Rassistische Gewalt von HAVAG-Kontrolleuren: Migrant Voices Halle veröffentlicht zweites Statement und formuliert erneute Forderungen

6. Oktober 2022 | Soziales | 6 Kommentare

Die Organisation “Migrant Voices” aus Halle (Saale) richtet schwere Vorwürfe an die Kontrolleure der Halleschen Verkehrs AG (HAVAG). Am Morgen des 8. Juni 2022 sei es in der Straßenbahn Linie 10 Richtung Neustadt Zentrum zu einem gewaltsamen und rassistischen Übergriff von 3 Straßenbahnkontrolleuren der HAVAG auf einen migrantisierten Fahrgast gekommen, so die Anschuldigung.

In einem ersten öffentlichen Statement hatte die Organisation am 24. August gefordert, eine nachträgliche Aufarbeitung der Geschehnisse sowie die Entlassung der 3 nachweislich an den Übergriffen beteiligten Kontrolleuren der HAVAG vorzunehmen. Zeitgleich zu dieser Veröffentlichung hatte man dem Kundenservice der HAVAG die Beschwerden mitgeteilt. Die HAVAG hatte daraufhin darüber informiert, den Fall aufarbeiten zu wollen, jedoch seither keinerlei Konsequenzen aufgeführt. Stattdessen hieß es seitens des Beschwerdemanagements der HAVAG, man habe nach der Prüfung des Vorfalls keinerlei Fehlverhalten der 3 Kontrolleure erkennen können.

“Migrant Voices” hat nun erneut hierzu Stellung bezogen und in einem ausführlichen Statement erklärt, weshalb sie die öffentlichen Aussagen der HAVAG und ihre Ablehnung einer Aufarbeitung weiterhin scharf kritisieren. Hierbei geht die Organistation jedoch von einer veränderten Ausgangssituation des Vorfalls aus, auf die sich die HAVAG der Öffentlichkeit gegenüber berufen hatte, um die Gewaltausübung ihrer 3 Kontrolleure zu rechtfertigen. In dem Statement heißt es hierzu:

