10 Jahre Jobcenter – (K)Ein Grund zu feiern?
23. Februar 2015 | Vermischtes | 2 KommentareHeute begann um 14:00 Uhr im „The Light Cinema“ Kino im Neustadt-Centrum in Halle (Saale) ein Festakt zum zehnjährigen Bestehen des Jobcenters. Wer jedoch auf Grund des Wortes „Festakt“ in der Einladung ein opulentes Buffet erwartete, sollte enttäuscht werden. Zur Einstimmung gab es Wasser, Orangensaft oder Sekt im Foyer und auf dem Podest vor der Kinoleinwand spielte, erstmalig im Kino, eine Jazz-Band. Keine Spur von Feierlaune oder gar Extravaganz, wie zuvor in sozialen Netzwerken unterstellt.
Gleich zu Beginn äußerte sich der Geschäftsführer des Jobcenters, Jan Kaltofen, auch direkt zu diesen „teilweise polemisch geführten Diskussionen“ im Vorfeld der Veranstaltung. Diese dürften seiner Meinung nach keine Auswirkung auf die Würdigung des Geleisteten haben. Seinen Dank und Respekt sprach Kaltofen sogleich seinen Mitarbeitern aus, denn sie seien es, die den sozialen Frieden in der Stadt Halle aufrecht erhielten. Immerhin habe jeder sechste Einwohner von Halle direkt oder indirekt Kontakt zum Jobcenter. Hierbei müssten die Mitarbeiter des Jobcenters in ihrer täglichen Arbeit immer wieder Herausforderungen in den Lebensläufen Ihrer Gegenüber berücksichtigen.
An dieser Stelle erschienen vier Mitglieder von „Die Partei“ vor dem Podium. Die ersten beiden präsentierten ein Transparent mit der Aufschrift „Trauer Spiel“ während die letzteren nur zum Ausgang schlenderten, nicht ohne dass einer von beiden noch eine Tulpe der Dekoration entwendete. Diese Protestaktion wurde von den anwesenden Mitarbeitern mit Unverständnis quittiert, Jan Kaltofen ging jedoch nach dem Abgang der vier mit den Worten „Jetzt hat es glaube ich jeder gelesen…“ darüber hinweg.
Nach der Unterbrechung äußerte er erneut seinen ausdrücklichen Dank für das Engagement seiner Mitarbeiter und ließ es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen, den „Geburtstagskindern“ unter den Anwesenden und natürlich Georg Friedrich Händel zu gratulieren.
Im Anschluss wurde ein Bericht der MDR-Sendung Exakt gezeigt. Diesen Beitrag könnt auch Ihr Euch hier anschauen. Jan Kaltofen äußerte nach dem Filmbeitrag seine Betroffenheit über die vorhandenen und nicht wegzuredenden Missstände. „Ich empfinde Bedauern für die Betroffenen“, sagte er.
Auch Frau Dr. Petra Bratzke, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Halle, wandte sich an die anwesenden Mitarbeiter und Gäste. Ihre Einleitung wurde vereinzelt mit Szenenapplaus bedacht, denn sie differenzierte deutlich: auf der einen Seite sei dort das Gesetz „Hartz 4“ doch auf der anderen Seite die Mitarbeiter, welche dieses Gesetzt tagtäglich umsetzen müssten. Bei dieser Umsetzung sei immer ein Handlungsrahmen vorhanden, der auch im Sinne der Betroffenen ausgenutzt werden solle. Die Mitarbeiter des Jobcenters seien nicht nur Vermittler oder gar Sachbearbeiter, sie seien auch Sozialarbeiter und Berater, die den Menschen helfen ihre Existenz zu sichern. Die Arbeit sei verantwortungsvoll, da sie eine Beratung und Dienstleistung am Menschen darstelle. Frau Dr. Bratzke ging auch zurück in die Vergangenheit und beschrieb die Schwierigkeiten am Ende des Jahres 2004, als die Umstellung von Arbeitslosen- bzw. Sozialhilfe hin zum ALG2 stattfand. Herausforderungen gebe es jedoch noch jeden einzelnen Tag für die Mitarbeiter. Besonders hob sie die Leistungen im Bereich „Bildung und Teilhabe“ hervor. Ziel der Mitarbeiter des Jobcenters sei es hier „den Menschen und den Familien umfassend zur Seite zu stehen.“ Daraus resultierten oft Bedürfnisse für Gespräche abseits der eigentlichen Aufgaben der Mitarbeiter, welche diese jedoch hervorragend meisterten. Abschließend wünschte Frau Dr. Bratzke den Mitarbeitern „viel Kraft, Mut und Selbstvertrauen für die schwierigen und anspruchsvollen Aufgaben!“
Tobias Kogge, Beigeordneter für Bildung und Soziales der Stadt Halle (Saale), sprach in Vertretung von Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand ein Grußwort. Auch er sprach zuerst über die Vergangenheit, die Einzigartigkeit des Jobcenters als erste Behörde in Zusammenarbeit von Kommune und Land. Diese sei entstanden, da der „Drehtüreffekt“ zwischen Sozialamt und der Bundesagentur für Arbeit ein Ende haben sollte. Daraus sei eine Behörde entstanden, ja, aber eine für die Menschen, nicht für die Verwaltung. Die Arbeit im Jobcenter sei für die meisten gewiss kein Traumjob, denn auch das Jobcenter könne keine Lösung für alles sein. Doch, so Kogge: „Hut ab, denn ich weiß was bei Ihnen auf dem Schreibtisch los ist.“ Vor allem die Sicherheit der eigenen Wohnung als Grundlage einer jeden Existenz sei wichtig, so Kogge. Doch auch das sei nicht alles. Die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen sei furchtbar, daher sei mit dem Programm der „Bildung und Teilhabe“ schon ein Schritt in die richtige Richtung getan. Zum Ende würdigte auch Tobias Kogge die Mitarbeiter des Jobcenters mit den Worten: „Sie machen ihre Arbeit gut und dafür sage ich danke!“
