Neue Staffel der Wiegand-Show: lockeres Politpourie zwischen Stadtbahn, Scheiben, Deich und Vereinen

28. Februar 2019 | Politik | 10 Kommentare

In der „Erdgas-Sportarena“ in Halle hat man auf dem Spielfeld Sitzreihen aufgebaut, Saalmikrophone und eine Videoleinwand sind installiert. Unübersehbar das Aufgebot an Polizisten. Heute ist Bürgersprechstunde in Halle- Neustadt, die Oberbürgermeister Bernd Wiegand zu einem „Format“, wie es Medienleute nennen würden, aufgebaut hat, durchaus erfolgreich. Der Saal ist mit gut 200  Bürgern besetzt. Der Oberbürgermeister führt in die Spielregeln der Show ein. Maximal eine Stunde sollen es  Vorträge sein,  der Rest der Zeit gehört den Bürgern und deren Anregungen . Die Betonung liegt auf zukunftsbezogene Anregungen, nicht Fragen, schon gar nicht Lamento und Statements. Die Ansage ist klar.   Was in den folgenden anderthalb Stunden geboten wird, erfüllt diesen Anspruch weitgehend, städtisches Infotainment. Der Oberbürgermeister sieht sich in diesen Veranstaltungen als Moderator – er hat ein großes Team an Dezernenten, aber auch  Vereinssprechern und Firmen aufgefahren, die kurz und knapp in Minutenbeiträgen in sein Programm eingebunden werden. Wirtschaft, Vereinsleben, kommunale Investitionen in einem einerseits gehypten, andererseits sozial problematischen Stadtgebiet sind das Thema. Gerade hier werden Wahlkämpfe entschieden. Bernd Wiegand ist der Mann, der im Mittelgang die Mikrophone weitergibt. Er ist nicht der Mann auf dem Podium – auch das gehört zur Show.

Los geht es – Thema sind die „Scheiben in Neustadt.  Baudezernent René Rebenstorf erläutert den Stand der Entwicklung des Neustädter Zentrums, das zu DDR-Zeiten als urbaner Kristallisationspunkt geplant war, aber über die Wendejahre nicht konsequent fertig gestellt wurde. Das soll sich ändern. Mit der Investition der Stadt in die „Hochhausscheibe A“ als neuer Sitz von Teilen der Verwaltung soll neues Leben in das vernachlässigte Zentrum eingehaucht werden. Das sei geglückt – die Investitionsbereitschaft in die Nachbarscheiben steige kontinuierlich, behauptet der Baudezernent.

Rebenstorf hat mehr Visionen. Der Bruchsee soll aufgewertet werden, unter anderem mit einer Pavillon-Gastronomie „direkt am Ufer“.  Man will Kontakt zur Architekturhochschule Sachsen-Anhalt aufnehmen – leider gäbe es keinen entsprechenden Studiengang an der MLU, bedauert Rebenstorf.

Halle-Neustadt soll mit dem Zentrum verbrückt werden. Ein Projekt der Internationalen Bauausstellung  hatte es vorweg visioniert – nun soll es reaktiviert werden. Zwei Fußgänger- und Radfahrerbrücken sollen in Zukunft die Hallesche Altstadt über die grüne Lunge, der Peißnitz, mit Halle-Neustadt verbinden. Die Salinebrücke soll von der Klausvorstadt zur Salineinsel führen (Kostenpunkt 2,5 Millionen) 2021 soll sie fertig sein. Von dort aus führt eine 1,8 Millionen teure Brücke auf den Sandanger auf die Südspitze der Peißnitz. Sie soll dann auch Halle Neustadt erschließen. Fertigstellung ist ebenfalls für 2021 avisiert.

Überhaupt hat man viel in Halle-Neustadt vor. Man will deutlich akademischer werden, der Glanz der MLU soll sich auch in der “ Platte“ widerspiegeln. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut plant man Niederlassungen: ein Campushaus soll entstehen und Professor Pätzoldt stellt das Projekt eines „Fliegenden Klassenzimmers“ vor. Hier sollen Neustädter Schüler  „Wissenschaft erleben“.

Aber man investiert nicht nur in Wissenschaftsvermittlung. Die erste Wasserstofftankstelle  hat das Fraunhofer-Institut gemeinsam mit der PS-Union entwickelt und in Halle-Neustadt umgesetzt. Wasserstoff-Brennzellen-betriebene Autos haben Vorteile gegenüber der bundesweit propagierten Batterie-Mobilität. Das erläuterte Pätzoldt an Beispielen. 1,5 Millionen hat man, gefördert durch Bundesmittel, am Projekt investiert. In Zusammenarbeit mit einem örtlichen Autoverleiher steht nunmehr der Prototyp der Tankstelle fertig . Die Dienstwagen des Fraunhofer-Instituts werden hier aufgetankt.