In ihrer öffentlichen Stellungnahme begründet die HAVAG die Gewaltausübung ihrer Kontrolleure damit, dass eine mögliche Sachbeschädigung und Körperverletzung erfolgt sei. Dabei schildert die genaue Erklärung der Prüfgesellschaft den Vorfall so, dass die betroffene Person während der Sanktionierungsmaßnahme zunächst das Ausweisdokument dem zuständigen Kontrolleur auf dessen Forderung hin ausgehändigt hatte, im folgenden Verlauf jedoch versuchte die Sanktionierungsmaßnahme zu verlassen. Dabei soll ein Schlag gegen das Prüfgerät des zuständigen Kontrolleurs erfolgt sein, wodurch das Ausweisdokument auf den Boden fiel. Bei dem Versuch das Ausweisdokument aufzuheben und die Straßenbahn zu verlassen, wurde die betroffene Person von den Kontrolleuren ergriffen und überwältigt. Dabei soll es zu einer Körperverletzung seitens der betroffenen Person gegenüber den Kontrolleuren gekommen sein.
Was die HAVAG gegenüber der Öffentlichkeit also nicht nennt, ist, dass die mögliche Sachbeschädigung eines ihrer Prüfgeräte auf einer bloßen Annahme beruhte und scheinbar bei dem Versuch der Person geschah, die Sanktionsmaßnahme und Straßenbahn zu verlassen. Es handelt sich also nicht um reinen Vandalismus, wie eine bewusste Nichtnennung des Kontextes suggerieren kann. Zudem zeigte die betroffene Person zuvor offenbar Kooperationsbereitschaft durch die Aushändigung eines Ausweises. Das die Entscheidung dazu sich grundlos oder nur aus Schadenfreude in eine Verweigerungshaltung geändert haben soll, ist dabei in Frage zu stellen. Es ist zudem durchaus möglich, dass diese Reaktion durch den zuständigen Kontrolleur provoziert worden sein könnte und der vermeintliche ,,Schlag” gegen das Prüfgerät im Falle der Tatsache indirekt daraus resultierte, dass ausgehändigte Ausweisdokument zurückzuerhalten. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass Kontrolleure rechtlich nicht dazu befugt sind einen Personalausweis zu verlangen und, dass sie es dennoch tun insbesondere bei bestimmten Personengruppen. In der vorliegenden Situation wäre es dem zuständigen  Kontrolleur zudem möglich gewesen die betroffene Person aufgrund des Nicht-Tragens einer Maske der Straßenbahn zu verweisen statt den Ausweis für eine Sanktionierung zu verlangen. Desweiteren kann die mögliche Körperverletzung, die nach Erklärung der Prüfgesellschaft der HAVAG verübt worden sein soll, nur als indirekte Verteidigungsreaktion auf die Gewaltausübung der 3 Straßenbahnkontrolleure geschehen sein. Indem diese die betroffene Person gewaltsam überwältigten und mit massivem Druck zwangen in der Straßenbahn zu bleiben, ließen sie die Situation vollständig eskalieren. Trotzdessen jedoch soll nach Zeugenerklärung am Ende des Vorfalls keiner der 3 Kontrolleure äußerlich und vom Verhalten her verletzt gewirkt haben. Demnach sei auch keine medizinische Behandlung angefordert worden und notwendig gewesen. Wir glauben deshalb, dass die Prüfgesellschaft und HAVAG bewusst den Vorwurf der Sachbeschädigung und Körperverletzung benutzen, um zum Einen, die Ausübung von Gewalt durch Vorkriminalisierung der Person rechtlich zu legitimieren und zum Anderen Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben, um so die öffentliche Wahrnehmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. 
An dieser Stelle möchten wir noch einmal betonen, dass nicht unabhängig sichergestellt ist, ob der Tatvorwurf der Sachbeschädigung zur Legitimierung der Gewaltausübung tatsächlich der Wahrheit entspricht oder nicht nachträglich und gezielt fingiert wurde. Es wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass Menschen, die unangemessenes und diskriminierendes Verhalten durch Kontrolleur:innen der HAVAG erfahren und sich dagegen verteidigen, angezeigt werden. Betroffene versuchen meist zudem nicht rechtlich gegen Unrechtbehandlungen durch Kontrolleur:innen der HAVAG vorzugehen, da sie wissen, dass dies zu einer Gegenanzeige führen kann. Hierbei berufen wir uns auf Angaben von Antidiskriminierungsstellen in Sachsen Anhalt, die uns auf Anfrage hin mitteilten Fälle in der Vergangenheit bearbeitet zu haben, in denen es ebenfalls zur Täter-Opfer-Umkehr durch Kontrolleur:innen der HAVAG kam.
