Chemische Keule gegen den Seelenschmerz

3. Juli 2017 | Bild der Woche | 6 Kommentare

Wir haben eine Knospe unserer Pflanze ganz wissenschaftlich zerquetscht. Aus den braunen Streifen der an sonst gelben Blüte wird ein intensiv violetter Farbstoff freigesetzt.

Bei einer unserer letzten Reisen ins Pflanzenreich landeten wir in einer „Irrenanstalt“ des 19. Jahrhunderts. Nun aber wollen wir etwas tiefer in das moderne Reich der Psychiatrie eindringen. Über die biochemischen Hintergründe und Ursachen vieler psychischer Erkrankungen wissen heutige Neurologen sicher weitaus mehr als die Ärzte jenes einstigen „Irrenhauses“ Sachenberg bei Schwerin.  Aber immer noch wandern viele Experten – und erst recht ihre Patienten und Angehörige –  bei der Therapie vieler Erkrankungen weite Strecken durch ein finsteres Tal des Unbekannten und Unerforschten. Einige Erkrankungen sind heute, wenn nicht gerade heilbar, so doch gut behandelbar. Da man heute zumindest in sehr groben Zügen die biochemischen Hintergründe jener „Dämonen“ kennt, die den menschlichen Geist befallen und so maßlos quälen können, ruft man nicht mehr den Exorzisten, sondern den Pharmazeuten. Chemie gegen Chemie, klingt einfach, ist es aber keineswegs.

Das Klinikum Sachsenberg bei Schwerin heute – hier waren wir schon einmal zu Gast, vor 150 Jahren, als das noch eine „Irrenanstalt“ war. (Bild: Wikimedia)

Da gibt es dann Antipsychotika und Neuroleptika gegen Psychosen, Anxiolytika gegen die Angst, Antidementiva gegen Demenz, Ritalin gegen das vermeindliche ADHS,  und eben Antidepressiva gegen Depression, der „Volkskrankheit Nr 1“. Diese Arzneistoffe wiederum unterscheidet man  nach dem vermuteten Wirkmechanismus im Körper, also auf das System der Neurotransmitter. Da gibt es dann „Monoaminooxidasehemmer (MAO-Hemmer/MAOI/RIMA)“, Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (DRI, DARI) und so weiter, und dann die große Gruppe der Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Letztere sollen verhindern, dass der Botenstoff Serotonin (und körpereigenes „Glückshormon“), wenn er im Gehirn ausgeschüttet wird, nicht sofort wieder von speziellen körpereigenen Transportproteinen aufgegriffen und abgeführt wird. So einfach soll das sein, folgt man den Anhängern der Serotonin-Hypothese. Messungen scheinen einen direkten Zusammenhang des Serotoninspiegels auf den depressiven Zustand nicht unbedingt zu bestätigen, wohl aber die Wirksamkeit der SSRI als Medikament.

Das klingt nach viel Chemie, und viele Patienten haben eine gewisse Chemophobie und damit mehr oder weniger starke Vorbehalte gegen eine chemisch-medikamentöse Behandlung. Durchaus nicht ganz irrational, denn einige Medikamente haben – wie könnte es anders sein – auch Nebenwirkungen, die je nach Art unangenehm ausfallen können.  Dann doch lieber was „Natürliches“, etwas Pflanzliches? Wer den Chemikalien aus dem Pflanzenreich mehr vertraut, für den hat die findige Pharmaindustrie – nicht ganz selbstlos – mehr oder weniger hoch dosierte Extrakte unserer Pflanze der Woche auf den Markt geworfen. Der Pflanze hatte schon der alte Parazelsus eine gewisse Wirkung gegen „Melancholia“ nachgesagt, aber ist das eine verlässliche Empfehlung? Ausgerechnet der Mann war ja einst ein  großer Verfechter der (Al)chemie, und hat sogar Epilepsie mit Schwefelsäure behandelt. Unsere gesuchte Pflanze fristete über Jahrhunderte eher ein Dasein als Volksheilmittel. Bekannt war ein Extrakt der Blüten in Pflanzenöl,  das eine wunderschöne rote Farbe hatte, und unter anderem gegen Brandwunden wirken sollte. Ende der 1970er Jahre geriet unsere Pflanze wieder in den Fokus der Neurologie. Natürlich suchte man nach dem chemischen Wirkstoff, der für die antidepressive Wirkung der Pflanze verantwortlich sein sollte – und fand sich zunächst auf dem Holzweg wieder. Die Pflanzenblüten enthalten einen roten Farbstoff, der in in speziellen Zellen der Blüten eingelagert ist. Zerdrückt man die gelben Blüten, so wird der Farbstoff freigesetzt.  Das selbe passiert auch, wenn man die Blüten in Öl ziehen lässt, um das wundersame Heilöl herzustellen. Allerdings wirkt der Farbstoff fotosensibilisierend: empfindliche Menschen bekommen nach Kontakt Hautausschläge, wenn sie sich nach äußerlicher oder innerlicher Anwendung von Pflanzenextrakten der Sonne aussetzen. Und eine antidepressive Wirkung hat der Farbstoff nicht: das belegten nach einiger Zeit umfangreiche Studien.  Aber dann fand man einen weiteren Stoff in dem Kraut. Er soll tatsächlich eine antidepressive Wirkung entfalten, indem er zugleich die Wiederaufnahme von Sertonin, Noradrenalin und Dopamin hemmen soll. Da natürlich auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, fallen die Ergebnisse der Studien immer noch recht unterschiedlich aus. Die Tendenz zeigt aber, dass die Substanz aus unserer gesuchten Pflanze wohl eine messbare Wirkung bei leichten bis mittelschweren Depressionsformen hat.

