Wildkraut macht „feiste Frauen wieder mager und fruchtbar“

1. Juli 2019 | Bild der Woche | 2 Kommentare

Ihr deutscher Name drückt eine große Wertschätzung der Rätselpflanze als Medizinalpflanze „vera unica medicina“ aus. Hübsch und auffällig ist sie schon mit ihren traubenbilden Blütenständen aus 20-40 himmelblauen Blüten. Die ca. 1cm großen Blüten sind gegenständig angeordnet und dunkler geädert. Ihre Blätter sind so um die 5cm lang und gezähnt, aber schmal. Die bei uns heimische Pflanze gehört zur Familie der Wegerichgewächse (Plantaginaceae). Die Pflanze ist damit direkt mit anderen wichtigen Heilkräutern wie dem Breitwegerich oder dem Spitzwegerich verwandt. Früher wurde sie der Familie der Braunwurzgewächse zugeordnet. Die Gattung zählt weltweit mehr als 350 Arten.
Der Rätselpflanze dürfte vielen als zierliches und schön anzusehendes Wildkraut ein Begriff sein. Seine volkstümlichen Namen Allerweltsheil- oder Wundheilkraut verraten aber, dass die Pflanze auch als Heilkraut Verwendung findet. Allerdings war die medizinische Bedeutung im Mittelalter deutlich höher als heute, wo sie wie früher schon meist nur noch bei Husten oder bei chronischen Hautleiden genutzt wird. Man kannte die Pflanze als vielfach verwendetes universelles Heilkraut. Im „Kreutterbuch“ des A. Lonicerus (1679) steht „… macht freudig, kühn, gütig, muthig und ruhigen Sinnes.“ Zum Aufguss von dieser Pflanze sagt er weiter: “…Dieses Wasser mit des Krautes Pulver getruncken ist gut für die Geelsucht, befördert den Harn, und macht feiste unfruchtbare Frauen mager und fruchtbar.“ Eine erstaunliche Beobachtung. Selbst Pfarrer Kneipp empfahl noch die Pflanze gegen Epilepsie, Husten und Gicht. Es sind Flavonoide, Saponine, Gerb- und Bitterstoffe sowie der verbreitete Wirkstoff Aucubin, die ihre Wirkung entfalten. Aucubin wirkt u.a. antibakteriell, ist aber nur in recht bescheidenen Konzentrationen vorhanden.
Wie heißt die Pflanze mit den kleinen himmelblauen Blüten?
(H.J. Ferenz)

Auflösung der letzten Pflanze der Woche („Eine Kultpflanze für religiöse Handlungen“)  Vitis vinifera, die Weinrebe.

Eigentlich hatte unser Ratefuchs „Rati“ schon das Meiste beantwortet, wenn nicht unser Autor das dringende Bedürfnis hätte, im Anschluss an die Auflösung noch das Rezept seiner Leibspeise zu verraten. Aber der Reihe nach. Zunächst die Lösung.

  1. Ja, Rati, die Reblaus. Ein blödes Mistvieh, aus den imperialistischen US-Amerika Mitte des 19. Jahrhunderts eingeschleppt. Die Larven der Drecksau fressen an den Wurzeln, während die „Imagines“, also die entwickelten Insekten, an den Blättern saugen. Der Wurzelfraß der Larven ist es, der dem eurasischen Weinstock das Leben aushaucht, und beinahe zur Ausrfottung des Weins geführt hätte.  Die Bekämpfung der Larven war extrem schwierig, man bediente sich da beispielsweise des hochgiftigen und explosiven Schwefelkohlenstoffs, den man in den Boden injezierte. Mit mäßigem Erfolg. Allerdings waren nahe Verwandte der Weinrebe, die seit evolutionären Urzeiten in den Pestsümpfen des US-amerikanischen Kontinents lebte, gegen den Parasiten weitaus unempfindlicher (Vitis ripariaVitis rupestris und Vitis berlandieri). Auf sie pfropfte man dann die europäischen Edelreben, und so wurde der Vermehrungszyklus der Reblaus unterbrochen. Heute verwendet man praktisch nur noch die amerikanische  Reben als Unterlage, das ist in den meisten Weinbaugegenden gesetztlich vorgeschrieben. Und so ergibt sich daraus auch die Antwort auf die Frage Nr. 3: Es ist in Weinbaugegenden verboten, auch für Privatgärtner, „wurztelechte“, also ungepfropfte Weinreben zu pflanzen. Während der einzelne Weinstock im HAusgarten da vielleicht nicht das große Problem darstellt, bedeuten aber beispielsweise aufgelassene oder Verwilderte Weingärten eine Gefahr. Herabhängende Edelreiser schlagen Wurzeln, und da entsteht das Problem…

Zu 4: Die Blütenstände nennt der Winzer nicht Rispen, lieber Rati, sondern „Gescheine“. Komisches Wort.

