Stinkende Schönheit

14. November 2022 | Bild der Woche | 3 Kommentare

Unsere Ratepflanze hat wegen ihres charakteristischen Erscheinungsbildes einen guten Wiedererkennungswert. Die dunkelgrünen Laubblätter sind breit pfeilförmig, lang gestielt, 10 bis 20 cm lang und können dunkle Flecken haben. Die Pflanze sieht nicht nur schön aus, sondern stinkt auch ganz schön. Ihre Blütezeit reicht von April bis Mai. Der Blütenstand hat einen typischen Aufbau: ein einzelnes Hochblatt, die Spatha, das einen Kolben (Spadix) umgibt. Das hell- bis gelb-grüne Hochblatt ist tütenförmig eingerollt. 

Der Blütenstand bildet eine Kesselfalle. Diese besteht aus den weiblichen Blüten (unten), den männlichen Blüten sowie einem Kranz borstenartiger, abwärts gerichteter Reusenhaare. Angelockte Insekten rutschen durch die Reuse in den Kessel. Mitgebrachter Pollen gelangt von ihnen auf die weiblichen Blüten. Später streuen die männliche Blüten Pollen auf die unter ihnen gefangenen Insekten. Nach Stunden welken die Reusen und die gepuderten Insekten können unbeschadet rauskriechen.

Die Bestäubung erfolgt vorwiegend durch Aasfliegen und eine winzige, stark behaarte Schmetterlingsmücke (Psychoda phalaenoides), die auch „Abortfliege“ genannt wird, weil ihre Larven in Fäkalien leben. Die weiblichen Fliegen werden durch den Harngeruch der Blume angelockt. In der Blüte rutschen sie durch die Reusenlücken in den Kessel. 

Die Verdickung der Blütenstandsachse produziert zudem soviel Wärme, dass ihre Basis bis auf 40 Grad aufgeheizt wird. Die Wärme optimiert die Anlockung, da durch sie die stinkenden Duftstoffe wesentlich schneller abgegeben werden,

Die Pflanze ist eine Insektentäuschblume, da die Bestäuber selbst – außer gemütliche Wärme und Schutz – keinen Nutzen von dem Besuch haben.

Im Spätsommer entwickeln sich dichtgedrängt am Fruchtstand Beeren, die zunächst grün sind und sich bei Reife leuchtend rot färben.

Die Pflanze  ist in allen Pflanzenteilen sehr stark giftig. Früher fand sie Anwendung in der Volksheilkunde bei Entzündungen des Magens und des Darmes. Schwerwiegende, auch tödliche Vergiftungen sind vor allem bei Weidevieh aufgetreten. Der Hauptwirkstoff ist wahrscheinlich das Glykosid Aroin, außerdem sind Aronin, Aroidin, Arin, Saponine, Oxalate und etwas Blausäure, Nicotin, und Amine weitere Inhaltsstoffe. Im Volksglauben dichtete man den Kolben die potenzsteigernde Wirkung an.

Welche Pflanze suchen wir?

(Hans Ferenz)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Merkwürdige Früchtchen und schwarze Kunst im Wald„): Stieleiche (Quercus roubur) und Galläpfel

Es stimmte schon, was Elfriede sagte (auch wenn das Hallisch zuweilen schwer lesbar ist): Die „Früchte“ entstehen an den Blättern von Eichen, zumeist an der Blattunterseite, durch den Stich der gemeinen Gallwespe (Cynips quercusfolii), hervorgerufen.  „Rati“ noch wurde etwas ausführlicher: Die „Früchtchen“ sind Wucherungen an der Unterseite von Eichenblättern (siehe Bild), die von der Eiablage der Galluswespe herrühren. Der Wurm dürfte eine Larve der Galluswespe sein. Die „Früchtchen“ nennt man u. a. Galläpfel und enthalten Gallussäure. Diese ergibt in Verbindung mit Eisen(II)-sulfat die Gallus- bzw. Eisengallustinte, wenn das Eisen(II) an der Luft zu Eisen(III) oxidiert und mit der Gallsäure eine tiefschwarze Komplexverbindung bildet, was recht langsam vor sich geht.“

Woher genau aber rührt nun die schwarze Farbe? Die Farbreaktion kennt man schon seit der Antike kennt, man nutzte sie zur Herstellung besonders stabiler schwarzer Schreibtinten, aber auch zum Schwarzfärben von Leder. Grundlage ist eine Reaktion der in den Galläpfeln enthaltenen Gerbsäuren und der Gallussäure mit Eisen.