Unsere Fragen:

1.
Wie heisst unsere Pflanze?

2.
Woher stammt der wissenschaftliche Name (Vor- und Zuname) der Pflanze, und worauf verweist er?

3.
Wie heißt der rote Farbstoff, und wie heißt dermöglicherweise therapeutisch wirksame, zweite Inhaltsstoff?

4.
Warum dürfen weiße Kühe und Ziegen die Pflanze nicht fressen?

 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche:  Rose, genau: die Nadel-Rose (Rosa acicularis)

Solange du wild bist

Ihr Leser habt alle richtig vermutet, es ausschreiben wollte wohl keiner: Das, was hier so stachelt, ist eine Rose (in einem kunstvoll angefärbten Dünnschnitt). Die Gattung Rosa umfasst mehrere hundert Arten, die genaue Anzahl ist aufgrund unterschiedlicher Abgrenzungskriterien strittig. Ihre typischen Merkmale sind die Stacheln (keine Dornen), die unpaarig gefiederten Blätter (meist 5 bis 9) und die Hagebutten-Frucht (Nussfrucht, umgeben von einem stark vergrößerten Blütenboden) gegen Ende der Vegetationsphase. Der Gärtner unterscheidet zwischen Wildrosen und den zur Veredlung verwendeten Kultursorten.

Die exakt gerade ausgerichtete Stachel ist das Charakteristikum der gesuchten Nadel-Rose (Rosa acicularis), einer variantenreichen Wildrose in leuchtenden Telekom-Farben. Wir finden sie bei uns (natürlich) im Rosarium in Sangerhausen, sowie im „Weltwald Harz“, einer Walderlebniseinrichtung bei Bad Grund. Am wohlsten fühlt sich die Nadel-Rose in nördlichen, sogar arktischen Gebieten, sie erträgt extreme Fröste bis minus 40 °C und gilt daher als „härteste Rose der Welt“. Vielleicht blüht sie auch in Halle in einem Privatgarten, zusammen mit der ähnlich stachligen und weiter verbreiteten Kartoffelrose?

Eine hallenser Wildrose im Winter. Hier mit (Frost-)Dornen, zusätzlich zu den echten Stacheln (A.S.).

Rosenfossilien sind schon aus der Zeit bekannt, als Europa noch rundherum von Meeren umgeben war (Paläozän). Der Mensch pflanzte die Rose dann mindestens seit der Bronzezeit an.

Mit dem englischen Begriff „Wild Rose“ wird speziell unsere Rosa acicularis benannt, und auch der Name des Erstbeschreibers, John Lindley, soll erwähnt werden. DieseWildrose ist in den nördlichsten Regionen zirkumpolar verbreitet, sie strotzt den niedrigen Temperaturen. Die Nadelrose galt als Provinz-Blume Nordkareliens (im Osten von Finnland), heutzutage ist sie das Blumen- und Autokennzeichensymbol der Provinz Alberta (im Westen Kanadas).

Vielen gilt sie als die Königin der Blumen.

Die Rose an sich versinnbildlicht Begriffe wie Schönheit, Romantik und Leidenschaft (und soll daher beim Hochzeitstag nicht fehlen, richtig, Hei-Wu).  Sie war Inspiration für mannigfaltigeKunst- (von Brueghel über Chagall, van Gogh, …) und Literatur-Werke (Hofmannsthal, Busch, Wilde, Grimm, Saint-Exupéry, …), für Vertonungen (Vogelhändler, Rosenkavalier, Goethes Heideröslein; Händel, Fischer, Knef, Rammstein, …) –   kulturgeschichtlich also ein fast endloses Thema. Man könnte über die Lutherrose,die Rosenkriege oder die Weiße Rose schreiben. Der mystische Rosenbegriff spielt auf die Alchemie (flossapientiae, die Blume der Weisheit) und die Religionen an (z.B. Tränen Mariens). Die Rosen-Symbolik im Christentum ist generell ein umfassendes Thema, z.B. als Rosa mystica, der Bezeichnung Mariens in der Lauretanischen Litanei, oder in Bezug zur Wurzel Jesse (https://hallespektrum.de/bild-der-woche/es-ist-ein-ros-entsprungen/277652/). Fehlen darf hier nicht der Rosenkranz der Katholiken mit seinen frühmittelalterlichen Wurzeln, der aufgrund seiner meditativen Elemente als Gebet immer noch modern ist. Meditativ sollen auch Fensterrosen als architektonisches Element wirken. Man könnte das bei einem Ausflug nach Schulpforte überprüfen und sich an der aus 33 Feldern bestehenden Glasrosette im Nordchor der Klosterkirche erfreuen. Sie gilt europaweit als „ die einzige vollständig erhaltene mittelalterliche Fensterrose in Grisailletechnik; nicht einmal im französischen Ursprungsgebiet des Zisterzienserordens ist Vergleichbares bekannt“.Mit einem Hinweis auf die Weltrosenvereinigung (http://www.worldrose.org) möchte ich das unendliche Thema mit folgenden Fragen abbrechen: Welche Kirche in Halle besitzt eine Fensterrose? Und was hat es eigentlich mit der Goldenen Rose in Halle auf sich?

Viele Bilder zur Nadelrose gibt es auch hier: http://www.luontoportti.com/suomi/de/puut/nadelrose

Aus: ttp://www.simolanrosario.com/KUVAT/kuvat-K/karjalanr-1659-11.jpg

 

 

(A.S.)

Print Friendly, PDF & Email
6 Kommentare

Kommentar schreiben