Forschung in der Irrenanstalt

22. Mai 2017 | Bild der Woche | 8 Kommentare

Sporenlager des Schadpilzes bei starker Vergrößerung aun der blattunterseite unserer gesuchten Pflanze.

„Am 8. Juli wohnte ich einer Beerdigung auf der Irrenanstalt Sachsenberg unweit Schwerin bei und bemerkte, dass die auf den Rabatten längst des Hauptsteiges des Gartens in großer Zahl angepflanzten … in ihrer Belaubung meistens ein kränkelndes Aussehen zeigten, welches, soweit ich vom Leichengefolge aus zu unterscheiden vermochte, durch einen Pilz verursacht wurde, der die Pflanzen in starkem Masse befallen hatte.“

So beginnt der Bericht eines Naturforschers aus dem Jahre 1876, in dem er sich mit der plötzlichen Ausbreitung eines Pilzes beschäftigt, der den Anbau unserer gesuchten Pflanze nahezu zum Erliegen brachte – zumindest den gewerblichen Anbau. Die gesuchte Pflanzewurde wegen ihrer wunderschönen Blüten nicht nur als Zierpflanze angebaut – den aus den Blütenblättern gewonnenen Farbstoff verwendete man als Lebensmittelfarbe. Der Pilz erregte zunächst ein gewisses rein wissenschaftliches Interesse, bis man erkannte, welche Bedrohung von ihm ausging. Und man erkannte schnell, woher er stammte: aus Chile, wo er Pflanzen befiel, die mit unserer Pflanze verwandt ist. 1869 hatte der Pilz den Sprung über den Teich getan, vielleicht an Bord eines der großen Salpeterdampfer, die unaufhörlich das wirtschaftlich wichtige Dünnemittel „Chilesalpeter“ nach Europa brachte. Erstmals 1869 bemerkte man ihn in Spanien bei dem Ort Castelsera;  wenige Jahre später war er bereits in Frankreich angelangt,  überschritt 1874 bereits die Ardennen, 1873 gelangte ein weiter Strom des Pilzes über Straßburg bis nach Erlangen und Nürnberg, wo unsere Pflanze in großem Maßstab feldmäßig angebaut wurde. Ein weiter „Seuchenzug“ nahm die nördliche Route über Hamburg nach Mecklenburg. und mittlerweile gibt es wohl keinen Flecken auf der Erde, auf dem dieser lästige Schadpilz nicht gesichtet wurde. Unsere Pflanze der Woche befällt er regelmäßig, und sorgt dafür, dass viele Gartenbesitzer die schöne Zierpflanze nicht mehr halten.  Es beginnt meistens, wie so vieles Unheil, langsam, um dann einen raschen Verlauf zu nehmen.  Die so genannten Teleutosporen des Pilzes werden meistens vom Wind auf ein Blatt des Opfers geweht, wo sie dann bei feuchtem Wetter Keimschläuche ausbilden, die sich in das Blattgewebe bohren. Dort bilden sie dann ein kleines Mycel von beschränkter Ausdehnung. Auf der Blattoberfläche bemerkt man zunächst nur einen kleinen, orangegelben Fleck von etwa Senfkorngröße. Wenige Zeit später bildet sich ander Unterseite des Blattes eine knorpeliges Knötchen aus , das sind die Sporenlager. Dieses Sporenlager entsendet dann wieder zigtausende neue Sporen in die Umgebung. Innerhalb weniger Tage kann sich der Pilz dannn wie der Wind über alle Pflanzen verbreiten. Nach wenigen Wochen sind die Blätter der Pflanze wie durchlöchert, sie werden braun, und auch der Stängel ist übersäht mit den orangefarbenen Pilznestern, die Blüten verkümmern. Dem Druck des Befalls kann sich die Pflanze nur erwehren, indem sie ihre Blätter fallen lässt. Das sieht dann ziemlich häßlich aus, die Pflanzen gehen dabei zwar nicht ein, sind aber stark geschwächt. Für den Gärtner keine Freude. Was kann man dagegen tun? Ist der Befall fortgeschritten, funktioniert  eigentlich nur die „chemische Keule“, wobei es nur wenige Fungizide gibt, die halbwegs greifen. Eine Erkenntnis mag aber für das Anfangsstadium helfen: jedes der Sporenlager hat ein einzelnes beschränktes Myzel. Es ist also nicht so, dass das Myzel erst die gesamte Pflanze durchseucht, bevor die gelben Pusteln kommen. Bei Auftreten der ersten Flecken kann man das befallenen Blatt also abknipsen und weit weg entsorgen, bevor sich die Sporen weiter verbreiten.

Was uns nun interessiert:

  • Wie heißt die befallene Pflanze ?
  • und wie heisst der Pilz?
  • Und wer von Euch kann uns von den imposant blühenden Pflanzen Fotos schicken?

 

Auflösung der letzten Wochenpflanze: Die quicklebendige, gemeine Quecke

Die gemeine Quecke war gesucht.

Wer hätte damit gerechnet? Gesucht war Elymus repens, die Gemeine bzw. Gewöhnliche Quecke, auch Kriech-Quecke genannt. Quecke ist eine der zahlreichen Grasarten aus der Familie der Süßgräser (Poaceae) – somit ist sie mit unseren Getreidesorten verwandt. Aufgrund ihres Aussehens trägt die Quecke auch den Namen Haargerste. Ihr deutscher Name Quecke deutet auf Ihre Eigenschaft als schwer zu vertreibendes, lästiges Kraut hin: queck = lebendig (indogermanischer oder auch griechischer Wortstamm).Der Name „Bayer“ (Baia, Peier usw.) für die Queckesoll slawischen Ursprungs sein, er ist in Österreich gebräuchlich. Das ist nicht nett, liebe Nachbarn!