Unabhängig davon glauben wir in jedem Fall jedoch, dass es soziale Ursachen dafür gibt, weshalb Menschen in einer stressauslösenden Kontrolle aufgrund der damit verbundenen Strafe affektiv und auch unüberlegt reagieren können und dass auf solches Verhalten nicht zwingend mit körperlicher Gewalt reagiert werden muss. Vor allem ist diese dann nicht notwendig, wenn anfangs scheinbar Kooperationsbereitschaft durch die Übergabe des Ausweisdokumentes gezeigt wurde und zudem kein Anlass zur Notwehr oder eine Gefährdung anderer Personen besteht. Stattdessen sollten Kontrolleur:innen wissen, wie sie mit unerwarteten und auch stressigen Situationen verantwortungsvoll und deeskalativ umgehen sollten, statt um jeden Preis eine Bestrafung durchzusetzen. 
Wie wir in unserem 1.Statement bereits beschrieben, wurde die betroffene Person im Verlauf des Vorfalls von den 3 Kontrolleuren so massiv festgehalten und in den Schwitzkasten genommen, dass dieser sich nicht mehr bewegen konnte und dabei mehrfach forderte: ,,Lass mich sitzen!“ und ,,Lass mich atmen!“. Trotz dieser wiederholten Aufforderungen ließen die 3 Kontrolleure nicht von der betroffenen Person ab, sondern packtierten die Person weiter unter den Augen zuschauender Menschen. Dabei erwiderten sie der betroffenen Person: ,,Lass dein Portemonnaie fallen, dann kannst du sitzen!“ und ,,dein Ausweis, dann is jut!”.  Die HAVAG hat uns hierzu mitgeteilt, dass unsere Schilderungen von dem abweichen würden, was wirklich passiert sei und, dass ihre Kontrolleure versucht hätten die Person ,,zu beruhigen”. Aus den Bildern und Tonaufnahmen des uns vorliegenden Beweisvideos und der damit verbundenen Tatsache, dass die 3 Kontrolleure der bereits überwältigten Person nicht die Möglichkeit ließen zu sitzen und frei zu atmen, sowie zudem noch rechtlich unzulässige Bedingungen dafür stellten, ist jedoch nachzuweisen, dass es den 3 Kontrolleuren nicht darum ging, die Person ,,zu beruhigen”. Ihnen ging es vor allem um die Durchsetzung von Autorität und dominatorischer Macht. 
Nach Angaben der Zeugenperson, die uns das Beweismaterial übermittelt hat, übte der erste Kontrolleur zudem schon von Beginn an extreme, rechtswidrige Gewalt aus. Demnach wurde der Kopf und Nacken der betroffenen Person gepackt und niedergedrückt, sodass die Person nicht aus dem Sitz aufstehen konnte. Erst durch diese Gewalt soll die Situation wirklich eskaliert sein. Daraufhin sollen die 3 Kontrolleure schließlich gemeinsam versucht haben die Person auf den Boden zu drücken und die Hände auf den Rücken zu fixieren, was aufgrund der Schwankungen der fahrenden Straßenbahn jedoch nicht möglich war, sodass sie die Fixierungen im Stehen und über die Sitze hinweg, wie wir beschrieben haben, fortsetzten. Wir vertrauen diesen Aussagen und bewerten ihre Übergriffe nicht nur als unverhältnismäßige Gewalt und kollektive Körperverletzung, sondern auch als eine Vergeltungsmaßnahme aufgrund von verweigertem Gehorsam. Das uns die HAVAG hierzu noch erklärte, dass ihre Kontrolleure keine andere Wahl zu dieser hatten, da sich die betroffene Person ,,nicht beruhigen wollte”, stellt für uns eine extreme Farce und Täuschung dar. Spätestens ab dem Zeitpunkt in dem die betroffene Person gefordert hat, sitzen und atmen zu können und dies verweigert wurde, muss auch für Unbeteiligte klar sein, dass hier jede Grenze einer möglichen Rechtfertigung und Nachvollziehbarkeit überschritten wurde. Es ist jedenfalls nicht möglich einen Menschen ,,zu beruhigen”, wenn dabei der Hals mit einem Arm eingezwängt und der Oberkörper über zwei Sitze gedrückt wird. Da es bei solchen Maßnahmen unter bestimmten Umständen auch zu ernsthaften gesundheitlichen oder sogar letalen Schäden kommen kann benennen wir solche auch als lebensgefährdende Behandlung. Für uns steht letztendlich außer Frage, dass es rechtlich nicht legitim war, eine Person körperlich dermaßen zu drangsalieren nur aufgrund einer nicht getragenen Maske und der bloßen Annahme einer möglichen Sachbeschädigung. Und selbst wenn eine rechtliche Befugnis dazu vorgelegen hätte, wäre es aus moralischer Sicht unbegründbar.
