Der Nachtzirkus

18. Juli 2016 | Rezensionen | 2 Kommentare
Der Nachtzirkus, Rechte des Bildes: Erin Morgenstern

Der Nachtzirkus, Rechte des Bildes: Erin Morgenstern

Der Erstling der amerikanischen Künstlerin und Autorin Erin Morgenstern, gelesen in der Taschenbuchausgabe, ist ein guter phantastischer Roman, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Um phantastisch zu sein, braucht „Der Nachtzirkus“ keine eigene Welt wie z.B. Mittelerde und kommt auch ohne farbige Elemente wie Elfen, Drachen und Zauberer aus. Doch halt! Zauberer gibt es sehr wohl im Nachtzirkus. Aber sie haben nicht eine ganze Welt, das Fortbestehen der Menschheit oder ähnliche große Taten zu verrichten, sondern müssen lediglich einen Zirkus retten. Wie banal! Aber ist es so? Frau Morgenstern beschränkt sich (fast) auf ein einziges phantastisches Element und macht eine wunderschöne Geschichte daraus, (die es hoffentlich nicht nötig hat, sie in weiteren Teilen fortzuspinnen).

Wettstreit der Zauberlehrer

„Der Nachtzirkus“ (Le Cirque de Rêves) ist die Geschichte zweier alter Zauberer, die sich die Zeit ihres langen Erdendaseins damit zu vertreiben, dass sie ihre Schüler in Wettbewerben auf Leben und Tod aufeinander hetzen. Auch hier geht der jahrhundertelange Streit nicht um die Weltherrschaft, sondern darum, wer die bessere Lehrmethode für seine Schüler besitzt. Für die nächste Runde holt sich der Zauberer Alexander einen Jungen aus dem Waisenhaus, Marco genannt. Zauberer Hector bildet die eigene Tochter Celia aus, um die er sich erst nach dem Selbstmord der Mutter, die er verlassen hatte, bekümmerte. Für den Wettbewerb dieser beiden Zauberlehrmeister braucht es besondere Schauplätze. Alexander darf in der Neuauflage des Spiels den ersten Zug machen (nein, es ist kein Schachspiel), und beginnt zusammen mit einer illustren Gesellschaft, die sich im Haus des Theaterunternehmers Lefèvre treffen, eine ganz besondere Art von Zirkus zu ersinnen, der nur in der Nacht Vorstellungen gibt und dies nicht nur in einem Zelt, sondern in vielen, für jeden Künstler oder Attraktion ein eigenes. Gehalten ist der Zirkus in den Farben weiß und schwarz, eine Art Gesamtkunstwerk aus Mechanik, Design, Akustik, Zirkuskunst und Zauberei.

Lust auf eine Zirkusnacht?

Die Geschichte um den Nachtzirkus und dem Duell der Zaubererlehrlinge beginnt im Februar 1873 und endet im Januar 1903. Fin de Siecle und Mechanik, Jules Verne und Steampunk? Nein, Morgensterns Nachtzirkus ist zu fein, um in eine schäbige Genre-Schublade gesteckt zu werden. Auch vermeidet sie im Gegensatz zu den Farben des Zirkus auf ein Schwarz/Weiß, d.h. eine klare Zuordnung zu Gut oder Böse, wie wir es doch so klar und deutlich aus den phantastischen Hochkarätern „Harry Potter“ und „Herr der Ringe“ kennen. Und das gefiel mir besonders gut an Erin Morgensterns Roman. Wäre ich ein fieser Literaturkritiker, würde ich sagen, Frau Morgenstern ist unfähig, widerliche, skrupellose und hinterhältige Charaktere zu ersinnen. Es ist alles ein bißchen zu lieb.
Was passiert also mit Celia, Marco und dem Nachtzirkus? Sind die Schüler bereit, dass Duell der Lehrer fortzusetzen? Und welche Rolle spielen die Rêveurs, die Fans des Zirkus? Ganz schwach ist meiner Meinung nach der typisch amerikanische Einschub des „guten Jungen vom Land“. Dieser hier heißt Bailey und liebt den Nachtzirkus (und das Zirkusmädchen Poppet) über alles. Er spielt natürlich eine wichtige Rolle im Zirkusduell. Das war von Anfang an etwas zu durchsichtig und zu durchkomponiert. Da ist es fast eine lässliche Sünde, wenn die Autorin mit ihrer schönen Mär einfach kein Ende finden kann. Immerhin kann sie durch das Weiterfabulieren noch einige Rätsel für die geneigte Leserin, den Leser unterbringen.
Abschließend betrachtet ist der Roman eine Mischung aus Le Cirque de Soleil, Harry Potter und Steampunk. Zwar spielt er auf unserer Erde, braucht weder eigene Welten noch Zaubererschulen, aber anders als in dem großen amerikanischen Phantastikhochkaräter „Little, big“ von John Crowley kommt Morgenstern auch völlig ohne Weltprobleme aus. Hunger, Drogen, Krieg, all dies gibt es nicht in der Welt des Nachtzirkus. Morgenstern lebt in ihrer eigenen optimistischen Welt, interessant wird es erst, wenn sie aus dieser heraustreten wird. Wird es wieder eine liebe Zirkusleckerei wie ihr Erstling oder wird der Puderzucker noch erwachsen? Das Zuckergebäck ist trotz kleiner Schwächen für Freunde phantastischer Romane dennoch zu empfehlen. Mir graut jedoch, wenn sich Hollywood darauf stürzt. Dann wird das, was jetzt noch Kunst ist, erbarmungslos zu Kitsch. No mercy!

Bibliographische Angaben: Morgenstern, Erin: Der Nachtzirkus, Roman, Übersetzung: Jakobeit, Brigitte, Originaltitel: The Night Circus, Verlag: Ullstein TB (2013), Kartoniert, 464 S., 978-3-548-28549-8, EUR 9,99

TK

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