Studierende repräsentieren nicht den Rest der Bevölkerung

12. September 2022 | Bildung und Wissenschaft | 4 Kommentare

Studierende sind beliebte Versuchspersonen für Studien, treffen im Durchschnitt aber nicht immer dieselben Entscheidungen wie andere Bevölkerungsgruppen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Studien, die ausschließlich mit Studierenden durchgeführt wurden, nur bedingt etwas über das Verhalten der anderen aussagen. – Zu diesem Ergebnis kam nun auch ein Team von Verhaltensforschenden der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU).

Dass Studierende beliebte Versuchspersonen sind, ist bisher vor allem in der Verhaltensökonomie der Fall. „Das ist naheliegend, weil Studierende wissenschaftlichen Studien gegenüber aufgeschlossen sind, sich ohnehin im universitären Umfeld bewegen und empfänglich für finanzielle Anreize sind!,“, erklärt Dr. Sven Grüner vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der MLU. „Allerdings stellt sich die Frage, ob Studierende repräsentativ für andere Bevölkerungsgruppen sind – schließlich unterscheiden sie sich in wichtigen Merkmalen, etwa im Alter oder im Einkommen.“

Um diese Frage zu beantworten, hat der Verhaltensökonom eine aufwendige Studie mit 300 Probanden durchgeführt. Das Ergebnis: Von Studierenden lässt sich nur begrenzt auf das Verhalten anderer Menschen schließen.

In insgesamt 36 Teilexperimenten hat Grüner die Entscheidungen von Studierenden der Agrarwissenschaften mit denen von Landwirten verglichen. Untersucht wurden individuelle Eigenschaften, wie Risikobereitschaft, Ungeduld, Altruismus, Vertrauen, oder die Bestrafung unfairen und die Belohnung großzügigen Verhaltens.

„Wir haben dafür auf etablierte ökonomische Experimente aus der Entscheidungs- und Spieltheorie zurückgegriffen.“, so Grüner. Beispielsweise wurden bei der Ermittlung der Risikobereitschaft die Probanden vor die Wahl gestellt, einen geringen Geldbetrag mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit oder einen höheren Betrag mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. „Bei allen Experimenten haben wir die monetären Anreize stufenweise erhöht, um zu sehen, welchen Einfluss die zu erwartende Summe auf die Entscheidungen hat.“, sagt Grüner. Das Geld wurde übrigens tatsächlich ausgezahlt, weil fiktive Summen die Ergebnisse verfälschen – die Probanden zeigen dann in stärkerem Maße sozial erwünschtes Verhalten.

Die Auswertung der Experimente ergab ein sehr durchwachsenes Bild: Bei der Risikobereitschaft etwa konnten keine deutlichen Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt werden.

„Das Ergebnis widerspricht früheren Studien, in denen sich Studierende im Vergleich zu Landwirten als risikoscheuer erwiesen hatten.“, bemerkt Grüner. Auch bei der Belohnung großzügigen Verhaltens und beim Vertrauen waren die Unterschiede gering. Größere Unterschiede gab es bei der Geduld: Die Landwirte entschieden sich viel häufiger für die frühe Option mit geringerem Auszahlungsbetrag und höherer Chance, die Studierenden erwiesen sich durchgehend als geduldiger. Zugleich schlugen die Landwirte häufiger unfaire Angebote aus, auch wenn sie dafür selbst auf Geld verzichten mussten. Dieser Befund stehe nicht im Einklang mit früheren Studien, die ein ähnliches Verhalten von Studierenden und anderen Bevölkerungsgruppen zeigten, sagt Grüner.

„Unsere Untersuchung zeigt, dass es grundsätzlich problematisch ist, das Verhalten von Studierenden auf reale Akteure zu übertragen. Das könnte die Ergebnisse bisheriger Studien infrage stellen – nicht nur in den Agrarwissenschaften, sondern fachübergreifend.“, so Grüner weiter. Das sei auch deshalb ein sensibles Thema, weil mit Erhebungen zur individuellen Entscheidungsfindung wichtige Zukunftsfragen untersucht werden – Risikoverhalten und Geduld etwa seien entscheidende Kriterien für die Investition in nachhaltige Produktionsstrukturen, die sich in der Regel erst nach vielen Jahren amortisiert. Die neue Studie helfe dabei, Faktoren zu ermitteln, mit denen sich die Ergebnisse gewichten lassen.

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