Sehr praxisbezogen äußerte sich Carola Schaar, Präsidentin der IHK Halle-Dessau. Auch sie differenzierte gleich zu Beginn, dass nicht „Hartz 4“ gefeiert, sondern die geleistete Arbeit gewürdigt werde. Fordern und Förden sollten die Perspektive bieten, den Lebensunterhalt wenn möglich vollständig selber zu bestreiten. Es gebe eine große Bandbreite im Arbeitsalltag eines Mitarbeiters im Jobcenter, komplexe Fälle müssten individuell angegangen werden, auch in Hinsicht auf behinderte Arbeitssuchende. „Das Jobcenter Halle hat in den letzten zehn Jahren beachtliches geleistet.“, so Schaar und dankte für die konstruktive Zusammenarbeit. „Feiern Sie, weil Sie haben es verdient.“
Auch der Personalratsvorsitzende des Jobcenters, Andreas Liste, sparte nicht mit kritischen Worten. Er hob vor allem die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter hervor. Jeder Mitarbeiter müsse 26 Gesetze beherrschen und ständige Veränderungen in den Arbeitsvorgaben berücksichtigen. „Das dort Fehler auftreten ist logisch.“, so Liste. Daher sei der direkte Dialog zwischen den Mitarbeitern und ihren Dienststellen sowie dem Trägerrat sehr wichtig. Immer wieder angedachten Mittelkürzungen tritt er entschieden entgegen, denn: „Die Arbeit wird nicht weniger“. Liste plädierte daher für eine angemessene Personalausstattung und verwies auf die inzwischen unter zehn Prozent gesunkene Rate der befristeten Verträge im Jobcenter Halle. Hiermit verbunden sei, dass nicht immer wieder neue Mitarbeiter angelernt werden müssten, da zum Beispiel die Einarbeitungsphase in der Leistungsabteilung durchaus ein ganzes Jahr in Anspruch nehme.
In Gegensatz zur harmonischen Veranstaltung heute entlud sich bereits am vergangenen Freitag kurz nach Bekanntwerden des Vorhabens in den sozialen Netzwerken eine Welle der Entrüstung. Es wurde von der „Entwertung der Arbeit“ gesprochen und häufig von einer reinen „Verwaltung der Kunden“. Auch der Begriff „Kunden“ stößt offensichtlich bei vielen auf großen Widerstand. Auch der Stadtvorsitzende der Partei „Die Linke“ äußerte sich im Vorfeld bereits zur heutigen Veranstaltung. So forderte er eine Absage und sagte unter anderem zu Existenz des Jobcenters: „Seine Gründung zum Exekutieren der HARTZ-Gesetze war für tausende Hallenserinnen und Hallenser mit tiefen Einschnitten in ihr persönliches Leben verbunden. Nach einem Arbeitsleben, werden sie bereits nach wenigen Monaten zum Bittsteller degradiert und in Maßnahmen, deren Sinnhaftigkeit allein in der Beschönigung der Statistik liegt, eingewiesen.“
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Die meisten Mitarbeiter würden an ihren eigenen Forderungen scheitern.
Leider werden nur an die Arbeitnehmerkunden Anforderungen gestellt, Arbeitgeber dürfen machen, was sie wollen.
Es gibt keine Sanktionen für Arbeitgeber, die mit wochenlanger Verspätung, oder eben auch überhaupt nicht Lohnbescheinigungen für Ihre AN ausstellen.
Es Werden die AN bestraft, die Leistungen eingestellt, das Wohngeld nicht an die Vermieter überwiesen und selbst Kinderreiche Familien zwangsgeräumt und im Regen stehen gelassen.
So was kann man nicht feiern, so ne Behörde, die den Sozialstaat nicht begriffen hat, gehört abgeschafft!
Ein Trauerspiel, fürwahr…
Meistens word gefordert, gefördert selten… und wenn dann mit Auflagen en masse.
Man ist bei diesen Behörden kein Kunde, man ist Bittsteller, und das läßt man den „Kunden“ auch fühlen: Willst du nicht, so sperr ich dich…
wenn Hernn Kaltofen was am sozialen Frieden läge, würde er persönlich für jeden einzelnen seiner Klienten(!) versuchen, eine sinnvolle und erwerbsinhaltliche Stelle zu finden.
Frau Bratzke ist nicht auf der Höhe der Darstellung; denn es gibt wohl keinen Handlungsrahmen, wie mir immer versichert wurde. Selbst die Ausstellung eines Aktivierungsgutscheins war nur Wohlwollen, weil die „Betreuerin“ mal einen guten Tag hatte. Und wenn ich den nicht schriftlich gefordert hätte, wäre wohl auch das nicht erfolgt. Zeit gelassen hat man sich damit jedenfalls zur Genüge…
Schande über diese Behörde und Mitleid mit allen, die dort hin müssen und auch mit denen, die dort arbeiten müssen…