fußverkehrs und hat zusätzlich eine deutliche Autoverkehrsbelastung. Klarer Unfallschwerpunkt des Radverkehrs, anerkanntermaßen unzulässige Kombination von Mindestbreiten.

LuWu Verkehr

LuWu Verkehr

Diese Hauptstraße sollte in einer Fahrtrichtung auf der Länge von 380 Meter mit vier Kreuzungen zu Nebenstraßen für einen Freitag Nachmittag zur Protest-, Kundgebungs-, Verkehrswende-, Party- und Austauschmeile werden. So weit das größenwahnsinnige Konzept.

Mit laufendem Straßenbahnverkehr, mit Konzertbühne und guten Bands, gleichzeitig Corona-sicher, mit Redebeiträgen und politischen Ständen, familientauglich und nicht zu langweilig für die Jugend, mitreißend und inhaltsschwer, und vor allem: einladend zum Dialog mit den Passantinnen und Anwohnerinnen. An einem Freitag.

Vorgriff: das Protestfest wurde ein voller Erfolg. Sogar das Wetter hat am bundesweit verregneten Freitag, dem 25.9.2020, in Halle eine Ausnahme gemacht und erst am Samstag die Schleusentore des Himmels geöffnet (unbestritten braucht Halle den Regen). Wichtig: Gelingen konnte dieses Protestfest nur, weil sehr viele Gruppen gemeinsam für den Erfolg eingetreten sind und sich in einer Kooperation stark gemacht haben, und weil die Besucher*innen super kooperativ waren – eben Mitveranstalter, keine Konsumentinnen. 

Die Stadt hat für die angemeldete Kundgebung in diesem Straßenabschnitt sowohl den stehenden als auch den ruhenden Autoverkehr rausgenommen (teils leider auf die harte Art) und damit die erste wichtige Voraussetzung geschaffen, dort das politische Anliegen der Verkehrswende ganz praktisch erlebbar zu machen. Die “Veranstaltungstechnik Halle” hat uns die Bühne hingestellt, zugegeben waren wir etwas naiv zur Frage der Aufbauzeit. Das ganze fand bei uns im Rahmen des internationalen Klimastreiks statt, was klare Vorteile und klare Nachteile hatte. Vorteil: zum Start waren knapp 1000 Personen als Demozug angekommen. Nachteil: viele der Vorbereitenden waren auch mit der Organisation der Demo beschäftigt und nach mehreren Stunden (seit 11:00 Uhr aktiv) schon etwas erledigt. Aber die Stimmung war gut, die hallesche “Rythms of Resistance” trommelten die Straße in Schwung, dazu noch gute Reden von FFF. Parallel noch Bühnenaufbau. Max von der “Freiraumgalerie” war extra aus Berlin angereist und rappte die Aufbaupause zurecht. Eröffnungsrede lädt ein, einige Stände werden noch aufgebaut. Die vielen, vielen Stunden Vorarbeiten der Organisatorinnen zahlen sich aus, von Ole, Florian, Sayana, Jannik, Jule, Laurin, Rafael, von Josephine und all den anderen.

Dann ab 16:00 Uhr die Bands auf der großen Bühne, The Jeals, danach PaFloMa, danach OYA. Oben in den anderen Kreuzungen Marius Morgendorffer, Flausen, Breakdance, Musikverein Halle, ein Blasorchester. Dazwischen immer wieder gute Reden zu den Themen Umwelt + Soziales, Verkehr, Klima, lokale Möglichkeiten, globale Auswirkungen. Eine Auswahl wird wahrscheinlich noch veröffentlicht.

Kleine unsortierte Auswahl der Stände (Beschreibung vom Autor, keine Selbstbeschreibung): 

  • ver.di (ÖPNV- Förderung!) mit veganen Waffeln, 
  • ProVeg (Ernährungswende, praktisch anhand von wirklich leckeren Häppchen), 
  • BI Saaletal (Verhinderung eines zusätzlichen Autobahnabschnitts durch Porphyrkuppen, FFH), 
  • Die Linke (sozialistisch und ökologisch), 
  • Die Grünen (ökologisch und sozial) und Grüne Jugend, 
  • ADFC (wichtiger Mitorganisator des Festes, Radverkehr ist wichtiger Teil der Verkehrswende, in Halle schlummert da noch enormes Potential), 
  • FFF (Stand, Ordner*innen und Orga), 
  • HalleZero (lokale GermanZero Gruppe, Ziel: Nettonull Halle in 2030!) mit Bienenhotelbau, 
  • XR mit Stand und einer tollen Klima-Tombola (danke für die Spenden der Gewinne an TeaBox Halle, TOBS Spieleladen, juhu secondhand, abgefüllt unverpackt Laden,  Himmel & Erde bioladen, Rad+Tat Selbsthilfewerkstatt). Klimapolitik ist ja Glückssache, aber die Besucher waren gut informiert und die Fragen waren guter Einstieg in Dialoge und Gespräche! 
  • die Arbeitsgemeinschaft Bäuerlicher Landwirtschaft (ABL, Ernährungs- und Agrarwende), 
  • die Seebrücke (Leave No One Behind! Danke für euren Kampf, Klimakrise wird immer mehr zur Fluchtursache!),
  • Der Friedenskreis Halle (Konflikte um Wasser und Nahrung und Lebensraum: Friedlich lösen!),
  • Freunde der Stadtbibliothek (Bücherrettung für einen guten Zweck, Ressourcen sparen statt wegwerfen!),
  • Bündnis gegen Fluglärm (Kein Ausbau des Flughafens Schkeuditz, keine zusätzlichen Flüge!),
  • Crummes Eck (Lebensmittel sind wertvoll, Verschwendung muss eingeschränkt werden),
  • Eine-Welt-e.V. mit Thema Herstellung, Verschwendung und Folgeproblemen der heutigen Kleidungsindustrie inklusive Fast Fashion, inklusive Kleidertausch

 

Passant*innen ließen sich gern reinziehen in die (bisher) einmalige Gelegenheit, die Straße als Lebensraum statt Verkehrsraum zu erleben. 

LuWu Freiträumen

Freiträumen XR

Freiträumen

Luwu Freiträumen

 

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