Das Hochwasserthema

Die Erwartungen auf das angekündigte Thema „Hochwasser und Gimritzer Damm“ wurden dagegen kaum erfüllt. Geladen hatte man einen Vertreter des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft (LHW), Herrn Hans-Friedrich Unverhau. Zum Stand der Dinge konnte und wollte er nichts sagen – und so fiel der  von vielen Bürgern mit hohen Erwartungen verknüpfte Themenschwerpunkt sprichwörtlich ins Wasser. Der Bau der Hochwasserschutzanlage Gimritzer Damm befinde sich im Stadium der Planfeststellungsverfahrens, war zu vernehmen, aktuell  sei man mit der Umweltverträglichkeitsprüfung beschäftigt. 25 Einwendungen von Anwohnern östlich des Deiches werden derzeit behandelt. Die Einwendungen bezögen sich vor allem auf Zweifel an hydrologischen Gutachten. Später wird jemand aus dem Publikum fragen, wer denn diese Bürger seien. Unverhau antwortet, dass er  aus Gründen des Datenschutzes  keine Auskunft darüber  erteilen werde. Auch eine weitere Frage eines Bürgers, der 2013 Sandsäcke geschleppt habe, und nun wissen will, ob Einwohner von Gut Gimritz unter den Einwendern seien, bleibt unbeantwortet.

Nicht ganz chronologisch der Veranstaltung folgend, aber thematisch passend:

Bei der Vorstellung der Neustädter Vereine (neben TABEA und dem Neustadt-Verein von Andreas Schachtschneider) stellt sich auch die Initiative für Hochwasserschutz in Halle-Neustadt vor. Sprecher und langjähriger Aktivist ist Klaus-Dieter Weißenborn. Er präsentiert das jüngste Projekt seiner Aktivisten: Hochwasserlehrpfade. Gleich zwei ihrer Zahl sind es: Der erste Wanderweg ist über 7 Kilometer lang, und soll Interessierte entlang der Saale zwischen Passendorf und Neustadt führen. Infoschilder („und für junge Menschen mit QR-Codes versehen“)  sollen über die spannenden Ereignisse 2013 in Neustadt informieren. Aber, um Ausgleich zu schaffen, ist ein eben solcher Weg auch durch die Altstadt geplant.

AfD-Mann Raue will fremdsprachliche Menschen umsiedeln

AfD-Stadtrat Raue mag  nicht Kinder, die fremde Sprachen sprechen.

Im Publikum ist auch AfD-Mann und Stadtratsmitglied Raue. Zwe mal versucht er,  die Zukunftswerkstatt für seine Themen zu gewinnen. Beim Thema „Scheiben“ meldet er sich zu Wort. Wiegand bügelt ihn ab: “ Bin gespannt, was Sie zum Thema „Zukunft“  zu sagen haben“. Raue fragt, ob die Scheibe A wirklich so gebaut werde, wie er es in den Unterlagen gelesen habe, oder ob es ein Billigbau werde. Wiegand sagt, es werde so gebaut, wie es in den Verträgen und Baubeschreibungen stehe, die auch Raue eingesehen habe. Später wir Raue beim Thema „Soziales“ die Gelegenheit ergreifen, seine Weltbild kund zu tun. Halle Neustadt sei „von mehrheitlich fremdsprachlichen Menschen“ und vor allem Kindern bevölkert, spätestens 2018 kippe hier die Bevölkerung, so seine Ängste. Wiegand fährt dazwischen: „Ich vermisse Ihre Fragen“. Raue hat Fragen, die er unter zustimmendem Murren eines  Teils des vorwiegend älteren Publikums des Viertels formuliert: Was denn der Oberbürgermeister gegen den Zustrom eben jener fremdsprachlichen Menschen in  Halle Neustadt zu tun gedenke, und ob man die nicht irgendwie verteilen könne. Wiegand lässt Oliver Pulsen antworten: Eine Umsiedlung sei nicht möglich. Jeder Mensch habe ein Recht, seinen Wohnort frei zu wählen, und in Halle-Neustadt sind Wohnungen nach wie vor eben günstig.

Das Garagenthema

Ein viel größeres Thema sind dem Neustädter allerdings die Garagen. Da kochen die Emotionen hoch. Denis Herold nimmt das Mikrofon. Er ist Sprecher des „Garagenvereins Lilienstraße“. Der Pachtvertrag ist umstritten, der Verein habe der Stadt ein Kaufangebot gemacht, Wiegand bestreitet das: ein entsprechendes Angebot sei in den Akten nicht zu finden. Dabei hat der Garagenverein Großes vor: Man wolle aktive Umweltpolitik gestalten, sagt Herold. Auf den Dächern der Garagen wolle man Solarstrom erzeugen,  mit dem man Autos aufladen kann. Aber auch die solare Wasserstoffwirtschaft stehe in der Agenda des Vereins: Mit dem gewonnenen Strom könne man aus den von den Garagendächern gesammelten Regenwasser Wasserstoff erzeugen.

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