Ad 6: Rebschwarz. Ganz genau, man machte es aus den Resten des Rebschnitts, den man vertkohlen ließ. Es entstand ein tiefes, kaltschwarzes Pigment, das in der Malerei beliebt war. Heute ist es durch diverse Schwarzpigmente auf der Basis industrieller Inkohlungsprodukte verdrängt worden.

Und ad 5: Dolma. Genau. Es wurde ja schon der merkwürdige Blätterklau thematisiert, der gerade medial die Runde machte. Die Ausländer, natürlich, die sich am deutschen Weinberg vergreifen. Sie sammeln die Blätter, um sie zu essen. Bzw, wenn sie säckeweise Weinblätter entführen, wird es hier wohl kaum um Eigenbedarf handeln. Das kann Ärger geben, denn natürlich braucht die Pflanze die Blätter, um Photosynthese zu betreiben, und um damit genügend Süße in die ohnehin nicht gerade überzuckerten Höhnstedter Weine zu bringen (OK, die Höhnstedter dürfen und müssen mit Rübenrzucker nachsüßen, sonst wird das eh nichts, das schreibt das Weingesetz vor). Landen die geklauten Blätter in der Lebensmittelwirtschaft, kann noch mehr Ungemach drohen: Die meisten Landwirte behandeln ihre Reben mit Pflanzenschutzmitteln, und zwar in „ordentlichen“ Mengen.  So werden immer wieder in fertig zubereiteten Dolma aus dem Handel Pestizidrückstände gefunden.

Eine kurze Geschichte der Dolma

Wer zuerst auf die Idee kam, gefüllte Weinblätter zuzubereiten, ist nicht überliefert. Die Küche der Antike kannte dieses Gericht nicht. Es ist wahrscheinlich eine Erfindung der osmanischen Palastküche des 18. Jahrhunderts. Das verrät auch die Verbreitung der türkischen Wortstämme Dolma bzw „Sarma“ als Lehnwort in vielen Sprachen.

„Dolma“ bedeutet eigentlich nur „gefüllt“, und so gibt es viele Gerichte, die im türkischen „Dolma“ genannt werden. Beispielsweise biber dolmasi u(gefüllte Paprika), domates dolmasi (gefüllte Tomaten)  und dann eben auch yaprak dolmasi: gefüllte Blätter. Oder botanisch genauer: Asma yaprak dolmasi, gefüllte Weinblätter.

Genau so oft trifft man aber auch auf die Bezeichnung „Sarma“. „Sarma“ bedeutet „gewickelt, Wickel“ (sarmak: wickeln). Sarma können beispielsweise auch Joints sein. Also: Lahana sarmasi : Kohlroulade.  Und folgerichtig dann Yaprak sarmasi:  Blattwickel = Yaprak dolmasi. Es kommt also auf das Auge des Betrachters an, ob etwas gefüllt oder gewickelt ist.

Dann  gibt es natürlich unterschiedliche Füllungen. In der Türkei sind Hackfleich/Reis-gefüllte Weinblätter beliebt (Kiymali yaprak dolmasi).  Und so wanderten die Sarmas und Dolmas durch die Welt. zunächst durch das osmanische Reich, wo sie noch heute in die jeweiligen Nationalküchen wie auch in die Sprachen eingingen. In Griechenland (als Sarmades oder Dolmades) erhielten sie noch eine vegetarische Variante, nur gefüllt mit Reis und mit Zitrone und Öl kalt serviert. Auf dem Wege nach Skandinavien wurden die Weinblätter wiederum durch Kohl ersetzt, und so entstand das schwedische Nationalgericht „Koldolma“.

Ein Basis“tarif“ für gefüllte Weinblätter

So, jetzt darf gekocht werden, und zwar ganz locker, es gibt kein genaues Rezept (Nicht Recep, sondern „Tarif“). Nehmt Euch etwas Zeit.

Kiymali asma yaprak dolma tarifi

(HW)

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