Dufte, kleine Orientalin von Straßenbahn überrollt – zum Glück ist ihr nichts passiert

1. Mai 2023 | Bild der Woche | Ein Kommentar

Man findet sie um diese Zeit überall. In den Parks sprießt sie aus dem Boden, lungert in unseren Vorgärten und hat sich in Kröllwitz sogar zwischen die Gleise der Straßenbahn gestellt. Eine ernste Gefahr droht ihr dadurch nicht, es macht ihr nichts aus, sich von der Linie sieben überrollen zu lassen. Aus der Ferne betrachtet, sieht sie aus, als bestünde sie aus lauter blauen Kügelchen, gestapelt, wie eine umgekehrte Weintraube. Erst wenn man genau hinsieht – was man tunlichst unterlasen sollte, wenn die Straßenbahn kommt – sieht man, daß die Kügelchen ganz kleine Becherchen sind, die eine Öffnung nach unten haben, so wie die Schellen einer Harlekinmütze. Und wer ganz scharfe Augen hat, kann in das Innenleben hinein sehen. Da finden wir lauter weiße Kügelchen, die aussehen, wie die Eier von Ameisen. Aber so kleine Ameisen gibt es nicht. Denn eine Ameise würde gerade mal ein ganzes Glöckchen ausfüllen, für zwei wäre es darin schon unbequem.

Auch wenn wir den kleinen Zwerg heute überall antreffen, war das nicht immer so. Gartenhistoriker nennen die Phase zwischen 1560 und 1620 die „orientalische Periode“. Während in der Zeit davor die meisten Gartenpflanzen bei uns heimisch waren, holte man nun aus dem Orient, besonders aus dem osmanischen Reiche, „Zuwanderer“ nach Mitteleuropa, in Erwartunjg, die neuen, blühfreudigen Fachkräfte würden die etwas langweilig gewordenen deutsche Gartenkultur bereichern. Was dann Narzissus, Tulipan und prächtige Lilien auch taten und aus Gärten heute kaum mehr wegzudenken sind. Und unsere orientalische kleine blaue Schönheit auch, wobei sie natürlich gegen die großen Tulpen – mit denen sie als Spargelgewächs durchaus Gemeinsamkeiten hat – nicht anstinken kann. Das kann sie schon deshalb  nicht, weil Tulpen keinen Duft verströmen. Unsere Orientalin aber stinkt nicht, sondern verströmt einen ganz feinen, geradezu orientalisch anmutenden Duft. Der hat ihr auch den lateinischen Gattungsnamen verliehen. Ein lateinisches Wort steckt darinnen, das man auch in der Muskatellertraube, dem Muskat und im Moschus wiederzufinden glaubt.  Aber halt: ein lateinisches Wort? Hängt es eher mit einem persischen Hodensack zusammen? und über Böhmermanns  „Schrumpelklöten“ sind wir wieder gedanklich in der Türkei. Im Nachnamen führt unsere feine Blaue allerdings den Namen eines  Volkes, das traumatische Erfahrungen mit gar nicht so duften Türken machen musste.

Auflösung der letzten Pflanze der Woche (Rosa Zeiten, nur nicht für Dinos):  Tulpen-Magnolie, Magnolia soulangeana

Unser Freund und eigentlich ziemlich großer Pflanzenkenner Nhu Deng stand diese Woche etwas auf dem Schlauch, wohl auf dem Gartenschlauch. Vieleicht hatte auch der Autor etwas viel von Sauriern geschwurbelt.

Die Tulpen-Magnolie (Magnolia × soulangeana) ist eine Hybride aus der chinesischen Yulan-Magnolie (Magnolia denudata) und der ebenfalls aus Ostasien stammenden Purpur-Magnolie (Magnolia liliiflora). Die Tulpen-Magnolie ist heute in Mitteleuropa am häufigsten angepflanzt und wird deshalb im Volksmund oft einfach „Magnolie“ genannt. Dabei gibt es in der Familie der Magnoliengewächse und der Gattung der Magnolien noch viele weitere Arten. Zum Beispiel findet man die immergrüne Magnolie (Magnolia grandiflora), die vor Jahren schon einmal als Pflanze der Woche „dran“ war, als Zierpflanze beispielsweise in südlichen Ländern.

Der Name Magnolie leitet sich vom französischen Botaniker Pierre Magnol ab, der ein Vorläufer von Carl von Linné war.

Dinosaurier-Blumen

Die Magnolien gaben der größten Klasse des Pflanzenreichs, den Magnoliophyta, ihren Namen. Sie bilden nach den Insekten die artenreichste Klasse der mehrzelligen Lebewesen überhaupt. Ein anderer Ausdruck für diese Pflanzenklasse sind Bedecktsamer oder auch Angiospermen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihnen die Samenanlagen durch das Fruchtblatt (Karpell) in einem schützenden Hohlraum eingeschlossen sind. Vor etwa 100 Millionen Jahren traten die Angiospermen an die Stelle der schon länger vorherrschenden Gymnospermen (Nacktsamer mit direkt zugänglichen Samenanlagen). Das Aufkommen dieser Pflanzen fiel etwa zeitgleich mit dem Aussterben der Dinosaurier zusammen.

Zu ihnen gehören die Magnoliidae, darin sind neun Ordnungen mit 40 Familien und etwa 12.000 Arten enthalten. Drei der Ordnungen (Magnoliales, Laurales und Ranunculales) umfassen etwa zwei Drittel aller Arten.

Und unsere Tulpen-Magnolie, um die es hier geht, ist das letzte Glied einer langen Stammbaumreihe: Die beiden Elternarten gehören zur Gattung der Magnolien, zur Familie der Magnoliengewächse und zur Ordnung der Magnolienartigen.

Tulpenmagnolien sind eine Wohltat fürs Auge und bescheren Gärten und Parkanlagen einen Farbenrausch. Bewundernde und neidvolle Blicke bleiben nicht aus. Aber nach zwei Wochen – teilweise noch schneller, wenn die Pflanze nicht windgeschützt steht – beginnt die Pracht zu bröckeln: Unter den Bäumchen breitet sich ein Farbteppich aus, und wie riesige Schneeflocken werden die abgefallenen Blätter zum Nachbarn verweht. Nun sollte man sich daran machen, die Bescherung zu beseitigen.

 

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