Wenn die Welt aus den Fugen gerät: verloren im Ikea-Reich

4. November 2019 | Bild der Woche | 5 Kommentare

Die IKEA-Welt ist immer wieder gut, Grenzerfahrungen zu sammeln. Verlorene Kinder „Elisa möchte gerne aus dem Småland abgeholt werden“,  streitende junge Paare in der SB-Abteilung (Er: „Was willst du mit dem ganzen Plunder, lass uns jetzt endlich gehen“) bis zu Herzinfarkten, wenn er zuhause feststellt, dass er beim Zusammenbau der Nörre-Schrankwand Schritt 4 und 5 von gefühlt 120 einfachen Einzelschritten vertauscht hat, und den ganzen Kladderadatsch noch einmal abbauen und neu zusammenschrauben muss. Ernste Ehekrisen sind oft die Folge.

Doch wirklich bizarr mutet an, was ein Mitarbeiters, der als Dispatcher in dem nordischen Riesenreich in einer lang zurückliegenden Zeit arbeitete, erlebte.  Die Welt sei aus den Fugen geraten, hatte sein mysteriöser Vorgesetzter,  ein gewisser Sören Unbehandelt, seinem Angestellten Ivar berichtet, die gesamte Holzkonstruktion des Riesenreiches sei wegen der Klimaerwärmung rissig geworden, ihm den Auftrag erteilt, sich unverzüglich auf den Weg zu machen.   Ivar hatte sich nun durch die weiten Wege der Ausstellungshallen begeben, einen  Saal nach dem anderen hinter sich lassend, bis in jene fremden Welten, in denen sich nicht einmal die lästigsten Möbelkunden verirrten. Dort roch es nach moderndem Holz,  nach Wald und Moos, es wurde neblig.  Wenigstens hatte die Geschäftsleitung dem Kollegen Ivar mit einem  knatternden Moped der Hausmarke  „Rattatösker“ ausgestattet, und so ratterte er durch die bizarre Welt des Riesenimperiums. „Risse im Holz, das ist doch nicht die Welt“ hatte er noch vor Abfahrt vermutet, aber dann für alle Fälle doch ein paar Tuben Silikon der Marke „Yggdrasil“ auf den Gepäckträger geklemmt. Endlich an der Wurzel eines gewaltigen Baums angekommen, lehnte Ivar seinen Rattatösker an den Stamm, der ihm in der Tat ziemlich rissig erschien. Meister Ivar machte sich gleich an die Arbeit. „Klarer Fall für eine Wurzelbehandlung“, stellte er fest, und klopfte prüfend den unteren Bereich des Stammes mit einem Imbusschlüssel ab. Die Krone des Baumes schien die gesamte Welt zu umfassen, jedenfalls die ihm bekannte, und die morschen Wurzeln, in deren Höhlungen er nun fachmännisch das mitgeführte Yggdrasil injizierte, schienen weit in die Unterwelt herabzureichen. Jetzt bemerkte Ivar, dass überall am Stamm und Wurzeln Wegweiser angebracht waren. Sie führten nach Bifröst, Folkwang, Hlidskjalf, Wahnenheim und anderen Orten, deren unaussprechliche Namen sich nur die Idioten in der Zentrale ausgedacht haben konnten, fand Ivar: „Wahrscheinlich Lampenschirme fürs Kinderzimmer“. Die Wurzeln des Baumes wiederum führten nach Hvergelmir, Niflheim und Äsir. „Stimmt, das waren mal Produkte aus unserer Sanitärreihe“, gruselte sich der Meister.

Wir, liebe Leser, werden nun unseren verwirrten Ikea-Mann in seiner Welt zurücklassen. Hier geht es um die Pflanze der Woche. Die gesuchte Pflanze ist in Europa heimisch und gehört hier zu den höchsten Laubbäumen. Ihr Holz ist wegen seiner hohen Festigkeit bei gleichzeitiger Elastizität geschätzt. Der Baum ist eine Pionierart, die im Anfangsstadium recht schnellwüchsig ist, und pro Jahr 1,5 bis zwei Meter Höhe gewinnen kann. Da, wo sie dem Konkurrenzdruck der Buche gewachsen ist, ist sie bestandsbildend.  Die Früchte sind geflügelte Nüsschen, die sich als „Schraubenflieger“ wie kleine Hubschrauber verbreiten und Reichweiten um die hundert Meter erreichen können.

Das sind unsere Fragen:

  • Wie heißt unsere Pflanze ?
  • Knattert Rattatösker wirklich als Moped durch die nordischen Wälder?
  • Ist Yggdrasil wirklich eine gute Dichtungsmasse?
  • In welchen Dichtungen wurde Yggdrasil tatsächlich verwendet? 

