Haushaltsblockade oder verantwortliches Handeln?
19. Dezember 2019 | Glosse, Nachrichten | 6 KommentareHaushaltsblockade oder verantwortliches Handeln?
Am 18. Dezember hat der Stadtrat mit einer Mehrheit die Diskussion über den Haushalt 2020 und das Konsolidierungskonzept von der Tagesordnung genommen und damit ins neue Jahr vertagt. Der Vorgang ist im Livestream der Stadtratssitzung von Minute 9.39 bis 18.54 dokumentiert.
Wiegand hat – nach seiner Wahl und der des Finanzbeigeordneten – im Eiltempo einen Haushaltseintwurf erarbeitet, der den Vorgaben des Landesverwaltungsamtes entspricht. Er hat die Fraktionen aufgefordert Änderungen vorzuschlagen, um diese möglichst rasch in den Haushalt einzuarbeiten. Das alles gehört zu seinen Aufgaben und ist nicht ungewöhnlich. Bis auf das Tempo, das er mit diesem Entwurf vorgelegt hat.
Darauf reagiert der Stadtrat, insbesondere LINKE, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Im Kulturausschuß hatte Frau Dr. Wünscher (CDU) schon die Vertagung erfolgreich beantragt mit der Ankündigung von Änderungsanträgen. Warum sie die allerdings nicht gleich eingebracht hat, bleibt ihr Geheimnis. Und das Gleiche passierte jetzt im Stadtrat. Dr. Meerheim (DIE LINKE) beantragt – ebenfalls erfolgreich – die Vertagung, da nicht alle Ausschüsse, insonders der Finanzausschuss, abschließend beraten hätten. Sie haben beraten, aber nicht abschließend. Was kann das bedeuten?
Es sind insgesamt 48 Positionen, die überhaupt beraten und geändert werden können. Die verteilt auf die Ausschüsse sind nun nicht gerade viel. Dennoch kam es dazu nicht.
Auch Frau Dr. Brock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hatte Forderungen und Wünsche, aber da war der Tagesordnungspunkt ja schon vertagt.
Das ist in Kürze, was passiert ist. Und hat aber Folgen – für Vereine, Projekte, Fördermittel. Die Stadt steht nun unter vorläufiger Haushaltsführung und darf nur ihre Pflichtaufgaben finanziell wahr nehmen. Das ist keine Wiegand’sche Drohung, sondern Gesetzeslage.
Was tun? fragte schon Lenin. Die Ausschüsse tagen schon im Januar wieder. Bis dahin hat sich nichts geändert, was Entscheidungen beeinflussen könnte. Man könnte ja vermuten, dass die Stadträte Zeit brauchen, um ihr Ehrenamt verantwortungsvoll auszuführen. Das aber würde bedeuten, daß es zum Haushalt gravierende inhaltliche Vorbehalte gibt. Die mag es geben, aber sie wurden nicht formuliert.
Also was geht da vor? Die Kritik wird nicht handhabbar eingebracht, sondern vertagt.
Ich kann mir vorstellen, daß die von allen geschmähte AFD-Fraktion den Vorgang mit einem Grinsen zur Kenntnis nimmt.
Kommentar schreiben
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.
Diese ständige Verweisen auf nur „48“ Positionen ist ein Armutszeugnis der Demokratie. Wenn der Stadtrat so wenig zu sagen hat, warum braucht man ihn dann?
Mir kommen die Tränen. Die armen Stadträte, die gerne (und natürlich dankenswerter Weise) ehrenamtlich Politik machen möchten, sind total überfordert. Ganz überraschend kam da ein Haushalt auf Sie zu. Vorbereitung? Null. Fragen? Alle beantwortet. Änderungswünsche? Nicht vorgelegt (bis auf sehr wenige).
Da fragt man sich doch, ob hier ernsthaft Politik gemacht wird. Anscheinend werden ja nicht einmal die reichlich bestzten Fraktionsgeschäftsstellen eingesetzt, um sich wenigstens zu bemühen, den Haushalt zu beschließen.
Für jeden Ausschuss gab es eine Sondersitzung zusätzlich – gewollt war von den Räten jedoch nur zu zeigen, dass man den Plan nicht beschließen kann.
Und jetzt geht es weiter mit den nächsten Ausschüssen am 7. Januar. Welche Erkenntnisse die Stadträte wohl über die Feiertage gewinnen? Oder ging es etwa doch nur darum, dem OB eins auszuweichen?
Auch wenn es Pflichtaufgaben sind, ist deren finanzielle Ausstattung nicht vorgegeben und ändert sich ständig.
Dass es nur 48 „freiwillige Posten“ gibt, kann ich nicht glauben.
Dazu kommen noch jede Menge versteckter Posten.
Irgendwo muss es auch ein Budget für einen Neujahrsempfang oder diverse Weihnachtsbäume geben, beides ebenfalls keine Pflichtaufgaben.