Das die HAVAG dennoch keinerlei Fehler hinsichtlich dem Verhalten ihrer 3 Kontrolleure sieht und daher auch kein Bedauern zeigt, bedeutet für uns, dass die HAVAG zur Durchsetzung ihrer Sanktionierungsmaßnahmen notfalls auch Eskalation und exzessive Gewalt statt konfliktkompetentes Verhalten und deeskalative Maßnahmen befürwortet. Dabei spielt es im Grunde auch keine Rolle, was der genaue Auslöser dafür ist. Zudem scheint der HAVAG der Schutz von Privateigentum wichtiger zu sein als das Wohlergehen von Menschen. Statt Selbstkritik und einer notwendigen Aufarbeitung, die wir gefordert haben und die uns die HAVAG anfangs zugesichert hatte, mussten wir sehen wie die HAVAG versucht, den Fall vollständig umzudrehen und uns bewusst ,,Diskreditierung” ihres Unternehmens vorzuwerfen, um uns in ein schlechtes und sich selbst in ein besseres Licht zu rücken.
Uns ging es jedoch nicht um eine Diskreditierung der gesamten HAVAG. Wir hatten deshalb auch präzise formuliert, dass es sich um Übergriffe von 3 Kontrolleuren gehandelt hat. Worum es uns aber geht, ist eine demokratische Kontrolle des ÖPNV. Diese ist unserer Ansicht nach nicht gegeben, da es keine unabhängigen Beschwerdestellen mit Kontrollbefugnissen gibt und Unternehmen wie die HAVAG und ihre Prüfgesellschaft nicht unabhängig von ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen agieren. Dies zeigte sich für uns auch daran, dass die HAVAG die Stellungnahme ihrer Prüfergesellschaft als Reaktion auf unsere Kritik sofort als zweifelsfrei wahr ansah und äußerst voreilig übernahm und veröffentlichte. Obwohl die HAVAG uns gegenüber anfangs erklärt hatte, dass sie als ,,Drittpartei” versuchen würde einen Überblick über den Vorfall zu bekommen, hat sie uns daraufhin nicht um eine erneute Stellungnahme gebeten. Demnach ist die HAVAG weder unparteiisch, noch wegen der zugesicherten, aber nicht erfüllten Aufarbeitung des Vorfalles für uns glaubwürdig. Denn eine wirkliche Aufarbeitung schließt auch eine selbstkritische Fehleranalyse und die Einsicht von Konsequenzen mit ein, statt bloßer leerer Worte und Versprechungen. Zudem hat die HAVAG unserer Ansicht nach ganz allein ihrem eigenen Ansehen geschadet, in dem sie vollkommen bewusst eskalative und unverhältnismäßige Gewalt im Zuge von Sanktionsmaßnahmen öffentlich rechtfertigt und somit das Vertrauen und Wohlbefinden ihrer Fahrgäste und der Öffentlichkeit aufs Spiel setzt. Denn diese Entscheidung ist auch ein Signal an alle Kontrolleur:innen, dass sie im Ernstfall keine Konsequenzen bekommen, solange sie Möglichkeiten finden ihre Gewaltausübung zu rechtfertigen. Dabei wird deutlich, welche Definitions- und Deutungsmacht die Prüfgesellschaft und HAVAG gegenüber ihren Kritiker*innen haben hinsichtlich der Darstellung und Wahrnehmung von machtmissbräuchlichen Handlungen.
Obwohl wir Beweisfotos dafür vorgelegt haben, wie 3 weiße Kontrolleure der HAVAG einen migrantisierten Menschen drangsalieren, wird nicht nur unsere Kritik an der Unverhältnismäßigkeit der Behandlung abgewiesen, sondern auch eine Bennennung dieser als rassistisch mithilfe der Täter-Opfer-Umkehr. Die HAVAG weigert sich die Übergriffe ihrer 3 Kontrolleure als rassistisch anzuerkennen, weil es sich ihrer Erklärung nach  nur um eine Reaktion auf das Verhalten der betroffenen Person gehandelt haben soll. Diese Logik verneint, dass Kontrollen und Sanktionierungsmaßnahmen grundsätzlich ein Machtverhältnis und eine Form der Gewaltausübung darstellen, da sie Menschen auf verschiedene Weise unterdrücken können. Dies trifft besonders auf prekarisierte und diskriminierte Menschen zu. Statt jedoch die Erfahrungen der Betroffenen bzw. der betroffenen Person und von Zeugenpersonen stellt die HAVAG die Sicht ihrer Kontrolleure in den Mittelpunkt. Wir verurteilen diesen Täterzentrismus ebenso wie ein Verständis von Rassismus als eine Tat, die wie vor einem Gericht zu beweisen wäre.
