Im neuen Landeshaushalt (bislang) nicht berücksichtigt!

17. Dezember 2016 | Bildung und Wissenschaft, Kultur, Nachrichten | 6 Kommentare
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Nach dem Massaker, 22. April 1945: Auf Anordnung der US-amerikanischen Truppen tragen Bürger aus Gardelegen die Opfer aus der Scheune zur Bestattung auf den Ehrenfriedhof. Foto: Philip R. Mark, National Archives Washington.

Am heutigen Samstag machen wir mit dem HalleSpektrum einen Ausflug in die Altmark. In Tagen, in denen Politiker wieder beginnen, die Zeit des Faschismus zu romantisieren, sind Gedenkstätten mehr als wichtig geworden:

Am Ende des Todesmarsches: Verbrannt in einer Feldscheune

Die Gedenkstätte bei Gardelegen „Feldscheune Isenschnibbe“ erinnert an ein von SS, Wehrmacht und weiteren NS-Organisationen organisierten Massenmord am 13. April 1945, also wenige Tage vor der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands am 8. Mai. Anfang April 1945 rückten amerikanische Truppen immer weiter und unaufhaltsam vor. Die SS räumte deswegen mehrere Konzentrationslager und Außenstellen, u.a. des KZ Hannover-Stöcken, und verbrachte die Häftlinge mit der Bahn in den Raum Gardelegen. Hier konnten die Tranporte, die in Mieste und Letzlingen ungeplant hielten, nicht mehr fortgeführt werden. Die SS zwang die Häftlinge zu Todesmärschen in Richtung Gardelegen. Viele starben auf dem Weg an Erschöpfung oder wurden von Wachmannschaften erschossen. Am 12. und 13. April wurden die Überlebenden im Pferdestall und der Reithalle in Gardelegen untergebracht. Am Abend des 13. Aprils zwang man die Häftlinge, zu einer nahe Gardelegen gelegenden Feldscheune zu marschieren. Die Häftlinge wurden wie Vieh in die Scheune getrieben. Die gemischt zusammengesetzte Wachmannschaft aus SS, Wehrmacht, Reichsarbeitsdienstes, Volkssturm und sogar freigelassenen Kapos hatte das Stroh in der Scheune vorher mit Benzin getränkt. Nachdem alle Häftlinge dort zusammengetrieben worden waren, wurde das Stroh entzündet. Obwohl es den Häftlingen mehrmals gelang, mit Kleidungsstücken das Feuer zu ersticken, wurde es mehrmals wieder entzündet. Wer zu fliehen versuchte, geriet unter Beschuss von den Wachmannschaften. Das unbeschreiblich Morden und Verbrennen dauerte bis tief in die Nacht an. Nur wenige Häftlinge konnten entkommen. Die Zahlen der Überlebenden schwanken von 7 bis 33. Die Anzahl der Opfer wird mit 1016 Menschen angegeben.

By Unknown War Photographer - U. S. War Department, Public Domain

General Frank A. Keating By Unknown War Photographer – U. S. War Department, Public Domain

Als am folgenden Tag die amerikanischen Truppen unter General Frank A. Keating, der Oberbefehlshaber der 102. US-Infanterie-Division, eintrafen, waren die Täter mit Hilfe der städtischen Feuerwehr und des Technischen Notdienstes, gerade dabei die Spuren des Massenmordes zu beseitigen. Der General ordnete eine Exhumierung durch die Bevölkerung der Stadt an. Unweit der Scheune ließ er einen Friedhof mit Einzelgräbern und weißen Holzkreuzen für die Opfer anlegen. Nur 305 der 1016 Opfer des Massakers konnten identifiziert werden. Die übrigen wurden mit der Aufschrift „Unbekannt“ beigesetzt. Eine Hinweistafel erklärte das Gräberfeld zum militärischen Ehrenfriedhof. Die Amerikaner verpflichteten die Bevölkerung der Stadt, die Gräber und das Andenken an die Ermordeten dauerhaft zu pflegen. Diese Pflege setzte die Stadt Gardelegen bis 2015 fort, erst danach ging die Gedenkstätte in die Trägerschaft des Landes Sachsen-Anhalt ein.

