COVID-19: Leopoldina empfiehlt intensivere Forschung zu Medikamenten

10. November 2021 | Bildung und Wissenschaft, Natur & Gesundheit | Ein Kommentar

 

Die Verfügbarkeit hochwirksamer Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 stellt einen großen Fortschritt in der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie dar. Dennoch besteht weiterhin Handlungsbedarf bei der Entwicklung von antiviralen Medikamenten. Zum einen sind wirksame und kostengünstige antivirale Medikamente speziell gegen COVID-19 erforderlich. Zum anderen sollten mit Blick auf künftige Pandemien breit wirksame Medikamente entwickelt werden, die gegen verschiedene Arten einer Virusfamilie wirken. – Darauf weist die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in ihrer heute veröffentlichen Ad-hoc-Stellungnahme „Antivirale Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2: Aktueller Stand und Ansätze zur verbesserten Vorbereitung auf zukünftige Pandemien“ hin. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erläutern in der Publikation, warum es derartiger Wirkstoffe bedarf, wie diese identifiziert und entwickelt werden und welche Organisationsstrukturen dafür notwendig sind.

Spezifische Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 werden auch dann noch wichtig sein, wenn das Virus nach Abklingen der Pandemie endemisch wird und dauerhaft in Teilen der Bevölkerung zirkuliert. Schwere Krankheitsverläufe könnten sich etwa bei ungeimpften Personen entwickeln, bei Personen, die auch nach mehrmaliger Impfung keinen
ausreichenden Immunschutz aufbauen, oder bei Personen, deren Impfschutz nach einiger Zeit nachlässt. Die Arzneien sollten idealerweise leicht zu verabreichen, gut wirksam und vergleichsweise kostengünstig sein.

„Die wenigen vorhandenen Medikamente gegen SARS-CoV-2 reichen nicht. Wichtig sind hochwirksame Wirkstoffe, die möglichst früh nach Infektion eingesetzt werden können, um die Virusvermehrung und die Weitergabe der
Erreger zu stoppen.“, sagt die Chemikerin und Virologin Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff, Sprecherin der Arbeitsgruppe und Mitglied der Leopoldina.

Auch global betrachtet sind Wirkstoffe gegen SARS-CoV-2 erforderlich. Leicht verfügbare Medikamente zum Schlucken oder zur Inhalation sind auch in solchen Regionen der Welt von großer Bedeutung, in denen die Bevölkerung keinen ausreichenden Zugang zu Impfstoffen und einer medizinischen Infrastruktur hat.
Aus den Erfahrungen der Coronavirus-Pandemie leiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Notwendigkeit einer besseren Vorbereitung auf neu auftretende Erreger ab. „Die Entwicklung von Wirkstoffen darf nicht erst dann beginnen, wenn ein neues pandemisches Virus aufgetreten ist. Sie sollte schon im Vorfeld mit Nachdruck vorangetrieben werden.“, sagt der Virologe Prof. Dr. Ralf Bartenschlager, ebenfalls Sprecher der Arbeitsgruppe und Leopoldina-Mitglied.

Wichtiges Konzept dabei sind Breitbandwirkstoffe ‒ Medikamente, die gegen möglichst zahlreiche Arten einer Virusfamilie wirksam sind. Dafür werden solche Strukturen und Funktionen der Viren als Angriffsziel ausgewählt,
die sich kaum verändern. Andere Ansatzpunkte sind zelluläre Faktoren wie Virus-Bindungsstellen auf den menschlichen Zellen sowie Wirkstoffe, die das Immunsystem stimulieren und damit die Widerstandskraft gegen die
Infektion erhöhen.

Für eine bessere Pandemievorsorge gilt es, sowohl die Grundlagenforschung als auch die translationale Forschung zu stärken, die den Übergang in die klinische Praxis begleitet, und Breitband-Medikamente mit Wirkung gegen Viren mit pandemischem Potenzial bis zu einer gewissen Reife zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe empfiehlt, eine Organisationsstruktur zu schaffen, die die notwendigen Infrastrukturen vernetzt. Sinnvoll sei auch die Kooperation akademischer Institutionen mit Biotechnologie- und Pharmafirmen. Um insbesondere im Krisenfall deutlich schneller wirksame Therapien bereitstellen zu können, sollten neben Forschungseinrichtungen auch Vertreterinnen und Vertreter regulatorischer Behörden und der Politik Teil eines solchen Netzwerks sein.

Im akademischen Kontext ist eine koordinierte Studieninfrastruktur erforderlich, die der Übertragung in die medizinische Praxis dient. In Deutschland fehlen weitgehend Strukturen für frühe Pilotstudien, aber auch für große klinische Studien, konstatiert die Arbeitsgruppe. Die Expertinnen und Experten sprechen sich dafür aus, Testzentren, ambulante Versorgung, öffentlichen Gesundheitsdienst, Pflegeeinrichtungen und Hochschulambulanzen zu vernetzen.

Eine weitere Empfehlung der Arbeitsgruppe ist, zirkulierende Virusstämme und ihr pandemisches Potenzial besser epidemiologisch zu überwachen, indem unter anderem das öffentliche Gesundheitswesen einen besseren Zugang zu Sequenzierkapazitäten und Sequenzdatenbanken erhält, um neue auftretende Virusvarianten schnell zu erkennen und ihre Ausbreitung verfolgen zu können.

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