Genauso wie migrantisierte und rassifizierte Menschen bzw. People of Color überall im Alltag immer wieder von rassistischer Diskriminierung oder Gewalt betroffen sind, kommt dies natürlich auch in Bereichen des öffentlichen Personennahverkehrs vor. Migrantisierte Menschen erleben häufig, wie sie bei öffentlichen Kontrollen besonders streng und rigide behandelt werden. Das wird mit der Tatsache, dass erneut eine migrantisierte Person von 3 weißen Kontrolleuren übermäßig hart und brutal behandelt wurde, nur beispielhaft unterstrichen. Diese Verhältnisse resultieren auch daraus, dass Kontrolleur:innen häufig über Vermittlungsagenturen bzw. Fremdfirmen eingestellt werden und jedwede Person dadurch einfachen und unkontrollierbaren Zugang zu Machtbefugnissen erhalten kann. Dies kann natürlich auch rassistisch, sowie autoritär und rechts gesinnten bzw. gewaltbereiten Menschen die Türen öffnen. Dies von vornherein auszuschließen würde gleichzeitig bedeuten, sowohl Rassismus als auch rechtes Denken und Agieren als problematischen Teil der Gesellschaft auszublenden. Auf einem Beweisfoto können wir übrigens aus den Augenwinkeln eines beteiligten Kontrolleures das Grinsen und die selbstsichere Freude an der rassistischen Gewaltausübung lesen. Wir glauben deshalb nicht an Zufälle, dafür aber an strukturelle Zusammenhänge. 
Selbst wenn wir keine Beweisfotos und Videoaufnahmen als Grundlage für unsere Kritik vorlegen könnten, muss für uns aber grundsätzlich nicht die Frage diskutiert werden, ob die Tat rassistisch war oder nicht. Rassimus kann nämlich meist gar nicht nachgewiesen werden und geschieht meist sogar völlig unbewusst. Stattdessen sollte danach gefragt werden, welche Strukturen dazu führen, dass Machtverhältnisse und Ungleichheiten zwischen Menschen und insbesondere zwischen weißen und rassifizierten Menschen entstehen und wie gesellschaftliche Mechanismen funktionieren, um diese zu legitimieren und normalisieren – statt sie als Problem zu sehen und abzuschaffen. Wir sprechen deshalb auch bewusst von internalisiertem und strukturellem Rassismus als Befreiung von einer beschränkten, entpolitisierten und missbrauchten Definition von Rassismus, welche die sozialisatorische, materiell-kapitalistische und staatliche Dimension von Rassimus ausschließt. Eine solche Definition würde die strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Ursachen hinter rassistischer Gewalt unsichtbar lassen und der HAVAG die Möglichkeit bieten sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Dies versucht die HAVAG letztlich auch dadurch, dass sie unsere Bennenung von Rassismus damit zurückweist, dass auch ,,Menschen mit Migrationshintergrund” in ihrem Unternehmen und ihrer Prüfgesellschaft arbeiten würden und somit kein rassistisches Verhalten existieren kann. Wir kritisieren dies als offensichtlichen Tokenismus, welches häufig von weißen Menschen als Instrument und Ablenkungsmanöver verwendet wird, um Betroffenen von Rassismus ihre Erfahrungen und Kritik abzusprechen. Ziel davon ist es Vertrauen und Gleichberechtigung vorzuheucheln während eine wirkliche Auseinandersetzung mit den individuellen und strukturellen Grundlagen von Rassismus verweigert und stattdessen die eigene Selbstaufwertung und Sicherung der Machtposition fokussiert und zelebriert wird. Hierbei können wir die Erklärung der HAVAG erneut dadurch widerlegen, dass Beratungsstellen in LSA sehr wohl diskriminierendes Verhalten durch Kontrolleur:innen der HAVAG registrieren und mit Betroffenen Beschwerden an die HAVAG gerichtet haben. Das sich die HAVAG trotzdessen öffentlich als absolut integer darstellt, schätzen wir als weiteren Beleg für eine fehlende selbstkritische Aufarbeitung und demokratische Transparenz ein, da betroffene Personen scheinbar nicht ernst genommen und ihre Erfahrungen verleugnet und unsichtbar gemacht werden. 
Am Umgang der HAVAG mit unserer Kritik wird unserer Beurteilung nach mehr als beispielhaft deutlich mit welchen Logiken und Mitteln strukturelle Gewalt, sowie struktureller Rassismus in der Gesellschaft ermöglicht werden. Wir werden unsere Wahrnehmung der rassistischen und gewaltherrlichen Wirklichkeit bzw. Pseudonormalität aber nicht von den Erklärungen der HAVAG und denen ihrer Prüfgesellschaft manipulieren lassen, auch wenn wir es als notwendig sahen darauf einzugehen, um der Alternativlosigkeit und absoluten Rechtmäßigkeit der Gewaltausübung ihrer Kontrolleure erneut zu widersprechen. 

