Nach der Entscheidung der EU-Kommission
3. Juli 2016 | Nachrichten, Natur & Gesundheit | 7 KommentareAm Glyphosat scheiden sich die Geister. Für die einen ist es ein unersetzliches Unkrautbekämpfungsmittel und unverzichtbar für unsere Landwirtschaft, für die anderen ist es gesundheits- und umweltschädlich und gehört sofort verboten. Auch in der Redaktion des Hallespektrums gibt es unterschiedliche Anschauungen zu diesem Stoff. Deshalb haben wir zu Nutzen und Gefahren einen Experten befragt. Prof. Dr. habil. Matthias Kästner, Mikrobiologe am Helmholtz-Umweltforschungsinstitut in Leipzig, hat unsere Fragen folgendermaßen beantwortet:
Hallespektrum: In der Diskussion steht derzeit die Frage der Krebsentstehung. Gibt es Hinweise auf andere Gesundheitsgefahren für den Menschen (z. B. die steigende Inzidenz an Multipler Sklerose), oder wurde diese Frage noch gar nicht gestellt?
Prof. Dr. habil. Matthias Kästner: Der MS-Zusammenhang ist mir nicht bekannt. Wohl aber gibt es Hinweise, das beim Umsatz von Glyphosat in Pflanzen und im Boden intermediär die nicht biogene Aminosäure Sarkosin entsteht, die im Verdacht steht, neurodegenerative Wirkungen zu haben.
Hallespektrum: Welche eindeutigen Ergebnisse gibt es zu den Auswirkungen auf die Umwelt, welche Vermutungen sind noch nicht eindeutig geklärt? (Artenvielfalt, Bienensterben, Resistenzentwicklungen usw.)
Prof. Dr. habil. Matthias Kästner: Glyphosat dürfte wohl zu den am besten untersuchtesten Wirkstoffen in dieser Hinsicht gehören. Beim Glyphosat ist allerdings die Frage, ob es krebserregend ist oder nicht, sicher nicht die einzige toxikologisch relevante Frage. Glyphosat ist ja ursprünglich als Antibiotikum patentiert worden und hat daher eine abtötende bzw. hemmende Wirkung auf eine ganze Reihe von Bakterien. Diese Wirkung führt bei Rückständen in Futtermitteln oder auch bei der Silageherstellung wahrscheinlich zu Veränderungen der Zusammensetzung der Mikroorganismen im Verdauungstrakt der Tiere oder in der Silage. Es gibt Studien, die bei hoher Glyphosatbelastung Zusammenhänge zu Missbildungen bei Föten wie auch Botox-Vergiftungen (Toxine durch das Bakterium Clostridium botulinum) herstellen, welche aber sicherlich noch näher geprüft werden müssen.
Leider sind Lebensmittel ja auch `Futtermittel´ für den Menschen und folglich ist hier die Frage der Rückstandsmengen und deren Wirkungen von wesentlicher Bedeutung. Meines Wissens nach sind die zugelassenen Rückstandsmengen in Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr in den vergangenen Jahren sogar erhöht worden. Die Verengung auf die Frage der Kanzerogenität greift daher aus meiner Sicht viel zu kurz. Allerdings muss auch einschränkend gesagt werden, dass die Fragen zur Toxizität natürlich auch für fast alle anderen Pestizidwirkstoffe gilt.
Hallespektrum: Gibt es eine Anwendung, die umweltschutzgemäß zu akteptieren wäre (z. B. um Ackerunkräuter vor der Saat zu beseitigen) oder überwiegen die Gefahren in jedem Fall?
Prof. Dr. habil. Matthias Kästner: Generell wird Glyphosat im Boden abgebaut und deshalb ist es vermutlich besser als jedes nicht abbaubare Herbizid, das alternative bei einem Verbot benutzt werden würde.
Hallespektrum: Welche Anwendung sollte grundsätzlich beendet werden (z. B. „Totspritzen“) und warum?
Prof. Dr. habil. Matthias Kästner: Hier muss abgewogen werden. Letztlich haben wir uns ja mit unseren ‚modernen‘ landwirtschaftlichen Praktiken, wie z. B. dem Verzicht auf treibstoffintensives Pflügen der Äcker oder der Herbizidnutzung zur Verringerung der Wasseraufnahme vor der Ernte erst den erhöhten Bedarf und die neuen Anwendungen für Herbizide geschaffen. Dies lässt sich durch ein Verbot natürlich nicht zurückdrehen, sodass die Nachfrage für andere Herbizide im Falle eines Verbotes steigen würde oder die Bauern zum `Pflügen´ zurück kehren mit all seinen Konsequenzen für den Humus im Boden und die zugehörigen Treibstoffverbrennungsemissionen.
Hallespektrum: Welche Auswirkungen hätte ein Totalverbot von Glyphosat auf die Landwirtschaft? Welche alternativen Mittel würden dann angewendet?
Prof. Dr. habil. Matthias Kästner: Schwer zu sagen, aber vermutlich kaum Wirkstoffe mit geringerem toxischen Potential.
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Das ist eine Frage des Zeitpunkts der Anwendung. Wenn es nicht so massiv in die Nahrungskette gelangen soll, darf nicht vor der Ernte gespritzt werden. Die Frage der Mikroflora (heute wird die Darmflora „Mibrobiom“ genannt) steht zunehmend im Interesse der medizinischen Forschung. Anscheinend sind die Antibiotika in der Tierproduktion nicht die einzigen, die hier für Veränderungen und Resistenzentwicklungen sorgen. Wer hier nicht auf Nachweise der Schädlichkeit warten, sondern sich selbt schützen will, muss auf „bio“ ausweichen. Es geht ohne Herbizide, verringert aber den Profit.
Im übrigen gibt es auch schon glyphosatresistente Pflanzen. Sie sollen als Monsterunkräuter auf Genmaisfeldern in Übersee wachsen.
Da die pfluglose Landbearbeitung erhebliche Vorteile bringt (vor allem Schutz des Bodens, aber auch Kosten), werden die Landwirte andere Totalherbizide einsetzen. und die sind weniger intensiv geprüft als Glyphosat.
Ein Totalverbot würde gerade die mitteldeutsche Landwirtschaft massiv treffen, und wertvolle Schwarzerdeböden gefährden.
Wer weiß, was neben der jetzigen Diskussion und dem ganzen Drumherum wieder ausgeheckt wird, zur Anwendung kommt usw., was dann in einigen Jahren wieder suspekt für den Verbraucher ist? Ein Skandal jagt den nächsten, wer darauf hört und diese menschlichen Futtermittel meidet, kann bald ganz aufhören zu essen und zu rinken. Das ist dann
’ne neue Krankheit und nennt sich Magersucht.
Und was ist die Ursache: Profit, Profit, Profit für die Produzenten.
Nein Wolli, umgekehrt: Glyphosat wird eingesetzt, um nicht pflügen zu müssen. Wenn man pflügt, braucht man es nicht. Bedenklich ist, dass die Pflanzen es nicht mehr abbauen können, wenn es kurz vor der Ernte angewendet wird. Und dann treffen die Aussagen von Herrn Prof. Kästner bezüglich der „Futtermittel“ zu.
Wenn die Bauern den Acker wieder pflügen würden, wäre das Glyphosat demnach kein Problem?
„im Verdacht steht“ und „wahrscheinlich“ heißt immer noch, daß man es nicht weiß…
Die Frage unter den Bild mit der Hummel wurde gar nicht gestellt, weshalb wird sie dann dem Bild zugeordnet?
Wenn die Hummeln fliegen, wird das Mittel doch gar nicht mehr angewendet!