Palimpalim am Straßenrand

27. November 2023 | Bild der Woche | 7 Kommentare

Manchmal fragt man sich, auf welche komischen Ideen die Natur kommt, und den Menschen in die Städte freiwillig folgt. Stadttauben beispielsweise. Oder Katzen und Mäuse. Und Pflanzen. Dieses Bild hat gestern Elfriede bei einem ihrer Spaziergänge durch die Stadt geschossen. Rechts oberhalb des Weges steht ein bedeutendes Kulturdenkmal, links, hinter dem braun gefärbten Laub der Bäume, eine sagenumwobene, verwunschene Villa, wo man sich schon seit Jahren fragt, was da drin eigentlich passiert.

Fokussiert hat die Fotografin aber auf den Vordergrund. Eine Pflanze mit blauvioletten Blüten. Es ist schon das zweite Novemberdrittel um, und diese Nacht waren die Temperaturen das erste Mal wieder unter den Gefrierpunkt gefallen. Der Gewächs hat es offenbar nicht sonderlich geschadet, obwohl man bezweifeln kann, ob es jetzt nicht doch langsam oberirdisch zu Ende geht. Danken wir Elfriede deshalb jedenfalls für das Bild. Sie wusste natürlich, was sie da fotografiert. Die Blume gilt als Beispiel für einen Kulturfolger, aber einem, der bereits hier heimisch war, als die Menschen hier sesshaft wurden. Eine Theorie besagt, dass erst der Mensch dieser Pflanze einen Lebensraum bot, als er die dichten Wälder rodete, um Äcker und Weiden anzulegen. Vorher soll sich die Pflanze im dunklen Wald versteckt haben, und dann auf den Acker gesprungen sei, weil es ihr da natürlich besser gefiel. Eine Theorie übrigens, die durchaus umstritten ist.

Später nahm der Mensch die Blümchen in seine Gärten, von wo aus sie sich mit ihrer Vielzahl kleiner Samen überall hin verbreitet. Sogar an Straßenrändern und in Mauerritzen gedeiht sie wunderbar (wie man ja auch hier sieht. In den USA gilt sie als invasiver Neophyt).

Wer keinen Gefallen an ihr findet, sollte sie doch einfach mal aufessen. Die Wurzeln kann man roh oder gekocht essen, und die Blätter ergeben sowohl einen Salat, gekocht ein Spinatgemüse. Und essbare Blüten waren ja auch mal eine Zeit lang Hip.

Dazu müsste man lediglich ein paar Fragen beantworten:

Um was für eine Pflanze handelt es sich hier?

Wo ist das Bild aufgenommen? (für Halle-Kenner..)

Welche Baudenkmäler befinden sich dort in der Nähe?

Das Wahrzeichen von Halle – es steht auf dem Markt – hat etwas mit unserer Pflanze gemeinsam. Was?

Die Theorie, dass solche Pflanzen dem Menschen aus dem finsteren Wald gefolgt seien, weil erst er ihnen günstige Lebensbedingungen herstellte, soll umstritten sein. Warum?

 

Auflösung der letzten Pflanze der Woche: (Unter dem Pflaster liegt der Strand): Artemisia maritima, Strand-Beifuß

Armoise ist die französische Bezeichnung für die Gattung Artemisia, zu der eine Reihe Würz-, Heil- und sogar Giftpflanzen gehören, so etwa der Wermut, der gewöhnlicher Beifuß oder die Eberraute.  Die Artemisia-Pflanze war in der Antike der griechischen Göttin Artemis zugeordnet, in der römischen Götterwelt war dies Diana. Zuständig war sie für Jagd und für den Wald, daher oft in Begleitung einer Hirschkuh dargestellt.

In sofern hatte Rati schon ganz gut gezielt. Aber wir suchten nicht Artemisia cinae, denn die Pflanze sieht etwas anders aus, A. cinae (Wurmsamen) ist keine ausgesprochene Salzverträgliche Strandpflanze. Mit dem „Wurmsamen“ aber lag er deshalb nicht falsch, weil hier besonders viel Santonin enthalten ist, ein Wirk – und auch Giftstoff, mit dem man früher Darmwürmer bekämpft hat. Das Zeuig ist leider ziemlich giftig, und es kommt neben epileptischen Krampfanfällen und vielem mehr zu einem – meist vorübergehendem -„Gelbsehen“. Ursache ist, dass hier der Rezeptor für Blauviolett ausgeschaltet wird. Ein Phänomen übrigens, mit dem sich mehrfach ausführlich der Philosoph Edmund Husserl (1859-1938) beschäftigt hatte: „Wenn ich Santonin esse, wirst die Welt dann wirklich gelb, oder erfahre ich sie nur so?“)

Aber auch der Strand-Beifuß enthält Santonin, nur nicht so viel wie der Wurmsame. Auf Wangerooge, wo er häufig vorkommt, wird er Wurmbiöd genannt.

„Unter dem Pflaster liegt der Strand“: Nachweisbar ist der Spruch schon während bzw. vor Pariser Studentenunruhen 1968 (Sous les pavés, la plage !). Er soll jedoch schon Monate vorher anonym an eine Hauswand unter einem Fenster gesprüht worden sein. Dass der Spruch in der deutschen Spontiszene so beliebt ist, lag an der Annahme, dass er eine Aufforderung darstelle, Pflastersteine im gewaltsamen Straßenkampf einzusetzen. Tatsächlich werden Pflastersteine häufig auf einem Sanduntergrund verlegt.

Alle anderen Pflanzen der Woche, seit 2016, findet Ihr hier im Archiv

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