Wir fordern die HAVAG mit dieser zweiten Stellungnahme auf: 

  • Entlassen Sie die 3 Kontrolleure, die gemeinsam nachweislich unverhältnismäßige Gewalt ausgeübt haben

  • Arbeiten Sie den Vorfall transparent und selbstkritisch auf und beziehen Sie erneut öffentlich Stellung dazu

  • Ordnen Sie ihr Personal auf deeskalatives und sozial verantwortliches Handeln an statt auf Sanktionierung und Bestrafung um jeden Preis

  • Hören Sie auf Täter-Opfer-Umkehr zu betreiben und strukturellen Rassismus zu leugnen

  • Angesichts nicht eingehaltener Zusagen, falscher Unterstellungen und der öffentlichen Befürwortung unverhältnismäßiger Gewaltausübung fordern wir zudem die Entlassung der in diesem Fall beteiligten Entscheider:innen und den Rücktritt der Leitung des Beschwerdemanagements der HAVAG

An den Übergriffen der 3 Kontrolleure war zudem eine vierte Kontrolleurin indirekt beteiligt, wie uns nachträglich durch die Zeugenperson mitgeteilt wurde. Nach Erklärungen der HAVAG ,,bemerkte” diese den Vorfall und informierte daraufhin den Zugführer, der die Polizei hinzuzog. Da die körperliche Fixierung der betroffenen Person bis zum Eintreffen der Polizei anhielt, hat die vierte Kontrolleurin den Großteil der Gewaltausübung jedoch genau beobachten können. Im Verlauf dessen schrie sie auf die Zeugenperson ein, dass Dokumentieren des Vorgangs mittels Handygerät zu unterlassen. Wir sehen darin den Versuch verbale Gewalt und massiven Druck auf einen Fahrgast auszuüben, um das eigene Fehlverhalten zu vertuschen und eine öffentliche und demokratische Kontrolle zu verhindern. Aus diesem Grund fordern wir auch die Entlassung dieser vierten Kontrolleurin der HAVAG.
Das Hauptproblem liegt für uns jedoch grundsätzlich im Deutungsmonopol und der Abhängigkeit der HAVAG von wirtschaftlichen Gewinnen und der dafür notwendigen Überwachungs- und Bestrafungslogik. Diese Machtkonzentration und Abhängigkeit macht aus unserer Sicht eine Interessen unabhängige Selbstkontrolle und wirkliche Aufarbeitung nur schwer und bei großem öffentlichen Druck, aber selbst dann wie in diesem Fall nicht bedingungslos möglich. Wir fordern deshalb auch weiterhin weitergehende Maßnahmen und strukturelle Veränderungen:
  • die Prüfung des Kontrollpersonals von Fremdfirmen im Öffentlichen Nahverkehr auf systematischen Missbrauch und Versagen hin

  • die parlamentarische Aufarbeitung und Aufklärung systematischer Diskriminierung und Gewalt durch Sicherheitspersonal im öffentlichen Nahverkehr

  • Eine unabhängige Beschwerdestelle zum Verhalten von Security- und Kontrollpersonal mit Kontroll-und Auskunftsbefugnissen gegenüber Bahnunternehmen wie der HAVAG

  • Einen kostenlosen ÖPNV sowie eine Vergesellschaftung der HAVAG, da ein demokratischer und gewaltfreier ÖPNV langfristig nur sichergestellt werden kann, wenn der gesamte ÖPNV in öffentliche Hand überführt wird und Bahngesellschaften wie die HAVAG keine gewinnorientierten Unternehmen mehr sind

Die HAVAG hat uns öffentlich aufgefordert unser letztes Statement richtig zu stellen. Das haben wir hiermit getan. Aber natürlich nicht im Interesse der HAVAG und ihrer Prüfgesellschaft, sondern im Sinne einer machtkritischen Aufarbeitung und öffentlichen Aufklärung. 
Weitere Hinweise zu diesem Statement können hier gefunden werden.
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