Ein Sieger, der sich auf dem Boden windet – und der Weiber Blödigkeit stopft

8. Mai 2023 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Vincentius gehörte er nicht gerade zu den privilegierten Bewohner dieser Stadt der Reichen und Schönen, diesem Dubai  des alten Roms. Freiwillig war er nicht hier: ausgerechnet ihn hatten sie am 8. Mai gefangen genommen, ihn, den großen Siegurd. Der Schmach der Niederlage hatte er nicht verwunden, fortan war kein freier Mann mehr, führte ein erbärmliches Sklavenleben fernab der Heimat. Dabei hatte er doch noch Glück gehabt: erst hatte er als Handlanger auf dem Bau dienen müssen, doch Meister Penicillus Maximus hatte bald erkannt, dass es Resourcenverschwendung wäre, wenn er Vincentius – man hatte ihm einen römischen Namen verpasst –  für seinen Sklavenlohn nur Kalk anrühren, Sandsäcke schleppen, Ziegel zu Mehl zerstoßen und Putz grob an die Wand klatschen ließ. Kurzum: Meister Penicillus hatte eine gewisse Begabung seines Sklaven für die Dekorationsmalerei entdeckt, und der Mann machte sich gut darin, allerlei Blütenranken, Blumen geschmückte Kandelaber und ähnlichen beliebten Zierrat nach der Mode des vierten Stils auf die zuvor geglätteten, roten Wände zu tupfen.  „Vinca“, „Vincae“ oder so ähnlich hatte Meister Penicillus die windenden Pflanzen genannt, die sie am Fuße des Vesuvs sammelten und als Vorlage und Anregung für ihre Malereien verwendeten. Die langen Ranken wanden sich auf dem Boden umher, erdrücken jegliche  andere Vegetation. Aber sie kletterten nicht die Bäume hinauf.  Sie sahen jetzt, im April, wirklich sehr schön aus, mit ihren blauen Blüten im schattigen Haselnussgebüsch.  Ein Blau, das sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Farben gar nicht wirklich auf die Wand bringen konnten,  mit dem blassen „Caeruleum“ etwa, diesem albernen „Himmelblau“,  das sie aus von den Farbenfabriken vor der Stadt besorgten:  es sandete und knirschte fürchterlich unter dem Pinsel. Vincentius malte am liebsten mit Grün; immer grün, wenn es nach ihm gegangen wäre.

Auch nach zwei Jahren Aufenthalt konnte man  Vincentius nicht gerade als gelungenes Beispiels der Integration ansehen. Zumindest sprachlich nicht, vieles war ihm trotz Nachhilfe nie klar geworden.  „Vincere, pervincere“ sagte Meister Penicillus beispielsweise zu etwas, was er wohl mit „Siegen“ in Verbindung brachte, wobei „pervincere“ etwas mit einem gesteigertem Sieg, einem „Endsieg “ zu tun haben musste. Oder war es „pervincire“?  Aber die Pflanzen die sich um die gemalten Säulchen und Garderobenständer wanden (vincire), die taten auch „vincere, pervincere“. Siegten sie gerade  über diese kitschigen, klapperigen, überflüssigen  Ständer mit den tanzenden nackten Knaben darauf? Auch dieser schrullige Ex-Armeeoffizier, den sie beim Pflanzensammeln einmal getroffen hatten, auch er sprach von dieser alles überwindenden Winde. „Winden, überwinden, Siegen.“ Viele belächelten den Alten um seine Obsession: die ganze Natur in 37 Rollen zu beschreiben.  „Kann man davon leben?“, fragte Vincentius Meister Aspergillus, aber der erklärte verächtlich, solche Typen wie der müssen nicht arbeiten, der genieße die Gunst des Kaisers, und seinem Neffen habe er auch schon eine hübsche Stellung verschafft. Es seien halt „immer Grüne„, die solche „Wissenschaftsnetzwerke“ bilden.
Vincentius lernte auch, die feinen Unterschiede der Ranken zu erkennen: offenbar gab es zwei Arten dieser Pflanze, die da im Unterholz mit ihren blauen Blüten umher kroch: die einen nannten sie groß, die anderen klein. Aber kleiner waren bei der anderen nur die Blätter. Und das mit dem groß und klein war so eine Sache. Groß, das hatte Vincentius schon gelernt, hieß „magnus“. Und größer?

Später wird der bekannte Kräuterkundler Hieronymus Bock schreiben: „Das Kraut, wo es anderst Clematis ist, in Wein gesotten, und getrunken, stillet das Grimmen im Leib, stillet und stopfet allen Bauchfluss, und den Weibern ihre Blödigkeit

Hier sind unsere Fragen:

-Eigentlich ist hier von zwei Pflanzenarten die Rede. Um welche geht es?

-Was war dieses blasse hellblau, das sie „Caeruleum“ nannten?

-Wer war der schrullige Armeeoffizier, und was ist aus ihm geworden? 

-War Hieronymus Bock so ein Chauvinist oder was  meinte er mit der „Blödigkeit der Weiber“ ?

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: („Dufte kleine Orientalin von Straßenbahn überrollt“): Perl- oder Traubenhyazinthe, Muscari armeniacum.

Klar, Elfriede kennt das kleine Blümelein, das an vielen Stellen in Halle, in Gärten in Parks, aber auch zwischen den Gleisen der HAVAG zu finden ist: Die Trauben- oder Perlhyazinthe  (Muscari armeniacum). Warum heißt sie aber „Muscari“? In dem Wort steckt ein gemeinsamer Stamm, der ausdrücken soll, dass diese kleine Blüte einen feinen Duft verströmt. Den Wortstamm für den Duft finden wir in Ausdrücken verschiedenster „dufter“ Dinge wieder: Im Muskat, der Muskatellertraube  genauso wie im Moschus. Muscus (lat) oder Moschos (gr) kommt aus dem Altpersischen „Musk“ und bedeutet Hoden. Ja. ganz richtig. Es bezeichnet die Duftdrüse zwischen Penis und Nabel des Moschustiers (es ist nicht wirklich der Hoden), einem hirschartigen Paarhufer, aus dessen Drüse man den begehrten Duftstoff gewann (übrigens eine ziemliche Tierquälerei und ganz gewiss nicht vegan).

(HW)

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