Die Gallussäure (ähnlich auch die mit ihr verwandten Gerbstoffe) hat mehrere Bindungsstellen, an denen sie gerne Metallionen bindet, besonders gerne dreiwertige Eisenionen. In „Heinos Tropfenversuch“ wurde eine Lösung von Eisen(II)-sulfat mit dem Saft der Galläpfel in Verbindung gebracht. Die Eisen(II)-Ionen bilden mit der Gallussäure noch keine Verbindung, aber sobald Sauerstoff aus der Luft hinzutritt, wird das Eisen(II) zu Eisen(III)-oxidert, das mit der Gallussäure sofort ein intensiv blauschwarzer Farbstoff bildet. Im Gegensatz zu den wasserlöslichen Ausgangsstoffen ist das tiefschwarze Produkt weder in Wasser noch anderen Lösungsmitteln löslich. Für eine Tinte ist das praktisch: man kann flüssig mit ihr schreiben, aber sie trocknet unauslöschbar aus. Die so genannten Eisengallustinten, die man seit der Antike bis in das 20. Jahrhundert hinein benutzte, bestanden aus dem ausgekochetn Saft von Galläpfeln oder anderen gerbstoffhaltigen Pflanzenteilen und Eisen(II)-Salzen, meistens dem so genannten grünen „Eisenvitriol“. Als Hilfsstoffe kam meistens noch etwas Essig in das Rezept.  Schrieb man nun mit dieser Tinte auf Papier oder Pergament, so drang die fast farblose Flüssigkeit in die Faser des Beschreibstoffs ein. Erst danach erschienen innerhalb einer kurzen bis längeren Zeit die tiefschwarzen, unauslöschlichen Schriftzüge.

Auch wenn man sich diese Farbreaktion schon seit tausenden Jahren zu Nutze machte: waraus genau das schwarze Produkt bestand, war unter Chemikern lange Zeit unbekannt und auch ein gewisses Rätsel. Erst 1990 konnte man mit Kristallstrukturanalyse ein Ergebnis präsentieren (Details hier) , das nach langer Diskussion in der Fachwelt erst durch weitere Arbeiten 2012 und 2016 abschließend bestätigt wurde. Bei dem schwarzen Stoff handelt es sich um ein Eisen(III)-gallat, einem dreidimensional vernetzten „polymeren“ Komplex, der eine gitterförmige Raumstruktur mit Nanokapillaren besitzt. Durch das Gitter durchzieht sich ein ausgedehntes, leicht anregbares Elektronensystem, das sich von allen Wellenlängen des sichtbaren Lichtes anregen lässt -und dieses verschluckt. Ein chemisches „schwarzes Loch“ gewissermaßen (Substanzen wie Kohle oder Graphit etc. können das auch).

Räumliche Struktur des Eisen(III)-gallates, dem schwarzen Tintenfarbstoff. In den Oktaedern sitzt jeweils ein Eisen(III)-Atom, dessen sechs Spitzen jeweils ein Sauerstoffatom tragen. Diese gehören jeweils zu den drei Hydroxylgruppen, und den beiden Sauerstoffen der Carboxylgruppe. Letztere verbrücken außerdem jeweils zwei Eisen-Oktaeder.  Es handelt sich um einen dreidimensional vernetzten, polymeren Komplex.

Mittlerweile ist zwar die die wirtschaftliche Bedeutung der Gallustinte gering, aber das Forschungsinteresse galt einem großen Problem: viele historische handschriftliche Dokumente, die mit Gallustinte geschrieben waren,  zerfielen förmlich unter Aufsicht verzweifelter Archivare. Der Grund: war dereinst zuviel Eisenvitriol in die Tinte gelangt, sorgte dies – in Zusammenarbeit mit der Gallussäure –  zu einer sauren Reaktion, kurzum: es enstand Schwefelsäure, die das Papier zersetzte. Das Phänomen wird treffend in der Fachwelt als „Tintenfraß“ beschrieben. Die Rettung der betroffenen Dokumente ist zuweilen schwierig, aber gewisse Erfolge erzielt man durch eine Neutralisation der Säure, Auswaschen und „Blockieren“ überschüssigen Eisens mit Komplexbildnern.

Stiel-Eiche, Quercus robur.

Eigentlich hatten wir auch nach der Pflanzenart gefragt. Klar, Eichen. Aber welche Eichenart ist es? Einen zarten Hinweis finden wir im Text: “ sie ließ ihren Blick über sich schweifen, konnte aber keinen Baum erkennen, der solche Früchte abwirft. Neben Eichen, an denen die Eicheln an langen Stielen herabhingen,“

Aha. Die Stiel-Eiche, Quercus robur war gemeint. Bei der eng verwandte Traubeneiche (Quercus petraea) würden die Eicheln kurzgestielt in Büscheln zusammenhängen.

(HW)

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