Hier ist ein in meinen Augen guter und auf dem Punkt gebrachter Kommentar vom StäZ-Redakteur Felix Knothe:
„Beobachtern war lange klar, dass es so kommen musste: Drei Wochen sind für einen ehrenamtlich arbeitenden Stadtrat zu wenig, um einen 1400 Seiten starken, und eine Dreiviertelmilliarde Euro schweren Haushalt zu verabschieden. Und doch hat der Ober-bürgermeister das Konvolut erst Ende November vorgelegt und trotzdem erwartet, dass der Stadtrat bereits drei Wochen später zustimmt. Nun, da der Haushaltsbeschluss vertagt ist, schiebt er dem Rat, diesem Gremium, mit dem er wohl auch in den kommenden Jahren nicht erquicklich wird zusammen-arbeiten können, die alleinige Verantwortung zu. Der Rat sei schuld, dass nun Vereine und Träger kein Geld bekommen. Kinder müssten leiden in Halle, war sich Wiegand nicht zu schade, im Stadtrat zu behaupten. Sich selbst dagegen lobte er über den grünen Klee. Ein groteskes Spiel: Aus Hauptsache ich wird Hauptsache nicht ich. Hauptsache nicht ich, der OB, bin schuld.
Aber „das bisschen Haushalt“ braucht eben auch in Halle Zeit. Und wenn ein zu spät verabschiedeter Haushalt der Stadt so sehr schadet, dann hätte Wiegand es nicht dazu kommen lassen dürfen. Er hätte ihn früher einbringen müssen, egal wie die OB- und die Beigeordnetenwahl terminiert waren. Der Stadtrat hatte ihn mehrfach dazu aufgefordert. Was wäre denn gewesen, wenn Wiegand im Herbst abgewählt worden wäre? Hätte sein Nachfolger dann haushalterische Tabula rasa im Ratshof vorgefunden? Man darf von einem OB im letzten Jahr einer Amtszeit erwarten, dass seine Verwaltung die nötigen Vorarbeiten zur Verabschiedung eines Haushalts trotzdem beizeiten macht. Und wenn es der letzte Dienst an der Stadt ist. Aber Wiegand wollte offenbar nicht, dass über die Zahlen der Stadt bereits vor der Wahl diskutiert wird. Sie sind nämlich kein Ruhmesblatt. Wiegand hat sich verfangen in seiner eigenen technokratischen Logik. Der pünktliche Haushalt war bisher eines seiner Markenzeichen. Er wurde zum eigenen politischen Inhalt. Nun, wo es dank Konsolidierungsauflage von oben eng wurde um den Haushalt, hieß das Motto am Ende nur noch: Hauptsache irgendein Haushalt, Hauptsache pünktlich. Ob das Zahlenwerk stimmig, das Konsolidierungskonzept schlüssig und beides zusammen politisch klug gemacht sind – von einer tragfähigen politischen Mehrheit einmal ganz abgesehen – war offenkundig eher nebensächlich. Die Chance war sogar groß, dass niemand ernsthafte und unangenehme Nachfragen zum Haushalt stellt, wenn er nur drei Wochen lang auf dem politischen Verhandlungsmarkt ist.
Ja, ein pünktlicher Haushalt bringt deutliche Vorteile für alle Beteiligten. Aber die Welt geht nicht unter, wenn er einen Monat zu spät kommt. Das ist in den politischen Körperschaften Deutschlands allzu oft gang und gäbe. Nun mit der großen Sparkeule zu drohen, nämlich damit, ab Januar gar keine Mittel auszugeben, obwohl vorläufige Haushaltsführung monatliche Abschläge möglicherweise zulassen würde, ist zusätzlich verantwortungslos. Wiegand betreibt hier eine politische Erpressung und missbraucht dabei die vielen Vereine und Träger als Faustpfand, die auf Zuwendungen aus der Stadtkasse angewiesen sind. Es geht um Kultur, um Soziale Hilfen, um Schulsozialarbeit und vieles mehr.
Die hallesche Haushaltsdebatte 2020 ist zudem auch ein Machtspiel. Wiegands Plan, den Stadtrat zu einer haushalterischen Espressomaschine zu degradieren, hätte auch die Axt an eines der Grundprinzipien kommunaler Demokratie gelegt: an das Etatrecht des Stadtrats. Dieses Recht beinhaltet zwingend Kontroll- und Nachfragemöglichkeiten und natürlich auch das Recht, eigene Schwerpunkte zu setzen. Hätte der Stadtrat der verkürzten Debattenzeit zum Haushalt zugestimmt, hätte er sich in den kommenden Jahren nicht mehr rühren können. Er hätte alle eigenen politischen Gestaltungsoptionen an der Stadtratsgarderobe abgeben können. Er wäre ein Gremium von Jasagern und Abnickern geworden. Dafür ist er von den Bürgern aber nicht gewählt worden.“ (https://staedtische-zeitung.de/2019/12/kommentar-haushalt-braucht-zeit/)
Wenn der Haushalt erst nach der OB Wahl erarbeitet worden wäre, wäre dies wahre Magie. Die Haushaltsleute im Rathaus fangen damit jedes Jahr zum Jahresbeginn an, die machen ja nicht ein halbes Jahr gar nichts.
Wenn die Haushaltserstellung nicht erfolgt wäre, wie behauptet, wäre dies somit vorsätzlich zum Schaden der Stadt erfolgt. Da sollte der OB vielleicht mal überlegen, welche Legende für ihn am Ende wirklich besser ausfällt.
“ im Eiltempo einen Haushaltseintwurf erarbeitet, der den Vorgaben des Landesverwaltungsamtes entspricht“
Aber eben nicht den Vorgaben des Stadtrates. Und der beschließt letztendlich.
Dann bleibt noch der Genehmigungsvorbehalt des LVwA, der unabhängig von der Meinung der Stadtverwaltung ist. Also nicht mit „entspricht den vorgaben des LVwA“. Beiträge von „Wir für Halle“ sollten auch als solches gekennzeichnet werden.