Eine mißbrauchte Gedenkstätte

Ab Herbst 1949 ließ die SED unmittelbar neben dem historischen Tatort eine städtische Gedenkstätte errichten. Aus den baulichen Resten der einstigen Scheune entstanden nacheinander bis in die 1970ziger Jahre eine Gedenkmauer, die die ursprüngliche Außenfassade des Gebäudes andeutete,  zwei Flammenschalen, eine Rednertribüne, ein Aufmarsch- und Paradeweg mit einer Reihe von Fahnenmasten und den „Steinen der Nationen“ sowie eine gepflegte Parklandschaft mit neu angelegten Pflanzungen und Geländewegen zwischen der Gedenkmauer und dem Gräberfeld. Das Gedenken und die Gedenkverstaltungen hatten dem DDR-Bild des Antifaschismus zu dienen. Die Häftlinge wurden pauschal zu Widerstandskämpfern und Kommunisten verklärt. Nach der Wiedervereinigung blieb die Gedenkstätte zunächst bei der Hansestadt Gardelegen. Seit 2015 gehört sie dem Land Sachsen-Anhalt, auch wenn die Stadt Gardelegen weiterhin die Eigentümerin des Geländes ist und sich um die Pflege des Ehrenfriedhofes kümmert. Es eröffnen sich durch diesen Wechsel neue  Entwicklungschancen: Aus der bisherigen Freiluftanlage sollte in den kommenden Jahren ein moderner Gedenk- und Lernort mit eigenem Besucher- und Dokumentationszentrum, einer Dauerausstellung und Bildungsangeboten für Schulklassen und Erwachsene entstehen. Eine virtuelle Ausstellung sollte der vor Ort vorangehen. Nun steht das Besucherzentrum und die Sanierung der Anlage auf der Kippe. Denn im Landeshaushalt wurden die benötigten Mittel von 3,7 Millionen Euro nicht eingestellt. Die Staatskanzlei fand es nicht so wichtig und wollte es zurückstellen. Nun steht die Realisierung der modernisierten Gedenkstätte am Ende 2018 in Frage. Das Entsetzen und die Enttäuschung in Gardelegen ist groß.

Blick auf dem Ehrenfriedhof und das Gedenkbuch. Foto: Gedänkstätte

Blick auf dem Ehrenfriedhof und das Gedenkbuch. Foto: Gedenkstätte

Alternative Finanzierung ? SPD-Fraktion ist erstaunt.

Lt. der letzten Meldungen der Kollegen von der „Volksstimme“ bleibt die Staatskanzlei bei ihrer Haltung und möchte die Mittel nicht im Doppelhaushalt 2017/18 haben, sondern sucht nach alternativen Finanzierungmodellen, wie diese auch immer aussehen mögen. Nachfragen bei Sebastian Striegel (Grüne) ergab: “ Die Debatte in den Ausschüssen dazu findet ab dem 9. Januar statt.“ Und auch Wolfgang Aldag (Grüne) geht von einer Realisierung aus: „Haushaltsberatungen laufen noch. Isenschnippe kommt auf den Tisch“. Besonders stark aber engagiert sich die SPD-Fraktion. Hier war man über die Nicht-Veranschlagung der Gedenkstätte sehr erstaunt.

Rüdiger Erben MdL, der sich in der Vergangenheit für die Gedenkstätte sehr engagiert hatte, erklärte dem HalleSpektrum: „Ich habe seit Jahren die Übernahme der Gedenkstätte in die Trägerschaft der Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt und deren Neugestaltung vorangetrieben. Der vor drei Woche von der Landesregierung eingebrachte Haushaltsentwurf 2017/2018 genießt an dieser Stelle nicht die Zustimmung der SPD-Landtagsfraktion. Wir waren über die (Nicht-)Veranschlagung überaus erstaunt, da es in der letzten Wahlperiode einen einstimmigen Land Beschluss des Landtages gegeben hat, der auch eine Neugestaltung der Gedenkstätte in Gardelegen forderte. Das hat die Staatskanzlei in ihrer Prioritätensetzung offensichtlich als nachrangig gesehen. Das sehen wir völlig anders. Gerade in Zeiten in denen rechtspopulistische Kräfte im Landtag, die Zeit des Nationalsozialismus gerne vergessen machen wollen, ist eine weiteres Schieben der Neugestaltung der Gedenkstätte undenkbar. Deshalb werden wir im weiteren Beratungsverlauf darauf drängen, dass in 2017 und 2018 entsprechende Mittel für diese wichtige Investition in den Haushalt aufgenommen werden. Mit den Koalitionsfraktionen führen wir bereits dazu bereits Gespräche.“

Rüdiger Erben. Fotoquelle: Twitter ac. Rüdiger Erben

Rüdiger Erben, engagiert für die Gedenkstätte. Fotoquelle: Twitter ac. Rüdiger Erben

Zwei der Kenia-Fraktionen stehen also klar zur Neugestaltung der Gedenkstätte. Gerade in Zeiten des Rechtsruckes und der Relativierung von NS-Verbrechen und des Faschismus hätte es dieses mangelnde Fingerspitzengefühl der Staatskanzlei nicht geben dürfen. Eine Beobachterin des Geschehens teilte uns mit: „man sollte auch in diesem Fall die Überlebenden und ihre Angehörigen bedenken.“

Paula Poppinga

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