Auflösung der letzten Wochenpflanze (Ins Krankenhaus nach Genuss von Wunderbeeren): Solanum nigrum, schwarzer Nachtschatten.

Das haben Anja und Peter schnell herausgefunden: es handelt sich um den Schwarzen Nachtschatten, Solanum nigrum, der für die heftigen Vergiftungen verantwortlich war. Ob nun Micha06 damit Recht haben könnte,  dass vielleicht die Beeren einiger  Varietäten mit der Reife ihr Gift verlieren – nun ja, das könnte man in einer großangelegten Studie prüfen. Aber besser ohne Selbstversuche.

Solanum nigrum, der schwarze Nachtschatten, war die gesuchte Pflanze der letzten Woche.

Denn klar ist, dass viele Exemplare das Gift Solanin auch in den reifen Früchten enthalten,nach deren Genuss ein Aufenthalt im Krankenhaus erforderlich sein kann. Richtig ist, dass Solanin in vielen Kulturpflanzen enthalten ist. So in unreifen Tomaten, in den Früchten von Kartoffeln – und sogar: in des deutschen Nationalgemüse, den Kartoffelknollen. Wie das?  Es gab schon Vergiftung nach dem Verzehr von Kartoffeln. Sie entwickeln nämlich Solanin, wenn sie keimen oder auch nur, wenn ihre Schale grün wird, was oft durch Lichtbestrahlung ausgelöst wird.  Glücklicherweise ist Solanin wasserlöslich, so dass das Gift ins Kochwasser übergeht, und keine Gefahr darstellt, wenn es weggeschüttet wird.

Unser in in Europa beheimatete schwarze Nachtschatten ist übrigens Namensgeber einer ganzen Pflanzenfamilie, zu denen viele Gattungen mit wiederum tausenden Arten bekannter Nutz- wie auch vieler Giftpflanzen gehören. Zu den einheimischen Arten gehören beispielsweise die hochgiftige Tollkirsche, das Bilsenkraut  oder  die im Süden Europas beheimatete Alraune. Sie alle sind im Mittelalter als Rausch- und Zauberdroge ebenso wie als „Hexenkräuter“ und Mordgift bekannt und von vielen Legenden Legenden umwoben. Doch es sind unter den Nachtschattengewächsen auch viele Arten vertreten, die wir heute – in ihren ungiftigen Teilen – aus unserer Küche als  Gemüse nicht mehr wegdenken wollen. Neben der erwähnten Kartoffel sind dies zum Beispiel die aus Südamerika stammenden Tomaten und  Paprika, oder die aus Indien stammende Aubergine.  Als „Alltagsdroge“ gehört auch der aus dem amerikanischen Kontinent stammende Tabak zu den Nachtschattengewächsen.

Das Wort „Nachtschatten“ hat übrigens überhaupt nichts damit zu tun, dass diese Pflanzen etwa die Dunkelheit und schattige Standorte lieben. Im Gegenteil: die meisten von ihnen sind wahre Sonnenanbeter.  as Wort „Nachtschatten leitet sich wahrscheinlich eher von „Schaden“ ab, wegen der beschriebenen Giftigkeit bzw auch der medizinischen Wirkung:  So heißt es in dem Kräuterbuch von Otto Brunfels (1532): „Diß kraut würt auch sonst gebraucht, wider die schäden die die hexen den leuten zufügen, und das uff mancherley weiße, noch gelegenheit des widerfarenden schadens, nicht on sonderliche supersticion und magia. Würt deßhalb in sonderheyt Nachtschatt genannt

Was war aber nun mit den „Wunderbeeren“? Dies sind mit dem schwarzen Nachtschatten eng verwandte Arten oder auch Kreuzungen, die besonders in den USA als Beerenobst beliebt sind, und unserer Giftpflanze täuschend ähnlich aussehen. D

Als „Wonderberry“ sind in den USA und offenbar auch in Osteuropa Züchtungen von Solanum x burbankii, der Artbastard wird auch gelegentlich als Solanum retroflexum gezeichnet (Samen von Woinderberrys kann man hier kaufen, da gibt es auch Beschreibungen).  Ebenfalls essbar ist die Art Solanum scabrum, englisch „Garden-huckleberry“ genannt. Die Früchte werden ähnlich wie die „Wonderberrys“ zu Süßspeisen wie Muffins verwendet, außerdem in Afrika auch als Blattgemüse.

HW

 

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