Quecken erkennen und vertreiben

Die sehr variabel aussehende Kriech-Quecke mag als anspruchslose Pionierpflanze eigentlich alle Böden, von frisch bis verdichtet. Wer sie bisher wirklich nicht namentlich kennt, kann sie anhand ihrer Halme einordnen: Es ist ein – für manchen unästhetisches – Gras mit aufrechten oder am Ansatz gebogenen Halmen von Dezimetern Länge mit bis zu 5 Knoten. An diesen entspringen ihre grünen, abwischbaren Laubblätter, die sich durch kurze Härchen blau bereift zeigen. Man wird z.B. auf Campingplätzen fündig: Dort, wo sonst nichts mehr wächst, hält sich unsere Quecke. In Deutschland gehört sie zur „Ackerbegleitflora“, meist tritt sie zur falschen Zeit am falschen Ort auf.
Queckenstöcke bilden lange, innen hohle Glieder und geben ein nahrhaftes Viehfutter ab, denn sie enthalten zu einem Zehntel Fruchtzucker und gummiartige Kohlenhydrate. Traditionell wird Quecke als Futtergras in Nord- und Osteuropa(z.B. Poltawa, Ukraine) empfohlen und verwendet.

Die Quecke mit ihren geinen, langen Ausläufern

Durch ihren Kieselsäuregehalt verleiht sie dem Boden Struktur, Festigkeit und Halt. Will man die Quecke bekämpfen, könnte man mit anderen Kieselsäurequellen ansetzen, z.B. dem „Zinnkraut“ (Acker-Schachtelhalm) – aber wer will das haben? Die erfolgversprechendste Methode einer dauerhaften Queckenvertreibung ist es, sie auszugraben und dabei darauf zu achten, alles von ihr zu entfernen. Das klingt deutlich einfacher, als es ist. Ihre Rhizome werden meterlang und sollen pro Jahr eine 10 Quadratmeter große Fläche durchwuchern können, wenn sich die Pflanze wohlfühlt. Also rasch ran ans Werk! Wobei: Jede Zerkleinerung ihres Rhizoms ist ein Ansatzpunkt für das Wachstum neuer Exemplare. Geht der Ackerbauer nun mit Hacke oder Scheibenegge ans Werk, tut er ihr also einen Gefallen: Jede Ansatzstelle lässt neues Grün nach oben streben. Die Wurzel scheidet zusätzlich Exsudate aus, die das Wachstum anderer Pflanzen hemmen. Und wenn die Quecke dann auch noch blüht, mit ihren 50 Samen pro Blütenähre! Obwohl das erst im zweiten Jahr erfolgt, sollte man schnell sein im Kampfe.
Die Rhizome muss manloswerden, selbst im Komposthaufen können sie überleben. Manch einer übergießt sie in einem Gefäß und verwendet sie als Düngeransatz, das angegorene Kraut ist danach unschädlich. Und zugleich wird dem Boden Kieselsäure zugeführt – ein allumfassendes Werk. Eine andere, wirksame Methode ist es,die Rhizome einfach aufzuessen. Selbst, oder als leckere Kost für das Kaninchen, zusammen mit Löwenzahn.

Erquickliche Umdeutung zum Wild- oder Heilkraut

Jeder, der schon mal auf ihrer Wurzel rumgekaut hat, weiß: Sie schmeckt süßlich, sehr erfrischend, mit leichter Schärfe. Wenn da nur nicht dieses unzerkaubareKieselsäure-Faserzeug übrig bleiben würde… Hier also ein paar Rezepte. Einige davon haben wir selbst probiert.

Kaffeeersatz: Die an der Sonne getrockneten Rhizome unserer leckeren Quecke in einer Pfanne braun rösten, pur oder mit einigen Kaffeebohnen in der Kaffeemühle zermahlen. Und dann überbrühen, mmhhh.
Salatzutat: Frische Wurzelstücke reinigen und kleingeschnitten einem Blattsalat untermischen. Wohl bekomm‘s!

Queckengemüse: Frische Wurzeln reinigen, feine Wurzelhaare evt. mit dem Sparschäler entfernen, dann die Wurzelstücke im Kochtopf mit etwas Wasser wenige Minuten mit Salz und Zucker dünsten. Mahlzeit.

Suppenzutat: Gekochte Wurzelstücke verfeinern leckere Gemüsesuppen durch ihren leicht süßlichen Geschmack. Guten Appetit.

Queckenbier: Etwas mehr als 5 Teile Quecke mit 1 Teil Hopfen mischen. Die Quecke stundenlang milde auskochen, dann nochmals zusammen mit Hopfen kochen und jeweils die Würze abziehen. (Das heimische Bierbrauen muss einem vertraut sein. Und auch dem Zoll.) Prost!
Bekannt ist die Quecke als Heilkraut, in Apotheken kann man beispielsweise Queckenwurzeltee erwerben. Er eignet sich, um Keime aus Niere, Darm und Harnwegen auszuspülen. So enthält die Wurzel entzündungshemmende Schleimstoffe, wirksam auch zur Blutzuckersenkung und Immunstärkung. Man kann selbstgesammelte Wurzeln entsaften (Sirup) oder trocknen und als Tee überbrühen (3 TL auf ein Viertel Liter kochendes Wasser, mind. 3-4 Tassen täglich). Als schleimlösendes Hustenmittel kocht man zerkleinerte Queckenwurzeln aus (250 g, 1 L Wasser, 45 Minuten kochen), siebt sie ab und köchelt den Sud mit Zucker (500 g) weiter, bis die Masse fest wird und geliert (in Gläser abfüllen, bei Bedarf verwenden).

(A.S.)

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